Tichys Einblick
Der Kurzfrist-Fokus hilft langfristig nicht

Der Iran ist unkalkulierbarer, als der Westen sehen will

Verdrängt wird, dass Israel die Atomwaffenanlagen des Iran oder seine militärindustrielle Infrastruktur direkt angreifen kann - um so früher, je länger die USA nichts gegen das Werden des Iran zur Atomwaffenmacht tun. Was auch immer Washington vorher beschlösse, es käme aus dem Zugzwang nicht raus, Israel zu folgen.

Altstadt von Jerusalem mit Felsendom, Aufnahme vom 20.10.2010

IMAGO / imagebroker

Erster Medienaufschlag Katastrophe. Dann folgen die unehrlichen Beteuerungen, die scheinheiligen Friedensworte und das große Abwiegeln. Börsenmeldungen wie diese passen auch dazu: „Dax startet trotz Eskalation zwischen Iran und Israel im Plus.“ Warum trotz? Deswegen, steigen doch die Wettmöglichkeiten in den Börsen genannten Wettbuden. (Übrigens stürzte die iranische Währung Rial am inoffiziellen Markt ab.)

Fest steht, hätte das Teheraner Mullah-Regime Israel schweren Schaden zufügen wollen, hätte es die Hisbollah-Miliz im Libanon mit ihren um die 20.000 Aktiven, etwa 20.000 Reservisten und ihrem Arsenal an Kleinwaffen, Panzern, Drohnen und verschiedenen Langstreckenraketen von der Leine gelassen. Hat Teheran aber nicht, sondern die USA und damit wissentlich auch Israel Tage vorher von ihrem Vorhaben informiert. Die Mullahs wollten, dass die Sache in etwa so abläuft, wie sie es tat. Ein militärischer Test war es nebenbei auch. Nun wissen alle Beteiligten und Beobachter, dass die israelische Armee ohne die Hilfe aus Washington, London, Amman und Riad nicht einen so hohen Anteil von 99 Prozent der 170 Drohnen, über 30 Marschflugkörper und mehr als 120 ballistischen Raketen (welche die Lufträume mehrerer Länder verletzten), hätte unschädlich machen können. Die Kosten für diese Stunden dauernde Verteidigung werden übrigens auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt.

Israel weniger allein als oft suggeriert
Was der iranische Angriff auf Israel offenbart
Teheran verfolgte mit diesem Angriff vor allem zwei Ziele, die es auch erreichte. Zuhause, seinen Söldnern der Hisbollah, der Huthis und der Hamas signalisierte Teheran, wir tun etwas. Zweitens griff der Iran Israel erstmals vom eigenen Boden aus direkt an. Teherans Leute bei den UN sorgen dafür, das als völkerrechtlich gerechtfertigt eintragen zu lassen. Das nächst Mal ist dann kein Präzedenzfall mehr – und somit sind die Medien weltweit auf Iran-Linie programmiert.

Unabsichtlich stärkt Teheran die Unterstützung der israelischen Regierung daheim für die anhaltende Forderung von Ministerpräsident Netanyahu nach einer Invasion in Rafah, der anscheinend „letzten Hochburg“ der Hamas. Irans Militärschlag zwingt Washington noch mehr in die Region, aus der es einst möglichst raus wollte, und macht die Bemühungen der USA gegen Russland und China noch schwerer.

Flankierend wies UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk (Prototyp des UN- Schmalspurfunktionärs) Vorwürfe der israelischen Regierung zurück, die UN seien im Gazakrieg einseitig, und sagte zum Luftangriff der israelischen Armee auf einen Versorgungskonvoi, bei dem am 1. April sieben Mitarbeiter der NGO „World Food Kitchen“ getötet wurden: „Entscheidend ist hier und in allen anderen Fällen schwerer Menschenrechtsverbrechen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Er erwarte, dass die von Israel angekündigten Schritte zur Untersuchung dieser Tragödie dies tatsächlich bewirken und sich solche Vorfälle nicht wiederholen. „Menschenrechtsverbrechen“ weist nach Den Haag zur Klage Nicaraguas gegen Deutschland.

Drohnen, Raketen, Marschflugkörper
Iran greift Israel an – USA koordinieren Verteidigungsmaßnahmen
US-Präsident Biden ließ verkünden, dass er eine „gemeinsame diplomatische Antwort auf Irans dreisten Angriff“ für wünschenswert hält, aber keinen Militärschlag. Klar, Biden steht im Wahlkampf. Dass viele westliche Regierungen diesen Aufruf wiederholen, ist auch klar, alle haben zuhause ihre ebenfalls angekratzte Macht zu verteidigen.

Hat die Biden-Administration noch mehr als die Wahlen im Sinn, muss sie hier und jetzt die zusätzlichen Hilfen zur Unterstützung Israels durch den Kongress bringen. Ohne sie, vor allem auch der Luftverteidigungsfähigkeiten, könnte schon jetzt ein großregionaler Krieg im Gange sein. Der Stop Harboring Iranian Petroleum (SHIP) Act, der parteiübergreifend im Repräsentantenhaus verabschiedet wurde, muss nun durch den Senat. Diese Gesetzgebung würde den Iran darin behindern, seine Angriffe durch den Verkauf von Öl zu finanzieren, das zu 80 Prozent von China gekauft wird. Und Washington muss ohne weiteren Zeitverzug verhindern, dass der Iran Atomwaffenmacht wird.

Nicht einkalkuliert wird erstens, dass Teheran und Iran nicht identisch sind, und zweitens dass Israel – nicht heute, aber morgen – die Atomwaffenanlagen des Iran oder seine verteidigungsindustrielle Basis direkt angreifen könnte – um so früher, je länger die USA nichts gegen das Werden des Iran zur Atomwaffenmacht tun. Was auch immer Washington vorher beschlossen hätte, es käme aus dem Zugzwang nicht raus, Israel zu folgen.

Israel gehen die Optionen aus
Der „Kreislauf der Gewalt“ lässt sich nur stoppen, wenn Israel gewinnt
In Teheran sichern die Revolutionsgarden längst nicht mehr nur das Religionsregime der Mullahs, sondern beherrschen dieses im Zweifelsfall. Sie werden auf 125.000 bis 200.000 Mann geschätzt. Die Revolutionsgarden haben eigenständige Truppenteile für Heer, Luftwaffe und Marine (etwa 20.000 Mann) sowie Spezialeinheiten wie die Quds-Einheit (Truppenstärke 5.000 Mann) und die Ashura-Einheiten. Khamenei und den Revolutionsgarden gehören um die 80 Prozent der iranischen Wirtschaft: außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Die libanesische Hisbollahmiliz kriegt 700 Millionen Euro jährlich, palästinensische Terrororganisationen wie die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad 120 Millionen. Teheran stattet die Huthi-Rebellen im Jemen aus und zahlt einen Teil des Gehalts der 100.000 schiitischen Milizen im Irak. In Syrien unterhält Teheran Milizen mit insgesamt 50.000 Mann – neben Tausenden Revolutionsgardisten, die dort seit Jahren sind. Täglich liefern iranische Transportflugzeuge Syriens Präsident Baschar al-Assad Munition und Waffen. In Syrien hat der Mullah-Revolutionsgarden-Komplex Anteile am Telekommunikationsmarkt, exklusive Schürfrechte, Anteile an Kraftwerken und exklusive Weiderechte auf Tausenden Hektar Land. Die Baufirmen der Revolutionsgarden verdienen am Wiederaufbau Syriens, wie es die USA später in der Ukraine vorhaben.

Im Hintergrund gehen die Fünfergespräche zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen und zur Befreiung der israelischen Geiseln weiter. Allerdings weiß die Hamas laut eigenen Angaben nicht mehr mit Gewissheit, dass sie auch nur 40 israelische Geiseln in ihrer Gewalt hätte, die noch am Leben seien und die „humanitären“ Kriterien für derzeit diskutierte Austauschvorschläge mit Israel erfüllen.

In Israel berät das Kriegskabinett wieder weiter, welche Antwort der Iran und wann auf seinen Präzedenz-Direkt-Angriff erhält. Die israelische Regierung könnte diesen Zustand als Etappe im Propagandakrieg auch länger hinziehen. Zusammen mit den neuesten Nachrichten über einen Geisel-Gefangenen-Austausch liegt ein leichter Vorteil im Propagandakrieg zur Zeit bei Israel, bevor er mithilfe des polit-medialen Komplexes im Westen wieder an die Palästinenser-Propaganda zurück fällt.

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