Am Mittwoch gab Wirtschaftsminister Habeck die Frühjahrsprojektion für das laufende Jahr in einer Pressekonferenz bekannt. Demnach rechnet er mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,3 Prozent im Vorjahresvergleich; mithin um 0,1 Prozent mehr als noch im Jahreswirtschaftsbericht vom Februar bekanntgegeben wurde.
Nun hat der IWF zwar vor etwa einer Woche etwas anders gerechnet, nämlich mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent statt einem Plus von 0,3 Prozent laut Bundeswirtschaftsministerium, was den sprichwörtlichen Kohl nun auch nicht fetter macht.
Nach Habeck gebe es leichte konjunkturelle Aufhellungen. Die allmähliche Erholung der Wirtschaft habe sich deutlich verstärkt, und es bliebe die Hoffnung, „dass wir vielleicht wachsen können“.
Harte Indikationen seien, dass die Inflation schnell nachgelassen habe; nach der Prognose dürfte sich der Anstieg der Verbraucherpreise nach 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,4 Prozent im laufenden Jahr verringern, und im Jahr 2025 sinke die Rate auf unter zwei Prozent. Die Kaufkraft würde dadurch zunehmen und stütze die Erholung des privaten Konsums. Für das kommende Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent erwartet. Eine Zinswende seitens der EZB sei zum Sommer hin möglich. „Die Daten weisen wieder nach oben“, so Habeck.
Das deckt sich offenbar mit den Erklärungen von Kanzler Scholz, der jedem entgegentreten möchte, der das wirtschaftlich starke Deutschland schlecht redet. Das Land habe einen „Turnaround“ hingelegt. Man solle stolz auf das Erreichte sein.
Habeck unterstrich, strukturell sei Deutschland in der Wettbewerbsfähigkeit abgefallen. Der Kapitalmarkt sei zu klein, doch es gebe einen neuen politischen Willen hinsichtlich der Kapitalmarktunion, ausgehend von Frankreich und Deutschland, damit die Investitionsbereitschaft mit genügend Kapital unterlegt wird.
Die konjunkturelle Frühjahrserholung verzögert sich, heißt es auf der Website des Wirtschaftsministeriums. Nach dem schwachen Jahresendquartal ist auch zu Jahresbeginn 2024 keine spürbare konjunkturelle Belebung der deutschen Wirtschaft erkennbar. Zwar habe die Industrieproduktion und – infolge der günstigen Witterung – der Bau zu Jahresbeginn positiv tendiert, heißt es weiter. Auch der deutsche Warenhandel, insbesondere der Export, startete mit deutlichen Zuwächsen ins neue Jahr. Diese Entwicklungen stellten aber zum Teil eine Gegenbewegung zu den deutlichen Rückgängen zum Jahresende 2023 dar.
Bis Juni wollen die drei Koalitionspartner in Berlin ein Wachstumspaket vorlegen. Habeck sagte laut Handelsblatt bezüglich der Erwartung einer leichten Erholung im Jahr 2025: „Trotz dieser Hoffnungssignale machen mir die strukturellen Probleme des Standorts weiterhin Sorge.“ Das müsse man so hart formulieren. Denn in der mittleren Frist beträgt das Wachstumspotenzial – also das, was die deutsche Wirtschaft aus sich heraus leisten kann – weiterhin bloß 0,6 Prozent jährlich. „Wenn wir mittel- und langfristig wieder höheres Wachstum erreichen wollen, brauchen wir daher strukturelle Veränderungen.“ Bezüglich des FDP-Papiers betonte Habeck, dass sich seine Partei entschlossen habe, dass Regierung und Partei nicht zu trennen seien, und sich die Grünen am Ende auch immer hinter Kompromisse in der Regierung stellten.
Bezeichnend ist, dass der Wirtschaftsminister nunmehr um Stellen hinter dem Komma ringt. Denn im restlichen Teil der Welt schneiden die Industrieländer wesentlich besser ab. Dass überdies der Rückgang der Inflation auf hohem Niveau stattfindet und die Belastung hoch bleibt, ist eine Trivialität, mit der Habeck wenig anzufangen weiß. Ob in dem Fall ein „politischer Wille“ wirklich förderlich ist und nicht eher Ausgangspunkt dafür, dass Deutschland nach zwei Jahrzehnten wieder der „kranke Mann Europas“ ist, scheint zweitrangig angesichts der Selbstgewissheit, dass der Staat keine Fehler macht. Demnach regieren nicht „Hoffnungssignale“, sondern das Prinzip Hoffnung.
Denn nicht alle teilen die „Anpassung“ mit derselben Euphorie wie der Grüne. Wolfgang Große Entrup, der Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), etwa. „Die Frühjahrsprognose der Bundesregierung sorgt bei uns nicht für Frühlingsgefühle. Wir freuen uns über Lichtblicke, aber es ist viel zu früh für eine Entwarnung“, sagte Große gegenüber der Berliner Zeitung.
Die „Hoffnungssignale“ ordnet er als Wahlkampfmanöver ein. „Leicht bessere Meinungsumfragen machen noch keinen Wahlsieg, ein verbessertes erstes Quartal noch keinen konjunkturellen Aufschwung.“ Auch der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GDW) zeigte sich skeptisch. „Der ganze Bereich des Wohnungsneubaus wird diese Anpassung nach oben jedenfalls nicht stützen: Hier geht es leider immer noch steil bergab“, sagte der Vorsitzende des Verbands, Axel Gedaschko, gegenüber derselben Zeitung.