Das kleine Zypern wird seit Jahren von Migranten überrannt, und zwar aus zwei Richtungen. Zum einen gibt es Boote, die vom Libanon aus starten und häufig reisende „Syrer“ enthalten, zum anderen ist die grüne Grenze zum türkisch besetzten Norden durchlässig. Beide Migrantenströme zusammen machten Zypern zuletzt zum EU-Land mit den meisten Asylbewerbern, gemessen an der Bevölkerung. Nun reicht es der zypriotischen Regierung offenbar. „Wir erleiden einen Angriff von morschen Booten“, erklärte Innenminister Konstantinos Ioannou mit einem gewissen Sinn für das Paradoxe der Situation. Mit anderen Worten: Damit sollte man doch eigentlich irgendwie fertigwerden. Doch die bisherigen Lösungswege versagen immer mehr. Sie haben außerdem nie das ganze Problem gelöst.
3.337 Migranten, die sich illegal in Zypern aufhielten, konnten in diesem Jahr abgeschoben werden. Das ist im Vergleich mit deutschen Bundesländern ein ganz guter Wert, steht aber noch immer in keinem Verhältnis zur Gesamtzahl der Asylbewerber auf der Insel. Nun ist sehr ernsthaft die Rede davon, dass die Zyprioten auf ihrer eigenen Insel zur Minderheit werden könnten.
Um das zu verstehen, muss man etwas ausholen. Bis 1974 lebten 78 Prozent Griechisch-Zyprioten, 18 Prozent Türkisch-Zyprioten und vier Prozent andere Gruppen auf der Insel. Es sind diese Bevölkerungsteile, für die sich die Republik Zypern bis heute verantwortlich fühlt, egal wo sie leben. Allerdings wurden seit der türkischen Besetzung des Nordens viele Türkeistämmige im Nordteil angesiedelt, laut der türkischsprachigen Zeitung Yeni Düzen bis heute insgesamt 240.000. Daneben leben heute 50.000 Russen und 15.000 Iraner dort. Der besetzte Norden steht aber darüber hinaus illegalen Migranten aus aller Welt (vor allem Nahost und Afrika) offen. Sie sammeln sich dort und wechseln bei passender Gelegenheit über die Grenze in den Süden der Insel.
Der Norden hat also schon heute eine Bevölkerung, die weitgehend nicht einheimisch ist, sondern den Inselteil in der Art einer Landnahme besetzt halten soll. Dasselbe passiert nun im Süden, wenn auch auf andere Art. Die Zahl der Asylbewerber ist inzwischen auf über 50.000 angewachsen. Anfang April waren in sechs Tagen 800 Migranten in Zypern angekommen, die meisten auf Booten vom Libanon her. Am Freitag wurde ein einzelnes Boot mit 80 Insassen von der Küstenwache aufgegriffen.
Migrationsströme im Mittelmeer beginnen wieder
Der Zustrom setzt sich fort und intensiviert sich. Doch die libanesische Regierung weigert sich, illegale Migranten zurückzunehmen, weil das Land schon zu viele „Syrer“ beherberge. Ob es wirklich immer Syrer sind, die sich als Flüchtlinge aus dem Land ausgeben, ist durchaus umstritten. Zypern hat ein Abkommen mit dem Libanon zur Rücknahme von illegalen Migranten geschlossen, aber das besteht teils nun nur noch auf dem Papier. Daneben flossen auch Millionensummen von der EU, allein letztes Jahr mehr als 108 Millionen Euro.
Im Südteil leben heute wohl etwa 750.000 griechischsprachige Zyprioten. In der Hauptstadt Nikosia konzentriert sich das Problem, und das zeigt sich besonders an der jungen Generation. Laut dem Schulverband der Hauptstadt sind dort mittlerweile 50 Prozent der Schüler Einwanderer, wie Brussels Signal berichtet. Schon 2021 waren laut Eurostat knapp ein Fünftel (18,8 %) der Bevölkerung Einwanderer. Die neu angekommenen Syrer verhalten sich dabei nicht immer friedlich, etwa wenn sie auf dem Kennedy-Platz in Paphos an den Beginn ihrer (islamistischen) „Revolution“ gegen Assad erinnern.
Niemand täuscht sich darüber, dass die Syrer ständig in ihre Heimat reisen, um dort Geld zu holen (oder es hinzubringen?) und Urlaub zu machen, wie der Präsident des zypriotischen Institutes für demographische und Migrationspolitik, Andreas Morphitis, gegenüber der Tageszeitung Simerini sagte. Morphitis wünscht sich daher auch eine „Störung“ der EU und deren Grenzschutzagentur Frontex, die doch gegründet worden sei, um die Außengrenzen zu schützen. Gemeinsam mit der Küstenwache müsse man die Boote zurückschicken, um ein Zeichen an Schlepper und Migranten zu senden.
Präsident Nikos Christodoulidis (ursprünglich von der christdemokratischen Demokratischen Sammlungspartei, die ihn vor seiner Wahl als unabhängiger Kandidat ausschloss) reiste eilends nach Beirut und nach Athen, wo er Ursula von der Leyen traf. Die Kommissionschefin soll den Präsidenten vielleicht zu einer zweiten Beirut-Reise begleiten, das gilt in Zypern als wertvolle Unterstützung. Der Zypriotenpräsident machte die Kommissionspräsidentin pflichtgemäß auf die „außerordentlich schwierige Situation“ seines Landes, aber auch der EU-Mittelmeerländer allgemein aufmerksam.
Auch andernorts haben sich warme Temperaturen eingestellt: Auf Lampedusa sind erneut über 1.500 Migranten in nur 36 Stunden angekommen. Vor der Südostküste Spaniens, bei Cartagena, starben vier Personen ungeklärter Herkunft auf einem Boot. Auf Chios in der Ägäis ist ein Boot mit einer unbekannten Anzahl Passagiere angelandet. Drei Mädchenleichen wurden an einer felsigen Küste gefunden. Daneben wurden 14 Personen von Rettungskräften aufgegriffen. Auch auf der kleinen Insel Gavdos häufen sich die Ankünfte. Die Insel südlich von Kreta ist das Ziel einer neuen Route von Libyen aus: in diesem Jahr gab es alleine hier schon mehr als 1.500 illegale Einreisen.
Zypern plant Erkundungsmission zur Sicherheit Syriens
Die EU schlittert schon heute mit großer Sicherheit in den nächsten Migrationskrisensommer hinein. In der Not kommt aber bekanntlich auch das Rettende. Die Zyprioten wollen nun versuchen, ein lange bestehendes Problem vor ihrer Haustür zu lösen, und haben daher eine Initiative gestartet. Zusammen mit Dänemark, Tschechien und Griechenland soll eine gemeinsame Einschätzung zum Sicherheitsstatus Syriens vorbereitet werden. Diese soll dann der EU-Kommission zugeleitet werden und könnte so eine ganz neue Art von Intervention der EU hervorbringen. Lässt sich die Sicherheit Syriens durch Beschluss der Kommission feststellen? Schaden könnte es wohl nicht. Im Hintergrund steht die Forderung Christodoulidis’, Syrer direkt in ihr Heimatland abzuschieben.
Innenminister Ioannou hat sich bereits mit dem dänischen Integrationsminister Kaare Dybvad Bek und dem tschechischen Innenminister Vít Rakušan getroffen, wie die Nachrichtenseite Philenews schreibt. Mit im Boot ist der griechische Migrationsminister Dimitris Kairidis. Auch die österreichische Regierung hat sich offen gezeigt. Konkret will Zypern nun zusammen mit Tschechien eine gemeinsame Erkundungsmission (fact finding mission) starten, um sichere Regionen in Syrien festzustellen. In diese Regionen – wie Tartus und Latakia, vielleicht sogar Hama und Homs – könnten dann Syrer abgeschoben werden.
Zypern und Griechenland haben schon 2021 ihre Botschaften in Damaskus, zunächst inoffiziell, wiedereröffnet und so eine wichtige Voraussetzung für Abschiebungen in das Land geschaffen. Dänemark schätzt schon seit Jahren, ähnlich wie Großbritannien, mehrere Regionen des Landes, darunter die Hauptstadtregion, als sicher ein. In Zypern wird die Beteiligung mehrerer „Nord-Länder“ dennoch als bedeutender Fortschritt angesehen.