Es klingt zunächst wie eine gute Nachricht. Ein Richter im US-Bundesstaat Missouri hat den Strafschadensersatz in einem Glyphosat-Prozess gegen Bayer von 1,56 Milliarden auf 611 Millionen Dollar gekürzt. Zunächst war in einer Verfügung vom 15. März sogar von 61,1 Millionen die Rede. Bayer erklärte, Berufung gegen die Entscheidung einzulegen.
Im Fokus steht der Zankapfel „Roundup“. Die drei Kläger in Missouri sind der Meinung, dass sie ihre Krebserkrankungen auf den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup zurückführen können. Bayer bestreitet das und verweist auf jahrzehntelange Studien, die gezeigt hätten, dass ihr Produkt sicher sei. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation bewertete den Wirkstoff 2015 indes als „wahrscheinlich krebserregend“.
Analysten sind alarmiert
Dieser Einschätzung folgte das Gericht in Missouri. Dies sahen Geschworene in Philadelphia ebenso. Anfang des Jahres verurteilte das Gericht den Konzern aus Leverkusen zu 2,2 Milliarden Euro Schadensersatz. Ihrer Meinung nach war „Roundup“ der Grund dafür, dass der Kläger an Krebs erkrankt ist. Es ist die höchste Strafe, die Bayer bislang zahlen musste.
Die Bayer-Aktionäre reagierten geschockt – die ohnehin schon tief gesunkene Bayer-Aktie verlor weitere fünf Prozent ihres Wertes. Entsprechend besorgt reagiert Markus Manns, Portfoliomanager beim Bayer-Aktionär Union Investment, auf die Prozess-Niederlage: „Anders als noch vor einem Jahr gedacht, konnten die Glyphosat-Klagen durch die außergerichtliche Vereinbarung nicht eingeschränkt werden.
Im Gegenteil: Es sieht so aus, als ob das Ganze wieder von vorne losgeht. Die Zeitungsanzeigen, mit denen sich US-Anwälte potenzielle Glyphosat-Geschädigte suchen, sind massiv gestiegen und werden durch den gewonnenen Prozess weiteren Auftrieb erhalten“, so Manns gegenüber der Wirtschaftswoche. Auch der Chefanalyst der Schweizer US-Bank UBS, Jo Walton, hat die Bayer-Aktie nach dem jüngsten Gerichtsurteil mit einem Zielkurs von 34 Euro belassen, wie der Aktionär berichtete.
Mehr als nur die „üblichen Skandale“
Aufgrund der weiteren drohenden Schadensersatzzahlungen werden höhere Rückstellungen nötig sein. Dies belastet weiterhin die Bilanz und die Handlungsfähigkeit des Konzerns. Gerade diese ist für die Zukunftsmärkte von Bayer, wie zum Beispiel Gentherapie, vonnöten. Bis diese Marktreife erlangen, wird es noch einige Zeit dauern.
Hinzu kommt erschwerend: Der Patentschutz für die Cashcows Xarelto, ein Präparat gegen Herzrhythmusstörungen, sowie Eylea, das bei der Behandlung von Netzhauterkrankungen angewendet wird, läuft in nächster Zeit aus. Auch der Studienrückschlag bei dem Herzmedikament Asundexian, dessen Wirksamkeit bisher als zu gering eingestuft wurde, belastet den Konzern zusätzlich. Es sieht nicht gut aus.
Neben den „üblichen“ Skandalen wie Lipobay, in der der aktuelle Gesundheitsminister mutmaßlich eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, kommen durch den Rekordkauf erworbene Belastungen hinzu. Ein Detail unterstreicht die Ausweglosigkeit zusätzlich: Am 4. Juni 2018 entschied Bayer, den Namen Monsanto zu streichen. Das heißt, seit mehr als fünf Jahren wird der Markenname offiziell nicht mehr getragen. Dennoch berichten Medien und Experten ständig von „Monsanto“.
Damit hat Bayer ein toxisches Branding in ein Unternehmen gebracht, das für die Branche ein vergleichsweise gutes Image hat, egal, ob der Name „Monsanto“ geführt wird oder nicht. Das schlechte Image aus dem US-Konzern ist längst in Leverkusen angekommen.
Umstrukturierungen werden nicht ausreichen
Der Konzern scheint die schwierige Lage erkannt zu haben und reagiert. Wie das Handelsblatt berichtet, möchte Bayer-CEO Bill Anderson die Führungsriege von elf auf fünf Personen mehr als halbieren. So soll das gesamte kommerzielle Geschäft künftig von einem Chief Operating Officer geführt werden, genauer gesagt von Sebastian Guth, dem bisherigen Leiter des Pharma-Amerikageschäfts. Er dürfte also mit den Milliarden an Strafzahlungen voll im Bilde sein.
Auch hat Anderson vor, weite Teile der Onkologie, des globalen Marketings und Medical Affairs zum Bereich „Global Commercialization“ zusammenzufassen. Der CEO verspricht sich hier offenbar Synergieeffekte, die eine höhere Effizienz hervorrufen und damit Kosten einsparen.
Ob das alles genügt, ist fraglich. Fakt bleibt: Mit „Roundup“ hat sich der Leverkusener Konzern Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe ins Haus geholt. Da helfen auch vermeintlich gute Nachrichten aus Missouri wenig. Einziger Lichtblick: Aller Voraussicht nach wird die Werkself Bayer Leverkusen Deutscher Meister im Herrenfußball. Doch das wird nicht über die prekäre Situation im Unternehmen hinwegtäuschen.