Tichys Einblick
Bertelsmann Milieu-Studie

Die Mitte verliert das Vertrauen in die etablierten Parteien

Die Altparteien verlieren den Draht zum Mittelstand, denn dieser fühlt sich vom „ökologischen Zeitgeist“ bevormundet, vom Innovationsstau frustriert und von der „ausufernden Bürokratie“ genervt. Auch der Optimismus ist drastisch rückläufig, es profitieren die politischen Ränder.

Was TE-Leser schon lange wissen, bestätigt nun eine neue Studie von Bertelsmann: Der Mittelstand verliert zunehmend das Vertrauen in die etablierte Politik und fühlt sich vom konstanten Änderungsdruck, unter anderem durch den „ökologischen Zeitgeist“ gegängelt. Die Enttäuschung über die Altparteien führt daher zu einer Stärkung der politischen Ränder, allen voran der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht.

Die Studie basiert auf vier repräsentativen Befragungen, die im Zeitraum zwischen September 2021 und Februar 2024 durchgeführt wurden. Die Meinungsforscher unterteilten dabei die gesellschaftliche Mitte grob in zwei Lager: die „nostalgisch-bürgerliche“ und die „adaptiv-pragmatische“ Mitte.

Obwohl diese – auch grob als „konservativ“ und „liberal“ zu klassifizierenden – Lager erwartbare Unterschiede aufwiesen, war der Vertrauensrückgang in beiden Lagern spürbar. Während die „nostalgisch-bürgerliche“ Mitte sich durch den permanenten Veränderungsdruck und „wahrgenommene Zumutungen des ökologischen Zeitgeists“ bedrängt fühlt, ist auch die „adaptiv-pragmatische“ Mitte frustriert über den „Innovationsstau, die hängende Digitalisierung, die ausufernde Bürokratie“ sowie durch den Fachkräftemangel.

Rückgang der Zuversicht und des Vertrauens in die Altparteien

Das führt in beiden Lagern zu Frust über die mangelnde Planbarkeit und Wohlstandssicherheit. Vereint sind beide Lager in der Wahrnehmung, die eigenen Sorgen würden nicht gesehen. All das führt auch zu einem bemerkenswerten Rückgang des Optimismus in beiden Lagern. Während noch im Mai 2022 rund 70 Prozent des „adaptiv-pragmatischen“ Lagers zuversichtlich in die Zukunft blickten, sank dieser Wert in diesem Jahr auf rund 50 Prozent. Wenig überraschend fiel auch der ohnehin niedrigere Wert des „nostalgisch-bürgerlichen“ Milieus von 45 Prozent auf nur noch 26 Prozent im gleichen Zeitraum ab.

All das schlägt sich auch in Wahlumfragen nieder. Ende Februar würden selbst innerhalb der liberalen Mitte nur noch 26 Prozent eine der Ampelparteien wählen, sowie 30 Prozent der Union ihre Stimme geben. Die AfD käme selbst in diesem Lager auf mittlerweile 27 Prozent, das BSW auf 4 Prozent. Noch deutlicher fiel die Enttäuschung mit den etablierten Parteien im konservativen Lager aus, dort würden gar nur 17 Prozent die Ampel wählen, 28 Prozent immerhin noch die Union, 34 Prozent die AfD und 9 Prozent das BSW.

Das ließ die Autoren der Studie einigermaßen besorgt zurück. Weder den Ampelparteien, noch der Union gelänge es, „in der Mitte den Eindruck von Empathie, Problemlösungsfähigkeit und Zugewandtheit zu hinterlassen, um ihre Wählerschaft gegen populistische Verführung und Mobilisierung zu immunisieren“. Dass es genau diese Art von Rhetorik, der Versuch, die Wähler gegen „populistische Verführung und Mobilisierung zu immunisieren“, ist, die das Vertrauen des Mittelstands so massiv untergräbt, kommt den Autoren aber nicht in den Sinn.

Ratschläge zur Überwindung von Spaltung, die Spaltung verursachen

Anstatt nur die Ergebnisse zu teilen, geben die Forscher den Altparteien auch entsprechende Ratschläge. Anstatt „mit gegenseitiger Konfrontation und Blockade“ auf den Vertrauensverlust zu reagieren, sollten sich die Altparteien „gemeinsam um die Mitte bemühen“, anstatt sich „in der Mitte zu bekämpfen“. Das klingt erst einmal gut, bis auf die Tatsache, dass es genau diese Beanspruchung der Mitte durch vor allem linke gesellschaftliche Kräfte ist, die die Spaltung erst hervorgebracht hat.

Es ist ein Teufelskreis: Studien sagen, die Politik müsse den Menschen zuhören und auf sie zugehen. Daraufhin ruft die Politik Projekte wie „Demokratie leben!“ ins Leben und deutet diese als Versuch dazu, das demokratische Miteinander zu stärken. Doch inhaltlich steht die Linie all dieser Nudging-Projekte: keine Toleranz gegenüber all jenen, die außerhalb des beauftragten Konsens stehen. Das wiederum führt zur weiteren Spaltung der Gesellschaft und einer Stärkung der Ränder. Zumindest können sich Studienautoren darüber freuen, dass diese schon bald wieder zur Tat schreiten dürfen, um festzustellen, dass die Spaltung der Gesellschaft und die Stärkung der Ränder beunruhigend sind.

Allerdings sind die Vertreter der Mitte in der Studie keineswegs nur beschwerdefreudig. Eine Mehrheit von 73 Prozent der Befragten wäre bereit, mehr Schulden zu machen, um die Infrastruktur – darunter Schulen, Straßen, Umwelt – auf Vordermann zu bringen. Denn die Bezeichnung „adaptiv-pragmatische Mitte“ durch die Studie erweckt fälschlicherweise den Eindruck, dass nur der progressivere Teil der Mitte pragmatisch veranlagt wäre.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, denn die Mitte scheint sich quer durch alle Lager einig zu sein, dass Veränderung, Investition und Kompromisse durchaus von Nöten sind. Was sie aber nicht will, ist ideologische Bevormundung und einen moralischen Imperativ, der verschwenderische Maßnahmen einfordert, die niemandem außer der sich selbst perpetuierenden Bürokratie dient.

Rückzug ins Private, Abkehr von der Politik, oder doch eine positive Zukunftsvision entwickeln?

Der Vertrauensverlust der Mitte wird nicht einfach rückgängig gemacht werden können. Wo die Barriere überschritten wurde, den „Aussätzigen“ von AfD und BSW die Stimme zu geben, werden Altparteien diese Wähler nicht durch Androhung von Ausgrenzung wieder zurückgewinnen können. So bleibt dem Apparat nur der erwünschte Entzug von Alternativen durch entsprechende Verbote. Doch selbst das würde nicht zu einer Rückkehr der Enttäuschten in die Herde führen, sondern lediglich zu einem vollständigen Rückzug ins Private, sowie eine endgültige Abkehr von der demokratischen Partizipation.

Allerdings sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass diese Abkehr von der Politik ein Problem für den Parteienstaat darstellen würde. Im Gegenteil: Jene Bürokraten, die auch jetzt schon davon überzeugt sind, besser als der Bürger zu wissen, was ihm gut tut, würden nur umso befreiter ihrer selbstgewählten Mission nachgehen können.

Um aber all jenen Menschen der Mitte, die nach einem Weg zur aktiven und positiven Gestaltung der Gesellschaft suchen, auch weiterhin eine Stimme zu verleihen, wird Tichys Einblick auch in Zukunft nicht nur den Niedergang des Alten monieren, sondern basierend auf den Lebensrealitäten unserer Leser – der Mitte – Wege zurück zu Zuversicht und Optimismus entwickeln. Schonungslos und (selbst)kritisch, wie man es von TE kennt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen