Krise? Welche Krise? Geht es nach dem Bundeskanzler, dann hat die Ampel Deutschland bereits aus der Krise herausgeführt. „Turnaround“ nennt er das. Bei der SPD-Fraktionsklausur in Norderney sieht er deshalb auch gar keinen Grund für die wirtschaftspolitische Wende, die Finanzminister Christian Lindner gefordert hat. Olaf Scholz sieht das Projekt als erledigt an.
Es scheint, als sei der Kanzler in die Zukunft geflogen. Die Missstände der Gegenwart liegen für ihn in der Vergangenheit. Nur so ist ein Satz wie dieser zu erklären: „Dieser Turnaround für unser Land nach vielen Jahren des Stillstands, der ist uns nicht in den Schoß gefallen, den haben wir hart erarbeitet.“
Gestern erst hat der dänische Pumpenhersteller Grundfos angekündigt, sein Werk in Deutschland zu schließen. Tage zuvor gab es Horrormeldungen von Bosch, von SAP, von Stihl, von Miele oder Reifenherstellern. Heute kündigt Nestlé-Chef Mark Schneider an, Jobs und Werke auf den Prüfstand zu stellen. Die Meldungen zum Niedergang der deutschen Wirtschaft – die Bauwirtschaft wurde nicht einmal angerissen – sind nicht mehr Tages-, sondern Stundenereignis geworden.
Doch laut Scholz haben SPD, Grüne und FDP das Problem nicht nur im Griff. Die Ampelzeit gilt als Erfolgszeit. Man habe Verfahren beschleunigt. Die Bedingungen für Investitionen verbessert. Die Migration sei besser geregelt, es würden mehr Fachkräfte nach Deutschland kommen. „Wir haben alles getan, was ein vernünftig denkender Mensch tun kann“, verkündet der Bundeskanzler.
Einen „Turnaround“ habe die Bundesregierung auch in der Verteidigungspolitik hingelegt. Dass die Bundeswehr in einem erbärmlichen Zustand ist, trotz milliardenschweren „Sondervermögen“, stört den Kanzler ebenso wenig wie die marode Wirtschaft. Die SPD-Welt ist eine heile Welt. Man solle das, was man erreicht habe, mit Stolz betrachten. Und: er werde allen entgegentreten, die die „ihr Süppchen kochen und dieses wirtschaftlich starke Land herunterreden.“
Die Ampel regiert gegen die Wirklichkeit. Und ihr Kanzler kündigt den Boten der schlechten Nachrichten die Köpfung an. Deutschland liegt weit unter dem internationalen Durchschnitt der Wirtschaftsprognosen. Die Spitzenposition hält die Republik nur beim Tragen der Roten Laterne. Scholz degradiert die unliebsame Wirklichkeit zur bloßen Meinung herab. Zur unliebsamen Wirklichkeit gehören Industrie- und Handelskammer, gehören Wirtschaftsinstitute, gehören Arbeitgeberverbände, gehören Handwerker – und gehört auch der Bundesfinanzminister.
Im wohligen SPD-Milieu kann der SPD-Politiker trotz mangelnder Hausmacht so, wie er will. Wenn der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil fordert, der Staat müsse investieren, dann ist er endlich unter seinesgleichen. Der Bürgergeld-Kanzler stellt noch mehr soziale Wärme in Aussicht – und verspricht, dass das Rentenniveau stabil bleibt. Wie das funktionieren soll, fragt man sich als Außenstehender. Doch in der SPD-Welt, in der Deutschland eine Wirtschaftslokomotive ist, eben jenes „reiche Land“ mit unerschöpflichen Reserven, ist auch das möglich. Klausur, das heißt nicht umsonst, dass man sich abschließt und die Öffentlichkeit ausschließt. Manchmal gehört auch die Realität dazu. Bis sie irgendwann umso härter einbricht.