Professor Susanne Schröter ist emeritierte Ethnologieprofessorin. Außerdem leitet sie das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Für ihre scharfe Kritik an linker Politik und dem politischen Islam steht sie immer wieder in der Kritik. Roland Tichy hat anlässlich des Erscheinens ihres Buches „Der neue Kulturkampf“ ein Interview mit ihr geführt.
Roland Tichy: Frau Schröter, Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Der neue Kulturkampf“, der Untertitel lautet, „Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Susanne Schröter: Man hat sich eine kleine Gruppe von Ideologen vorzustellen, die es mit geschickten Strategien auch in langjähriger Arbeit geschafft haben, tatsächlich eine sogenannte kulturelle Hegemonie zu erreichen, und zwar sowohl im Wissenschaftsbereich, vor allen Dingen bei den Geisteswissenschaften, aber auch in den Medien, im Kulturbereich, im Bildungssektor und in dem, was man den vorpolitischen Raum nennt. Dort haben sie eine große Anzahl von Nichtregierungsorganisationen etabliert, die allerdings von Steuergeldern leben.
Vielfach werden ja auch Bücher und Theaterstücke im Namen der Wokeness umgeschrieben. Warum?
Ja, warum wird Mozart umgeschrieben? Warum darf eine Seniorengruppe auf der Bundesgartenschau nicht mehr ihre Tänze vorführen? Dem liegt das Grundkonzept der woken Ideologie zugrunde. Das kommt eigentlich aus dem amerikanischen und bedeutet, dass man erwacht gegenüber Rassismus ist. Das ist der Ursprung, und das waren also Aktivisten, die sich gegen Rassismus organisierten. Das waren anfänglich vielleicht mal sehr gute Ideen oder ein ehrenhaftes Anliegen, aber es ist in das komplette Gegenteil umgeschlagen. Mittlerweile hat sich da ein neuer Rassismus entwickelt unter diesem Label, und zwar ein Rassismus, der sich insbesondere gegen Menschen mit weißer Hautfarbe richtet.
Sie sprechen davon, es sei ein Gesamtkonzept. Wo trifft das? Trifft dieses Gesamtkonzept auf das Leben des Einzelnen?
In vielfacher Weise, zum Beispiel über Sprachregelungen. Wir kennen diese ganze Debatte um Gendern, aber es geht nicht nur um den, es geht auch darum, wie bestimmte Begriffe permanent durch andere ersetzt werden. Nehmen wir mal den Begriff des „Asylsuchenden“, den wir vor einigen Jahren noch als völlig normal verwendet haben für diejenigen, die nach Deutschland gekommen sind, um hier politisches Asyl zu beantragen. Dann wurde dieser Begriff als zu diskriminierend plötzlich bezeichnet und dann durch den Flüchtling ersetzt. Natürlich sind nicht alle diejenigen, die hier Asyl beantragen, tatsächlich Flüchtlinge, aber man war der Ansicht, das passe besser, und es könnte zu mehr Sympathie führen. Aus dem Flüchtling, der ja aktiv ist, man flüchtet aktiv, wurde dann der Geflüchtete. Ich glaube, viele Leute haben sich keine Gedanken gemacht, warum plötzlich Geflüchtete.
Dahinter steht aber ein Konzept: Die Menschen, die hier bei uns ankommen, können gar nichts dafür. Sie sind zwangsweise hier. Das suggeriert der Begriff „Geflüchtete“, aber mittlerweile sind alle, die hier herkommen sprachlich Geflüchtete, egal, aus welchem Grund sie hergekommen sind. Den normalen Menschen leuchtet es völlig ein, dass man Menschen, die Schutz suchen, den Schutz gewähren muss. Ja, das ist in unserer Tradition nicht anders möglich. Das hängt mit dem christlichen Menschenbild zusammen, das hängt aber auch mit dem Humanismus zusammen, und durch solche Begriffe wird verschleiert, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen bei uns zuwandern, und nicht alle suchen Schutz.
Sie argumentieren also, dass die Sprache eine neue politische Wirklichkeit erzeugt. Die neue politische Wirklichkeit ist, dass jeder, der über die Grenzen dieses Landes kommt, Schutzsuchender wird und damit eigentlich die Begrenzung, die das ursprüngliche Asylrecht hatte, aufgehoben ist.
Was sind denn noch so Bereiche? Der Schutzsuchende war eingängig.
Die Gendersprache natürlich auch. Ursprünglich ging es mal darum, ob Frauen sich mit repräsentiert fühlen, wenn man nur die männliche Form benennt, oder brauchen wir da noch was anderes? Wir haben seit vielen Jahren Doppel-Nennungen. „Liebe Bürger und Bürgerinnen“, das ist ja in der Politik schon gang und gäbe. Aber mittlerweile ist da etwas völlig anderes hinzugekommen, nämlich die Idee, es gäbe mehr als zwei Geschlechter. Biologisch sei die Zweigeschlechtlichkeit nicht mehr haltbar, das sei ein rechtes oder rechtsradikales Konzept, heißt es. Und das möchte man jetzt abbilden. Daher kommt diese neue Art des Genderns, gegen die sich natürlich viele Menschen versuchen zu erwehren. Die Mehrheit der Bevölkerung, selbst derjenigen, die Grünen-Wähler sind, lehnen ja die Gendersprache ab. Um das zu ändern, möchte man einfach eine Sprache festschreiben, und hofft, dass die Wirklichkeit dann hinterherläuft.
Sie sprechen in Ihrem Buch, ich zitiere, vom „Machtkampf zwischen Einwanderern und Einheimischen“. Es soll künftig Anpassungskurse für Einheimische geben, Integrationskurse für Einheimische. Wird da die Welt umgekehrt? Sind die Einheimischen jetzt die Opfer?
Ich habe in meinem Buch viele Migrationsforscher und Forscherinnen zitiert, die der Meinung sind, dass sich die Einheimischen anpassen müssen, an die migrantische oder postmigrantische Realität. Also diejenigen, die stören, sind die Einheimischen, die immer noch nicht verstanden haben, was sie alles machen müssen, und nicht diejenigen, die ankommen. Letztere sind die Opfer der als tendenziell rassistisch wahrgenommenen eigenen Gesellschaft, und das ist auch eine interessante Konstruktion. Die eigene Gesellschaft wird als defizitär, als reaktionär, als rassistisch wahrgenommen, und demgegenüber sind die Migranten die Opfer. Daher muss man sich auf die Seite der Opfer stellen und quasi die Bevölkerung zwingen, sich der neuen Realität anzupassen.
Nun hat man ja, wenn man in die migrantischen Gesellschaften schaut, natürlich viele tolle, leistungsfähige Menschen. Es gibt aber auch Phänomene wie Zwangsehen, Genitalverstümmelung, Inzest, Kinderehen, Ehrenmorde an Frauen. Also das sind Missstände, die müsste man ja eigentlich bekämpfen.
Die müsste man eigentlich bekämpfen, und da verrät die Linke ihre eigenen Grundsätze, muss ich sagen. Die Bekämpfung dieser Missstände ist ja auch kein Gegensatz zwischen Migranten und Einheimischen, daran muss ja allen gelegen sein – und wenn das nicht geschieht, dann sind die Migranten die großen Leidtragenden.
Sie sprechen mit Blick auf die Unis von einem Unterwerfungssystem, und dass sich Wissenschaftler eben dieser Ideologie unterworfen haben. Es greift ja, so höre ich mittlerweile, sogar auf Ingenieurwissenschaften aus, wo man meint, da ginge es nur um Fakten. Wie funktioniert dieses Unterwerfungssystem gerade an Unis, die doch eigentlich immer der Hort der Liberalität, der Freiheit und des Fortschritts waren?
Ja, die Unis waren zwar der Hort der Liberalität, aber wir kennen das doch schon seit den 1960er-Jahren, dass es auch immer wieder, damals von Studenten ausgehend Versuche gab, das bestimmte Ideologien prioritär zum Zuge kommen sollten. Damals wurde das allerdings durch die Professorenschaft immer noch wieder abgefedert. Mittlerweile haben wir aber auch Professoren, die aus den Achtundsechzigern und noch viel mehr aus den Folgebewegungen kommen. Sie sind ganz maßgeblich von Ideologien geprägt, insbesondere von der sogenannten postkolonialen Theorie, denen ein schlichtes Weltordnungssystem zugrunde liegt. Die Postkoloniale Theorie sieht auf der einen Seite den weißen Westen als ultimativen Täterblock, der für alles Übel in der Welt verantwortlich ist, und auf der anderen Seite den Rest der Welt, der in einer Opferrolle verharrt und eben durch diesen Westen immer wieder diskriminiert, dominiert und ausgebeutet wird. Sie ist in großen Teilen der Geisteswissenschaften mittlerweile Mainstream. Alles, was sich nicht in diesem theoretischen Rahmen bewegt, gilt schon als menschenfeindlich, als rassistisch, als islamophob, als transfeindlich und natürlich immer auch als rechts im Sinne von rechtsradikal, und diese Ideologien sind Teil des Lehrplans.
In den Achtundsechzigern gab es schon solche Gedanken, aber damals war das Teil der Opposition in den Universitäten, der Lehrplan sah noch anders aus. Jetzt sind diese Ideologien Teil des Lehrplans, werden an die Studenten weitergegeben, und von daher gibt es tatsächlich eine ganz andere Durchsetzungsmacht. Aber dennoch, ich würde immer noch sagen, dass diejenigen, die tatsächlich im Sinne dieser Ideologie handeln und sie für die einzige Erklärung der Welt halten, dass es eine Minderheit ist. Diese Minderheit setzt sich aber mit einer unglaublichen Aggressivität durch. Es sind Professoren, Mitarbeiter und Studenten, die dann gleichermaßen Anschluss suchen an Aktivisten außerhalb der Universität. So hat sich ein Block entwickelt, der aus der Universität heraus – und in die Universität hinein – regieren kann. Wer dagegen ausschert, also wer zum Beispiel wie ich über Islamismus forscht oder auch Kritik an der gegenwärtigen Einwanderungspolitik übt, gilt sofort als Rassist und wird mit so einer geballten Phalanx von Professoren, Studenten, Mitarbeitern und Aktivisten konfrontiert.
Das Interessante ist: Die Professoren, die nicht Teil dieses Blocks sind, die könnten sich ja wehren. Aber, das ist die Feigheit der Menschen. Man neigt dazu, in seinem Sozialsystem sich anzupassen. Wer dann am aggressivsten vorgeht, hat gewonnen.
Nun ist es ja schwierig, hier die Veränderung vorzunehmen. Sie beschreiben die Aggressivität. Sie beschreiben die Wirkung in den Unis, die dann langfristig Wirkung entfaltet. Sie beschreiben die Wirkung in den Medien, die unser Denken mit beeinflussen. Wo soll da die Wende herkommen? Und sie müsste ja auch wieder sehr lange Zeit in Anspruch nehmen.
Ja, selbstverständlich geht das nicht von heute auf morgen. Manche Sachen kann man vielleicht schnell ändern, Gesetze und Verordnungen abschaffen. Und sicherlich könnte sich einiges ändern, wenn wir neue Regierungen hätten, die vielleicht doch von anderen Ideen geprägt werden. Aber ja, es würde lange dauern, und man muss natürlich auch aufpassen, dass es nicht ins Gegenteil rutscht. Das ist das große Problem. Wenn wir eine linke Offensive haben, dann kriegen wir auch eine ultrakonservative, rechte Gegenoffensive – und dazwischen wird möglicherweise alles zermahlen, was ich als positiv empfinden würde.
Diese Abschrift ist ein Ausschnitt aus einem Video-Interview, das Roland Tichy mit Susanne Schröter geführt hat. Das ganze Gespräch finden Sie hier >>>