Tichys Einblick
Überleben im Superwahljahr 2024

Ampel-Absturz bei Illner: „Es war nicht alles schlecht“ unter Merkel

Die CDU arbeite an einem neuen Grundsatzprogramm, „weil die Zeiten sich einfach ändern“, so Wolfgang Bosbach. Klar: Dass die CDU sich vom Merkel-Kurs abwenden sollte, liegt nicht etwa daran, dass Merkel viele der Probleme verursacht hat, die man nun der Ampel anhängt. Die Zeiten haben sich einfach geändert – früher war schwarz in, jetzt türkis.

Screenprint: ZDF / Maybritt Illner

Der Titel „Viel Krise, wenig Vertrauen – überlebt die Ampel das Superwahljahr?“ fragt eindeutig nach den Überlebenschancen der Ampel in den diesjährigen Wahlen, Illner macht in ihrer Einleitung der Sendung daraus „die demokratischen Parteien“. Das kann man wohl synonym verwenden, wenn man überall einen Angriff auf die demokratische Grundordnung sieht. Dann sieht es für unsere Demokratie aber eng aus: Wie selbst die Statistik des ZDF-Politbarometer anzeigt, würde nur noch jeder Dritte die Ampel-Parteien wählen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Und als ob das nicht schon bitter genug wäre, ist die FDP nach dieser Umfrage unter der 5-Prozent-Hürde und dann auch noch hinter der Wagenknecht-Partei, die es auf 6 Prozent schafft. Die AfD ist mit 18 Prozent die zweitstärkste Kraft nach der CDU (31 Prozent), während die SPD mit 16 Prozent und die Grünen mit nur noch 13 Prozent ganz schön alt neben dem hellblauen Balken aussehen. Es gibt eine weitere gute 5-Prozent-Hürden-Nachricht: Die Linke schafft es nur auf 3 Prozent und wäre vielleicht endlich Geschichte.

In dieser Runde, in der alle ehrlich sein wollen, wie Illner ankündigte, saßen die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD), Wolfgang Bosbach, der den CDU-Wahlkampf im Osten unterstützen soll, der parteilose Landrat von Mittel-Sachsen Dirk Neubauer (nicht mit der anderen Neubauer verwandt), die Journalistin Sabine Rennefanz und die österreichische Journalistin Eva Linsinger. Die letzten drei taten sich nicht in irgendeiner Weise besonders hervor.

Dirk Neubauer übt sich im Optimismus und will ja auch gar nicht davon sprechen, dass er „regieren“ würde, und will überhaupt gar nichts sagen, womit er jemandem zu nahe treten würde. Die Bevormundungspolitik der Ampel, die er dem Kontext nach wohl grundlegend ablehnt, hält er für „mindestens grenzwertig, wenn nicht sogar für falsch“. Damit ist er aber nicht der Einzige, der sich nicht klar ausdrücken wollte.

Manuela Schwesig erklärte über die Einstellung der Wähler im Osten zum Ukraine-Krieg: „Das stimmt, dass in Ostdeutschland differenzierter geschaut wird, dass viele gegen Waffenlieferungen sind, und das benutzt die AfD. Und das ist gemein.“ Manuela Schwesig ist wiederum nicht die Einzige, die hier etwas gehörig gemein findet. Ich finde zum Beispiel gemein, dass Illner es sogar unter diesem Titel geschafft hat, einen erheblichen Teil ihrer Sendung wieder dem Ukraine-Krieg zu widmen.

Auswertung der New York Times
Olaf Scholz ist der unpopulärste demokratische Regierungschef weltweit
Bosbach nutzte den Moment und hielt einen fünfminütigen Vortrag darüber, dass er keine Ahnung vom Ausgang des Ukraine-Krieges hat und nicht in die Zukunft schauen kann. „Ich schwanke hin und her, das sag’ ich Ihnen. Gerade bei der Lieferung von schweren Waffen und Taurus. Ich weiß gar nicht – woher soll ich das auch wissen? –, verlängern wir den Krieg oder verkürzen wir das Leiden? Ich weiß es nicht.“ – Na Mensch, danke für diesen Beitrag.

Wird die breite Masse ihre Wahl wirklich nach Konflikten der Außenpolitik bestimmen? In der EU-Wahl vielleicht noch, weil es da ja ohnehin um internationale Themen geht – doch im Landtag? Oder gar in der Kommunalwahl? Wo die Gewählten im Bezug auf den Krieg höchstens entscheiden dürfen, in welchen Unterkünfte sie die Flüchtlinge unterbringen? Ich glaube nicht. Am Ende geht es um Stromrechnungen, Flüchtlingsheime und Schlaglöcher. Und Vertrauen. Vertrauen ist ein Wort, das Illner sehr gerne in ihre Überschriften steckt. Sie hat offensichtlich begriffen, dass die Menschen das Vertrauen zur Ampel – den „demokratischen Parteien“, wenn man so will – verloren hat. Doch woher das kommt, bespricht sie wenig.

Dabei macht Wolfgang Bosbach in der Sendung ganz gut vor, wie man Vertrauen verspielt. Vielleicht war der Gedanke, sich ihn für den Wahlkampf für die CDU zu holen gar nicht so schlecht. Auch wenn ich nicht verstehe, warum jemand aus dem nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach wissen sollte, wie man in Thüringen Wahlkampf macht. Doch es mag noch Leute geben, die ihn als eine konservative Stimme innerhalb der CDU wahrnehmen, aufgrund seiner jüngsten Auftritte in alternativen Medien vielleicht sogar als eine Art innerparteiliche Opposition.

Diejenigen dürfen nicht schlecht gestaunt haben, als Bosbach zur Merkel-Ära erklärt: „Es war nicht alles schlecht, es war vieles gut. Und die CDU muss sich für diese 16 Jahre nicht schämen.“ Das war’s dann wohl wieder mit der oppositionell konservativen Stimme. „Jetzt arbeiten wir an einem neuen Grundsatzprogramm, auch weil die Zeiten sich einfach ändern.“ Klar. Dass die CDU sich eventuell vom Merkel-Kurs abwenden sollte, liegt nicht etwa daran, dass sie viele der Probleme überhaupt verursacht hat, die man nun der Ampel anhängt. Die Zeiten haben sich einfach geändert – früher war schwarz in, jetzt ist es türkis.

Redaktionsschluss mit David Boos
Muttis Erbe: Hypermoral
Als ob Herr Bosbach sich damit nicht schon genug reingeredet hat, muss er zum Ende der Sendung noch mal so richtig in die Raute gehen. Illner konfrontiert ihn mit dem Stadtrat in Dresden, der gerade – auf Antrag der AfD, mit Stimmen der CDU – für die Bezahlkarte für Flüchtlinge abgestimmt hat. „Die ganz komplizierte Frage: Wenn eine grundvernünftige Sache nur mit der AfD und den Stimmen der AfD zur Geltung kommen könnte und also Realität werden würde – stimmt die CDU dann dafür?“

Bosbach steht eine Weile der Mund offen. Es ist diese eine unangenehme Frage, die abseits von der Stellung zur AfD eine ganz andere Antwort liefert: Wie ernst meint Herr Bosbach es mit dem Wahlkampf im Osten? Ist er seiner Aufgabe gewachsen und hat er sie überhaupt verstanden? „Sie wollen mich jetzt wahrscheinlich fragen, ob ich das für einen Fehler halte, ja oder nein. Ja! Ich halte das für einen Fehler, weil das ein mentaler Unterschied ist, ob die CDU einen Antrag einbringt und die AfD stimmt zu, das kannst du gar nicht verhindern. Oder ob ich mich anhänge an einen Antrag der AfD. Ich hätte es nicht gemacht.“

„Wenn das Schule macht, werden wir im Hinblick auf den Bundestagswahlkampf riesige Probleme bekommen, weil da ohnehin die Geschichte erzählt wird: ‚Kampf gegen Rechts‘, Union gehört dann natürlich mit zu Rechts, und die machen am Ende doch gemeinsame Sache mit der AfD.“ Die CDU kann sich den Osten dann wohl abschminken. Die Frage von Frau Illner war formuliert wie ein moralphilosophisches Gedankenexperiment, das Polit-Trolley-Problem unserer Zeit, wenn man so will: Ein Zug fährt auf eine Gleisgabelung zu und droht sehr viele Menschen zu töten – um ihn umzulenken und die Menschen zu retten, muss man für einen AfD-Antrag stimmen – was tut man?

Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube nicht, dass Illner Herrn Bosbach den Kopf abgerissen hätte, wenn er anders geantwortet hätte. Sie klang eigentlich ziemlich verständnisvoll – und mal ehrlich: Wenn wir alle den gesunden Menschenverstand benutzen, sollte diese Frage zu beantworten nicht kompliziert sein. Man kann an die Stelle der AfD auch jede andere Partei setzen. Ich wäre bereit einen Antrag der AfD, der Linken, der Grünen, also jeder im Parlament vertretenen Partei zu unterstützen, wenn dieser eine „grundvernünftige Sache“ wäre. Wir reden doch hier ohnehin in theoretischer Hinsicht, Herr Bosbach hat kaum mehr zu sagen als ich oder der Chef vom Schlutuper Makrelenzüchterverein.

Volksfront von Judäa
Die konservativen Parteien können von den Grünen lernen
Bosbach hat Angst, dass die CDU als „rechts“ betitelt wird. Der Ruf seiner Partei in einem Jahr ist ihm wichtiger, als dass die Regierungen in Deutschland handlungsfähig bleiben und die bestmöglichen Entscheidungen treffen. Er will sich von linkem Wahlkampf und so gesehen auch von der AfD treiben lassen, statt das zu tun, was er inhaltlich für richtig hält – und diese Entscheidungen trifft er nicht unter Druck, sondern als Rentner und Teilzeitberater in einem klimatisierten Talkshow-Studio. Man muss sich schon fragen, ob er Merkel eingangs nicht deshalb so gelobt hat, weil er sie damals zum Kretschmer-Skandal beraten hat. Die gleiche Attitüde hat er zumindest.

Bosbach sollte vielleicht bei dem bleiben, was er kann – ein Ossi-Versteher wird aus ihm jedenfalls nicht mehr. Ich würde mir als jemand, der zwar im Westen (nach dem Mauerfall) aufgewachsen ist, dessen komplette Verwandtschaft aber aus dem Osten kommt, eine gewisse Expertise zusprechen. Und ich kann Herrn Bosbach – und jedem Wessi, der im Osten gerade große Polit-Karriere machen will, davon gibt es ja einige – nur sagen, dass ich bisher noch keinen gesehen habe, der den Osten wirklich verstanden hat.

Man kann nicht einfach daher spazieren und ein bisschen was Konservatives sagen. Gerade die CDU wird es da schwer haben. Denn was man gern vergisst: Die Ossis kennen die CDU schon etwas länger, damals noch als Blockpartei. Wie viel die mit der heutigen CDU zu tun hat, ist dabei erst mal egal. Klar ist, dass die Ossis mit diesem Kürzel nichts Vertrauenserweckendes verbinden. Wenn man also im Osten die CDU groß machen will, sollte man vielleicht nicht damit anfangen, sich als Getriebener der anderen Parteien darzustellen, der auch gegen die eigenen Überzeugungen handeln wird, um an der Macht zu bleiben. Das kommt so gar nicht gut.

Was das Publikum von dieser Illner-Sendung gehalten hat, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen. Der X-Account zur Sendung wurde eingestellt und ist somit nicht mehr aktiv. Bis zur letzten Sendung hatte man da noch die wichtigsten Zitate aus der Sendung live getwittert – das war vor allem deshalb interessant, weil man anhand der Antworten und dem Like-Verhältnis ungefähr die Stimmung ablesen konnte. Doch wie so viele Accounts des Öffentlich-Rechtlichen ist Illner nun von X (vormals Twitter) verschwunden. Jetzt kämpfen die wenigen Tweets unter dem Hashtag #Illner gegen die vielen Tweets über die Traum-Villa bei Germanys Next Topmodel an – und verlieren dabei kläglich.

Anzeige
Die mobile Version verlassen