Irgendwann zu Beginn des neuen Jahrtausends wandelten sich Fakten zu Meinungen. Zwar war auch schon im Jahrhundert davor klar, dass nur den eigenen Statistiken getraut werden darf. Aber im Zuge der letzten Jahre hat die Tendenz zugenommen, nicht nur die eigenen Fakten und Statistiken hervorzuheben, sondern auch die widersprechenden Darstellungen nicht nur auf sachliche, sondern auf geradezu prinzipielle Art zu verwerfen.
Neben Energiewende, Verkehrswende und Klima sticht die Zuwanderung als Reizthema hervor – besonders, wenn sie im Zusammenhang mit Kriminalität stehen könnte. Nun ist illegale Zuwanderung zwar per se eine Straftat, wurde aber im Deutschland des Jahres 2015 de facto gesellschaftlich entkriminalisiert. Die Empörungen über Abschiebungen wiegen höher als der illegale Grenzübertritt. Wenn Millionen krimineller Ausländer abgeschoben werden sollen, eignet sich das für Vergleiche mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte, obwohl dies eigentlich der gegebenen Rechtslage entsprechen sollte.
Insofern kann jede Statistik – so etwa die Polizeistatistik des Jahres 2023 – nur ein inhärent rassistischer Angriff auf das beste Deutschland aller Zeiten sein. Würde doch eine solche Datenlage die Verwerfungen belichten, die das unbegrenzte Anlocken von Migranten aus aller Welt mit sich bringt. Kurz: Die Schattenseiten von „Refugees Welcome“ werden offenbar.
Es verwundert also nicht, wenn einige Medien die Polizeistatistik „richtig einordnen“ wollen – heißt, in einem Sinn, dass sie nicht von „Rechten instrumentalisiert“ werden kann. T-Online etwa gibt dem Leser einen Artikel in die Hand: „Wie aussagekräftig sind die Zahlen?“ Damit insinuiert bereits der Titel, dass prinzipiell etwas an der Statistik faul sein muss – sonst stünden die Zahlen für sich.
Und auch in einer anderen Hinsicht wird die Analyse der Statistik schon im Vorhinein richtig „geframt“: „Die ‚Ausländerkriminalität‘ als Begriff wird inzwischen vor allem als Angstwort verwendet. Denn wissenschaftlich belegt ist ein Zusammenhang zwischen Herkunft und Wahrscheinlichkeit der Straffälligkeit nicht.“ Ein solcher Beleg ist aber gar nicht erforderlich. Wenn Kriminalität nicht von Inländern ausgeht, dann handelt es sich per definitionem um Ausländerkriminalität. Wenn ein Begriff für t-online zum Angstwort wird, mag das auf Empfindlichkeiten in der eigenen Redaktion schließen lassen – den Begriff berührt das nicht.
Auch die Zeit versucht sich an der Relativierung. In ihrem Artikel „Es ist bizarr, wie die Zahlen überinterpretiert werden“, kommt der Kriminologe Tobias Singelnstein zu Wort. Bereits im Vorspann kündigt die Wochenzeitung an, dass die Statistik wenig über die echte Kriminalität aussage. Der Polizist erklärt gegenüber der Zeitung: „Die Statistik spiegelt nur das wider, was die Polizei sehen kann und erfassen will. Die PKS wird behandelt wie der Goldstandard der Kriminalitätsmessung. Sie ist aber nur der Blechstandard.“
Auch Singelnstein nimmt das Argument auf, dass es nur heißen könnte, dass mehr Anzeigen bearbeitet würden. Er liefert aber noch ein mögliches rassistisches Motiv mit: „Aus der Forschung ist zum Beispiel bekannt, dass man eher Menschen anzeigt, die man als nicht zur eigenen Gruppe gehörend wahrnimmt.“ Und: „Mich stört generell schon diese Einteilung in deutsche und nicht deutsche Tatverdächtige. Selbst wenn es zum Beispiel in Sammelunterkünften zu besonders viel Gewalt kommt, dann liegt das an den Lebensbedingungen dort und an der sozialen Lage der Bewohner, ihrer Altersstruktur und anderem.“
Ziel erreicht: Singelnstein folgert, dass eine solche Unterteilung „im Kontext Kriminalität praktisch nichts aussagt, aber rassistische Diskurse bedient“. Leider entlarvt eine Umkehrung der Argumente ihre Schwäche: Würde denn, wenn die Zahl der rechtsextremen Straftaten stiege, sich irgendein Polizist vor die Kamera stellen und behaupten, das hieße nur, dass mehr Anzeigen bearbeitet würden? Und heißt die Aussage zur Herkunft im Umkehrschluss, dass Singelnstein Arme für prinzipiell kriminell hält, nur, weil sie arm sind? Anders gefragt: Warum ist Herkunft bei Kriminalität laut Singelnstein eine bloße Korrelation, aber Armut eine Kausalität? Fragen über Fragen.
Doch wo t-online und Zeit noch zahm zu „framen“ versuchen, da schießt die Frankfurter Rundschau mit Kanonen. Der Kieler Kriminologe Martin Thüne will die Polizeiliche Kriminalstatistik in ihrer jetzigen Form abschaffen. Es handele sich um „eine problematische Datengrundlage“. Man müsse das PKS-System radikal infrage stellen. Als einen Kritikpunkt führte Thüne an, dass „zumindest in der öffentlichen und politischen Debatte die Zahl von ausländischen Tatverdächtigen regelmäßig ins Verhältnis gesetzt wird zur ausländischen Wohnbevölkerung – also zum Beispiel 40 Prozent an den Tatverdächtigen bei nur 15 Prozent in der Gesamtbevölkerung.“ Da würden aber viele Taten von Tatverdächtigen erfasst, die gar nicht in Deutschland leben. „Das sind reisende Tätergruppen, das sind Touristen, das sind Stationierungskräfte, das sind Pendler. Deswegen wird der Anteil an den Tätern immer größer sein als der Anteil an der Wohnbevölkerung.“
Touristen und Pendler sind also dafür verantwortlich, dass in Deutschland so viele Verbrechen angezeigt werden. Wenn man keine harten Fakten hat, dann reichen zumindest weiche Interpretationen. Und schon hat eine Meinung ein ähnliches Gewicht wie eine Statistik.