Ich würde ja ein Ratespiel machen, um welchen Krieg es dieses Mal wieder ging, aber ich glaube, das wäre witzlos. Es ist wieder Donnerstag, es läuft wieder Illner und es geht wieder um den Ukraine-Krieg. Keine Stelle, gleiche Welle, keine neuen Einfälle. Ich würde ja sagen „Im Osten nichts Neues“, aber ich glaube, den Spruch habe ich jetzt schon vier Mal gebracht, und er wird dadurch nicht besser.
„Ukraine droht Niederlage – lässt der Westen Kiew im Stich?“ war der Titel der Sendung und wenn man mich jetzt mit der Pistole auf der Brust zwingen würde, eine Besonderheit an dieser Sendung zu nennen, dann würde ich sagen, dass dieses Mal sehr viel mehr Angst mitspielte.
Die ersten Wochen des Ukraine-Kriegs waren etwa so wie bei Corona: Viele von denen, die sich heute ganz groß als Ukraine-Flüsterer exponieren wollen („Ich war schon zehnmal da und habe gaaaanz viel mit den Menschen dort gesprochen“), wussten am Anfang noch nicht wirklich, was und wo die Ukraine ist und welche Position dazu die strategisch Schlauste ist. Sogar Marie-Agnes Strack-Zimmermann brauchte etwas Zeit, um sich in ihre Rolle als „Eurofighterin“ einzufinden. Die Stimmung in der Politik war am Anfang: Das schaffen die doch nie im Leben. Das änderte sich schnell und die breite Meinung kam in die Rhetorik, die wir auch heute noch kennen: „Die Ukraine darf auf gar keinen Fall verlieren!“
Es gab dabei immer gewisse Schwankungen. Da Illner ihre Talkshow ja so konsequent dem Ukraine-Krieg gewidmet hat, konnte man das bei ihr ganz gut beobachten. Mal war es ein Einspieler mit froher Botschaft: Es fehlt vielleicht an Munition, aber nicht an Motivation, man konnte die Russen bereits zurückdrängen und Städte zurückerobern. Ich glaube nicht, dass die meisten Gäste, die so überzeugt daran festhalten, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf, bisher nie realisiert haben, dass die Ukraine verlieren könnte. Auch wenn es als Appell gemeint sein mag, hatte es doch eher die Wirkung, dass der Sieg der Ukraine bereits als absolutes Fixereignis irgendwann in der Zukunft abgespeichert wurde. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Es wurden schon alle erdenklichen Perspektiven auf die Konfliktlage und die Bedeutung für Deutschland diskutiert, doch was nie angesprochen wurde: Für den Fall der Fälle – wie reagieren wir dann konkret? Das wurde immer nur als Mahnung angesprochen, „sonst ist die Sicherheit in Europa gefährdet“.
In den letzten Wochen und Monaten nahmen die guten Meldungen vom Rückschlag der Russen allerdings immer mehr ab, es werden kaum noch Erfolgserlebnisse kommuniziert. Ich glaube, in dieser Sendung haben viele eine Erleuchtung gehabt – die Realisierung, dass der Krieg auch anders ausgehen kann. „Dringend gebraucht werden 60 Milliarden Dollar, ohne diese Hilfe aus den USA steht die Ukraine vor der Niederlage, sagt Präsident Selenskyj“, und weiter: „Kann also eine Niederlage drohen? Lässt der Westen die Ukraine im Stich?“, leitet Illner ihre Sendung ein und blickt sehr ernst drein. Der Einspieler: Verpixelte Videos von Toten und Verletzten, darüber gequälte Violine.
Wichtigster Gast an diesem Abend: Niemand Geringeres als der Mann, der einen Einfall der Russen in seine Stadt fürchtet, Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew.
Selenskyj wird mit seinem Kommentar zu den 60 Milliarden aus den USA wiederholt zitiert und man bekommt den Eindruck, wir stünden an einem Scheidepunkt: Entweder die Ukraine bekommt das Geld und könnte gewinnen oder sie bekommt es nicht und geht unter – und Europa gleich mit. Illner möchte diesen mittelbaren Sturz Europas gerne Trump anhängen. Immerhin sind es die Republikaner, die gegen weitere Lieferungen und Hilfen an die Ukraine sind, da sie den außenpolitischen Fokus mehr bei anderen Ländern und Konflikten sehen. Klitschko tut ihr nicht den Gefallen mitzuziehen. Er greift Trump nicht direkt an, sondern beschreibt nur, dass es schwierig sei, zwischen zwei Fronten zu stehen.
Illner grätscht an dieser Stelle rein, um dem stockenden Gast Wörter vorzuschlagen. „Zwischen dem Sandwich“ nennt sie das. Und auch hier tut Klitschko ihr nicht den Gefallen mitzuziehen. Das sei kein gutes Beispiel und die Ukraine wolle auch kein Sandwich sein. Illner beendet das eingeschobene Interview mit ihm dann etwas peinlich berührt: „Und das ist natürlich auch überhaupt keine schöne Position, wenn man in einer Sandwich-Position ist.“ Klitschko nutzt seinen Abschied aus der Sendung, um sich bei Deutschland zu bedanken. Kevin Kühnert nickt berührt – ob er heute Nacht wohl als Superheld schlafen wird?
Es ist schon seltsam, so ein digital abrufbarer Krieg. Immerhin ist Vitali Klitschko direkt aus Kiew zugeschaltet, wo zwar gerade kein Kampf stattfindet, aber man die Russen bald vermutet. Er sitzt im Militärlook vor einem Green Screen mit dem nächtlichen Ausblick über die Skyline der ukrainischen Hauptstadt. Man fragt sich doch unweigerlich, was es in den Kriegen und Konflikten der Vergangenheit für einen Einfluss gehabt hätte, wenn es damals schon W-LAN gegeben hätte.
Tiktoks aus dem Führerbunker, Kennedy bei Ted Talk, Churchill zoomt mit König George, Enigma als Zwei-Faktor-Identifizierung, Memevideos vom Attentat von Sarajevo. Man hat immer so viel Angst vor Panikmache im Netz, aber der so banale Zugang zu Informationen sorgt eigentlich mehr für Verharmlosung. Dass Illner den Ukraine-Krieg so oft durchs Dorf treibt, bis „Kiew“ nur noch ein inhaltsloser Laut ist und nicht klingt wie ein echtes Wort, hilft da auch nicht.
Vielleicht erinnern Sie sich an die vorletzte Illner-Sendung: „Krieg einfrieren – vor Putin kapitulieren“. Illner baute dabei eine ganze Sendung auf einem Satz von Rolf Mützenich auf, der bis dahin bereits eine Woche alt war und den die SPD schon längst zurückgenommen hatte. Die ganze Sendung lang musste Lars Klingbeil (SPD) seinen Parteikollegen damals verteidigen. Tja, Sie können ja mal raten, was Kevin Kühnert (SPD) in dieser Sendung gefragt wurde. Ja, auch er musste nochmals runterbeten, dass er den Spruch nicht gelungen fand.
Nachdem Klitschko sich in seiner Rolle als Politiker nicht von Illner dazu hinreißen lassen hat, gegen Trump zu schießen – man muss sich mal vorstellen, Politiker in anderen Ländern wissen tatsächlich noch, was Diplomatie ist –, müssen dann die anderen Gäste herhalten.
Verteidigungsexpertin Claudia Major (was für ein passender Name) gab Illner genau die Antwort, die sie haben wollte. Auf die Frage, ob Donald Trump denn ein Gamechanger im Hinblick auf den Ukraine-Krieg sein könnte, antwortet sie: „Natürlich ist die amerikanische Unterstützung enorm wichtig. Und wir merken, dass das Ausbleiben seit Dezember jetzt schon Auswirkungen auf den Kriegsverlauf hat.“ Da hängt eine große Last an Donald Trump. Er muss die Amerikaner ins Mittelalter stürzen, Frauen, Schwarze und Mexikaner abschaffen, die Freiheitsstatue gegen den Trump Tower austauschen UND auch noch den Ukraine-Krieg beeinflussen und dadurch Europa ins Chaos stürzen. Als er meinte, er könnte diesen Krieg in 24 Stunden beenden können, meinte er wohl den Atomknopf. Aber WENN das jemand schafft, dann Donald.