Die persönlich in ihrer Amtsführung als Aufklärerin bei Daimler gelobte ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt wurde von VW entsorgt. Weggemobbt, entlassen, rausgeekelt – man mag es bezeichnen, wie man will. Tatsache ist, dass die Seilschaften der Familien Piech und Porsche gemeinsam mit denjenigen, die gemeinsam mit Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn wohl noch zu viel wissen, sie loswerden wollten. Der Dieselskandal wurde erst als systematischer Betrug bandenmäßig geplant und durchgeführt, dann lange geleugnet und bis heute nicht aufgeklärt. Stattdessen wurde vertuscht, eine lästige Aufklärerin entsorgt und nun wird ihr noch Dreck hinterher geworfen. Aus welcher anderen Quelle als von VW stammen wohl die kolportierten 15 Millionen Abfindungszahlung?
Aberwitzig, dass gerade die F.A.Z., das „Kampfblatt des Kapitalismus“ und das Handelsblatt sich im Falle Hohmann-Dennhardt nun gegen ihre sonstigen Gewohnheiten in mehreren aufeinander folgenden Artikeln redlich bemühen, die Millionenabfindung der Managerin ins Zwielicht zu rücken und sich ungewohnt als Speerspitze der Political Correctness zu gerieren, indem sie süffisant wiederholen, dass sie SPD-Mitglied ist. Ein Schelm, der böses dabei denkt! VW muss Milliardenstrafen in den USA zahlen, weil der Konzern betrogen hat. Außerdem hat VW in Europa hunderttausende Autokunden betrogen und die Umwelt zerstört und nur, weil unser Zivilrecht betrügerische Konzerne verschont, weil es den Kunden kollektive Schadenersatzklagen wie in den USA verwehrt, müssen diese ihren Schaden, der ebenfalls auf mehrere Hundert Millionen geschätzt wird, selber tragen. Anstatt dem weiter nachzugehen, regt sich nun die wirtschaftsfreundliche Presse über 15 Millionen Euro auf, die VW zahlen musste, um eine Mitarbeiterin loszuwerden, die sich nichts hat zu schulden kommen lassen, aber mundtot gemacht werden sollte. Der Versuch, die an der Arbeit gehinderte Aufklärerin nun ins Zwielicht zu rücken und ihr Gier zu unterstellen, ist ein intrigantes und schmutziges Spiel.
Im Dezember 2015 wollte die in Bedrängnis geratene VW AG die Juristin unbedingt aus einem erfolgreichen und für beide Seiten positiven Vertragsverhältnis bei Daimler herauskaufen. Manfred Bischoff, Daimler Aufsichtsrat und Dieter Zetsche stellten sich nicht quer, bestanden aber darauf, dass ihre vertraglichen Verpflichtungen von VW getragen werden sollten. Im Fußball sind bei laufenden Verträgen Ablösesummen für Topspieler wesentlich höher und Hohmann, die nicht wissen konnte, ob sie bei VW erfolgreich sein würde, verhandelte einen Dreijahresvertrag mit viel Schmerzensgeld – ihr gutes Recht. Wobei sie wohl nicht ahnte, dass im Gegensatz zu ihrer Rolle bei Daimler, wo sie sich zu einer Art Ikone der Bürgerrechte in der Wirtschaft entwickelt hatte, man sie in Wolfsburg zum Tatortreiniger degradieren würde. Aber auch die Rolle sollte sie nicht wirklich ausüben – VW hat sie wohl nur als Aushängeschild mieten wollen. Beim Aufräumen kam sie nicht voran, bei den Verhandlungen mit den USA wurde sie ausgebremst. Als im Januar beschlossen wurde, dass VW anders als angekündigt keinen Bericht über die Abgasaffaire veröffentlichen wolle, war für sie wohl das Maß des Erträglichen voll.
Am gesamten Vorgang ist frappierend, dass nun nicht mehr die Ungeheuerlichkeiten im VW-Konzern thematisiert werden, dass die herrschenden Strukturen von VW offensichtlich verhindert haben, dass die Skandale bisher auch nur ansatzweise aufgeklärt wurden, sondern man sich stattdessen in populistischer Manier – vor allem befeuert durch täglich neue Artikel der F.A.Z. und Handelsblatt – über die angeblich völlig überzogene Abfindung der Aufklärerin hermacht und nicht über den eigentlichen Skandal ihrer Entlassung durch VW. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Höhe von solchen Managergehältern generell ist jenseits dessen, was als angemessen oder sozial gerechtfertigt bezeichnet werden kann. Aber um diese Diskussion geht es hier ja leider nicht. Plötzlich muss sich nicht mehr VW rechtfertigen, sondern die einstmals als Aufkärerin Geholte. Schlimmer noch: Auch Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil gerät unter öffentlichen Beschuß, nur weil er im Aufsichtsrat nichts anderes festgestellt hat, als dass die damals von VW und Hohmann ausgehandelten Verträge gelten! Und sogar den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz versucht man in den Sog der populistischen Argumentation einzubauen: Wenn er die Schere zwischen Vorstandsgehältern und Verdienst der kleinen Leute anprangere, – was er dann wohl zum „Fall“ Hohmann-Dennhardt sage. Der in Wirklichkeit nichts anderes ist, als ein Fall VW ist: Auf Betrug folgt Vertuschung und Diffamierung.
Was für ein dümmliches, intrigantes und auf Ablenkung vom wahren Skandal gerichtetes Spiel! Verblüffend einfach, wie mit populistischen und wohlfeilen Parolen, die an Neid und Missgunst gegenüber einem zweifellos abgehobenen, aber in diesen Kreisen leider nicht unüblichen Managergehalt appellieren ausreicht, um Reflexe zu wecken, die sofort den Blick auf den Kern der Sache verstellen! Dass es gerade eine Feministin und Sozialdemokratin ist, die diesmal kassiert, was unter männlichen Kollegen als völlig selbstverständlich gilt, muss natürlich als zusätzlicher Angriff auf die Managerklasse gelten und entsprechend diffamiert werden. Früher hätten kluge Menschen gesagt: „Von wem soll sie es denn sonst nehmen, wenn nicht vom Kapital?“. Heute, wo ja angeblich Marx überholt ist, es kein links und rechts mehr gibt, fallen auch viele Linke und Grüne auf den plumpen „die da oben“ Neidreflex herein. Populismus, gepaart mit Sozialneid und Gegenaufklärung – danke FAZ und Wirtschaftswoche!
Roland Appel ist einer der Sozialliberalen, die 1982 die FDP verließen. Von 1990 bis 2000 war er Mitglied des Landtages von NRW und ab 1995 einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Seit 2000 ist Appel Unternehmensberater.