Wenn die Populisten sagen, dass ein Großteil unserer Probleme von der etablierten Politik ausgeht, kann ihnen kaum widersprochen werden. Viele hausgemachte Probleme sind in den letzten Jahren deutlich zutage getreten. Dazu gehören:
- Eine prekäre Energiepolitik. Deutschlands Energieversorgung, so das ernüchternde Fazit eines Berichts des Bundesrechnungshofs von Anfang März, sei gefährdet. Die im internationalen Vergleich hohen Strompreise – weitere Steigerungen sind zu erwarten – zeitigen bereits heute ernste Konsequenzen für die Wirtschaft und damit den Lebensstandard vieler Menschen.
- Die Vernachlässigung der Verteidigungsfähigkeit des Landes, die angesichts eines weniger als 1000 Kilometer von der deutschen Grenze entfernten Kriegs viele – zurecht – beunruhigt. Gelder, die in die Landesverteidigung geflossen sind (im Schnitt, in den letzten Jahren über 40 Milliarden Euro im Jahr) wurden offensichtlich nicht effizient investiert. Das Bild einer Armee, die unter Material und Personalmangel leidet, ist nicht das, was sich viele Wähler wünschen.
- Das nicht eingehaltene Versprechen, die Immigration so zu regeln, dass die Integration der Zuwanderer gelingen kann. Die einzige Schlussfolgerung, die diese jahrelange Nicht-Einhaltung erlaubt, ist, dass die Politik entweder nicht willens oder nicht fähig ist, dieses Versprechen umzusetzen. Beides dürften die Wähler kaum goutieren.
- Auch die Erkenntnis, dass die Landwirtschaft, wegen übertriebener Umweltauflagen, verfehlter Klimapolitik und bürokratischer Vorschriften um ihre Existenz kämpft, kann die Wähler kaum erfreuen. Wenn bei den Protesten, wie im Januar in Berlin, die Menschen am Straßenrand stehen und den Bauern zujubeln, dann, weil sie wissen, dass eine heimische Lebensmittelproduktion schützenswert ist.
Das gängige Argument gegen diese Vorwürfe lautet: „Glaubst Du etwa, die Populisten könnten es besser? Die sind doch noch schlimmer“. Das Argument entbehrt nicht jeder Grundlage. Doch sollte es – auch von denen, die zum Beispiel die AfD kritisch sehen – zurückgewiesen werden. Zum einen, weil es eine der rückständigsten und fatalistischsten Botschaften der letzten Jahre bestärkt: die Botschaft der Alternativlosigkeit. Seit Jahren wird den Wählern suggeriert, dass unsere Politik, ob sie sie mögen oder nicht, „alternativlos“ sei. Doch eine alternativlose Politik ist eigentlich keine Politik, zumindest keine, wie wir sie in Demokratien kennen.
Es stimmt zudem nicht, dass die Populisten genauso schlimm, wenn nicht schlimmer, sind als die etablierte Politik. Sie haben – egal wie man zu ihnen steht – etwas sehr Wichtiges bewirkt: die Öffnung der politischen Debatte. Nur dem Populismus ist es zu verdanken, dass die Themen, die so vielen Wählern wichtig sind, wieder ganz oben auf die Tagesordnung gelangt sind. Und so kann keine Partei und keine Regierung, auch bei den anstehenden EU-Wahlen, den demokratischen Druck ignorieren, der von den Wählern ausgeht.
Wer sich Sorgen um einen wachsenden Rassismus macht, sollte sich fragen, woher die vielen offen zutage getretenen Manifestationen des Antisemitismus auf unseren Straßen kommen. Die Aktionen und Demonstrationen, die die Vernichtung des einzigen jüdischen Staates der Welt fordern, gehen nicht – zumindest im Moment nicht in erster Linie – von Rechtsextremen aus, sondern von der kulturellen Linken und Teilen der muslimischen Einwanderergesellschaft. Es war der Multikulturalismus, der jeden Ruf nach Integration ablehnt, Diversität zum Ziel an sich erklärt und die Sonderstellung von Migranten zelebriert, der diese Situation hervorgerufen hat.
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass der Populismus keine statische Bewegung ist, sondern ein Prozess. Auch die populistischen Parteien müssen Wähler überzeugen und sich dem Druck der öffentlichen Debatte stellen. So ist zum Beispiel der Populismus Marine Le Pens in Frankreich heute ganz anders als vor noch einigen Jahrzehnten. Auch, dass es unterdessen mehrere populistische Parteien gibt, mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausrichtungen, zeigt die Dynamik der Dinge. Tatsächlich ist der Populismus eine demokratische Revolte, die sich gegen die engen Grenzen der etablierten Politik zur Wehr setzt. Für Demokraten ist der Populismus daher nicht das Schreckgespenst, das er für seine Gegner darstellt.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Novo erschienen.
Mehr von Sabine Beppler-Spahl lesen Sie in dem Buch „Raus aus der Mitte! Wie der Parteienkonsens die Demokratie untergräbt“. Beppler-Spahl ist Autorin von „Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“.