Tichys Einblick
Thomas Haldenwang

Die Phantome des Verfassungsschutzchefs

„Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats“, so das Bundesverfassungsgericht 2011. Dieser Satz entzieht Haldenwangs Behauptung „Wir sind politisch neutral, aber nicht gegenüber denen, die gegen unsere freiheitliche Demokratie agieren und agitieren“ den verfassungsmäßigen Boden. Es ist ja gerade das Kennzeichen einer freiheitlichen Demokratie, dass gegen sie „agitiert“ werden darf.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Wir wissen nicht, ob Thomas Haldenwang am Karfreitag an seiner Verteidigungsschrift, die dann treffsicher wie ein Aprilscherz in der FAZ am 1. April erschien, noch oder schon schrieb, doch was wir wissen, ist, dass sich am Karfreitag laut der Hamburger Morgenpost (Mopo) und dem Hamburger Abendblatt über 400 Menschen zu einem „Islamisten-Treffen in Hamburg“ versammelten. Die Mopo berichtete: „Ab 15 Uhr kamen bis zu 400 Menschen zu der Eventlocation … Demnach hätte ein Sicherheitsdienst den Eingang bewacht, Stellwände seien als Schutz vor neugierigen Blicken vor die Fenster gestellt worden – offenbar sollten Fremde von dem Islamisten-Treffen nichts mitbekommen.“

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Laut Mopo fand das Treffen unter dem Motto „Die Gebetsstätten und das Versprechen Allahs“ statt und wurde von der Bewegung Hizb ut-Tahrir (HuT) veranstaltet: „Ein scheinbar harmloser Name. Doch die Hizb ut-Tahrir ist eine verfassungsfeindliche Gruppe, deren Ziel die Wiedereinführung eines Kalifats und die Errichtung eines islamischen Staats unter Führung eines Kalifen sei. So steht es auf der Internetseite des Innenministeriums NRW.“ Weder Olaf Scholz noch Nancy Faeser äußerten sich zu diesem „Geheimtreffen“, geschweige denn, dass sie einen Aufmarsch promoteten.

Auch auf den antiisraelischen bis antisemitischen Pro-Hamas-Demonstrationen wurde die Forderung nach Gründung eines Kalifats in Deutschland laut und als Zeichen islamistischer Landnahme die palästinensische Fahne auf den Neptunbrunnen in Berlin-Mitte gehisst. Und als hätte Michel Houellebecq die Entwicklung in Deutschland in seinem Roman „Die Unterwerfung“ vorausgeahnt, soll eine Partei des Islam unter dem Namen DAVA in der Bundesrepublik gegründet werden. Der Parteiname Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch klingt erstmal gut, doch wie immer, wo Vielfalt draufsteht, steckt die Entrechtung der Mehrheit des deutschen Volkes und im Grunde eine Gesinnungsdiktatur drin. Nicht zufällig dürfte der Schritt vom Namen DAVA zu dem islamistischen Begriff Da’wa, der die Belehrung der Nichtmuslime durch Muslime bezeichnet, nicht allzu weit sein. Ein Schelm, wer Arges denkt.

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Doch natürlich fiel das Thomas Haldenwang nicht auf, der wieder und wieder die Correctiv-Texte fast wie ein Gebet memoriert, der nicht müde wurde, die Aktionen der Letzten Generation, die nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern auch die Flugsicherheit bedrohten, als Höhepunkt demokratischen Verhaltens zu loben, aber sich außer Stande zeigt, etwas zur Aufklärung des Anschlages der Vulkangruppe auf das Tesla-Werk in Grünheide beizutragen. Dass mit der Einsetzung von Faesers Polizeigroßinquisitor namens Uli Grötsch, der den blendenden Titel Polizeibeauftragter umgehängt bekam, die Hetzjagd gegen nicht linientreue Beamte in der Polizei beginnen wird, hatten der Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann und TE bereits vorausgesagt. Deshalb überrascht die Nachricht nicht, dass „gegen mindestens 400 Polizeibeamte der Länder … einem Medienbericht zufolge derzeit Disziplinarverfahren oder Ermittlungen wegen des Verdachts auf eine rechtsextremistische Gesinnung oder das Vertreten von Verschwörungsideologien geführt“ werden.

Seit der Pandemie und seit der Durchsetzung der Klimaideologie als Glaubensbekenntnis besteht kein Zweifel daran, was die Große Koalition und was die Ampel unter Verschwörungsideologie verstand und versteht – häufig genug nur die unbequeme Wahrheit, die weggeframt und auch eingesperrt wurde. Die Große Säuberung – oder wie die Russen sagten „Bolschaja tschistka“ – hat wohl begonnen. Heiner Müller hatte bereits in dem Stück Wolokolamsker Chaussee über die politische und die politisierte Polizei geschrieben:

„Wir produzieren/Ordnung und Sicherheit/Ja und Bewusstsein./Ja und Bewusstsein Richtig Und die Mutter/der Ordnung ist die Ordnungswidrigkeit/Der Vater der Staatssicherheit der Staatsfeind/Und wenn das Licht in allen Köpfen brennt/Bleiben wir sitzen auf unserem Bewusstsein/Das Spiel heißt Räuber und Gendarm…Der Staat ist eine Mühle die muss mahlen /Der Staat braucht Feinde wie die Mühle Korn braucht/Der Staat der keinen Feind hat ist kein Staat mehr/Einen Königreich für einen Staatsfeind…Du bist zurückgewichen vor den Fakten/Und hast von unsrer Wahrheit dich entfernt/Durch blinden Glauben an den Augenschein/Denn kein Fakt ist ein Fakt eh er auf uns hört“

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Faeser und Co bauen aus diesem Grund den öffentlichen Dienst um. Geduldet wird künftig nur noch, wer sich an die postmoderne Ideologie hält. Wenn Polizeigroßinquisitor Grötsch aufgeregt zu Protokoll gibt: „Wir leben in Zeiten, in denen von Rechtsextremen gezielt versucht wird, die Polizeien zu destabilisieren“, dann verbreitet er nicht nur die postmoderne, also grüne Verschwörungstheorie vom Rechtsruck der Gesellschaft, sondern beschwört auf seine Art Haldenwangs Phantome, die der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz so benennt: „In der Nachkriegsgeschichte war die Demokratie in unserem Land selten so in Gefahr wie heute.“

Nur, dass Thomas Haldenwang durchaus Recht hat: In der Tat war die Demokratie in der Nachkriegsgeschichte noch nie so in Gefahr wie heute, und zwar durch das Wirken der Ampel, durch den Polizeibeauftragten des Bundestages, Uli Grötsch, den man wohl eher einen Polizeisäuberungsminister nennen muss, sowie durch den Chef des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang. Es ist schon peinlich, wie Haldenwang durch Weglassen falsche Eindrücke zu erwecken sucht, wenn er eine Argumentationslinie des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2011 ins Gegenteil verkehrt:

„Wenn beispielsweise Bestandteile unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung attackiert werden, zum Beispiel die Menschenwürde von Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder politischer Akteure verletzt wird, wenn zulässige Kritik und demokratischer Protest in Teilen umschlägt, eskaliert und zu aggressiver, systematischer Delegitimierung staatlichen Handelns wird bis hin zu Gewaltaufrufen, wenn an sich legitime Kritik und Meinungen in extremistische Agitation umschlagen, die die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung erschüttern sollen und so den Boden für unfriedliche und gewalttätige Aktivitäten bereiten können, können solche Äußerungen Belege für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen darstellen.“

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Das nimmt Bezug auf das Urteil, in dem es tatsächlich heißt: „Die Schwelle zur Rechtsgutverletzung ist im Falle des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB mithin erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (vgl. 25, 26, 27, 28 BVerfGE 93, 266 <293>; 124, 300 <332 ff.>). Dies wäre bei entsprechender Form der Meinungsäußerung etwa denkbar, wenn der Bundesrepublik Deutschland jegliche Legitimation abgesprochen würde und dazu aufgerufen würde, sie zu ersetzen.“

Doch, ob die Schwelle überschritten ist, regelt das Gesetz und setzt die Strafbarkeit voraus, die Haldenwang gezielt zu unterlaufen versucht, wenn er unterhalb der Strafbarkeit tätig werden will und sich selbst zum Exekutor und Richter zugleich erhebt. Genau auf diesen Punkt will Haldenwang hinaus, genau das sollen die Correctiv-Tales über den angeblichen Geheimplan belegen, genau das sollen alarmistische Behauptungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes suggerieren, das ist der Tenor von Faeser und Haldenwang und Grötsch und Paus in der Öffentlichkeit.

Doch hebt das Urteil ganz im Gegensatz erstens auf die Gesetze und die Strafbarkeit ab, und zweitens heißt es vor allem: „Bei Staatsschutznormen ist dabei besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik auf der einen Seite und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung auf der anderen Seite zu unterscheiden“, denn nun kommt die Passage, die Thomas Haldenwang offensichtlich nicht in der Lage oder Willens war zu lesen: „weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 – , NJW 1999, S. 204 <205>).“

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Das „besondere Schutzbedürfnis der Machtkritik“ dürfte Haldenwang fremd sein und Faeser an dem Tag vergessen haben, als sie an die Macht kam. Zuvor – und das ist der Haupttenor des Urteils – kann man lesen: „Denn anders als dem einzelnen Staatsbürger kommt dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten.“ Allein dieser Passus entzieht Haldenwangs Beobachtungsbereich „Delegitimierung des Staates“ den juristischen Boden.

Wenn Haldenwang behauptet: „Nach den Verfassungsschutzgesetzen hängt die verfassungsschutzrechtliche Relevanz von Äußerungen als tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz eröffnen, nicht davon ab, ob diese strafbar oder illegal sind“, findet sich im Artikel 5 des Grundgesetzes die glasklare Formulierung: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze …“ – und eben nur dort und eben nicht „unterhalb der strafrechtlichen Grenzen“, wie Haldenwang halluziniert. Die Meinungsfreiheit ist nicht nur ein Freibrief, sie ist das Fundament der Demokratie und der Freiheit schlechthin, der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wer also wie Haldenwang schreibt: „Die Meinungsfreiheit ist von daher kein Freibrief“, der stellt die freiheitlich demokratische Grundordnung grundsätzlich in Frage.

Thomas Haldenwang
Weitgehender und präzisierender noch im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. November 2011 kann man klipp und klar lesen: „Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats.“ Diese grundsätzliche Passage entzieht Haldenwangs Behauptung: „Wir sind politisch neutral, aber nicht gegenüber denen, die gegen unsere freiheitliche Demokratie agieren und agitieren“ den verfassungsmäßigen Boden, denn es ist ja gerade das Kennzeichen einer freiheitlichen Demokratie, dass gegen sie „agitiert“ werden darf. Deshalb schrieb auch der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde zurecht in seinem berühmten Diktum:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Der Rückfall in den Totalitätsanspruch einer Konfession oder einer postmodernen Gesinnung, die Haldenwang mit den exekutiven Mitteln des Staates vorantreibt und die die Familienministerin mit 182 Millionen Euro Steuergelder für ihre Gesinnungs- und Konfessionsfreunde finanziert, ist nicht nur ein Rückfall in den Totalitätsanspruch der postmodernen Konfession, sondern er führt im Ergebnis in die konfessionellen Bürgerkriege zurück, die wir durch demokratische Spielregeln, durch Meinungsfreiheit und ein freies, geheimes und allgemeines Wahlrecht eigentlich überwunden haben.

Thomas Haldenwang
Blickt man also auf die Hexenjagd, die Faeser im öffentlichen Dienst, die durch die Finanzierung grüner Garden, die sich hinter dem Begriff „Zivilgesellschaft“ – die aber Gramsci schon sehr eindeutig als das definiert hat, was sie auch sein soll – verbergen, schaut man auf die Ersetzung der Wissenschaft durch die Gesinnung an den Hochschulen und Universitäten, auf die Indoktrination, die laut Faeser schon in den Kitas beginnen soll, dann versuchen die Ampel-Leute, die repräsentative und pluralistische Demokratie in eine plebiszitäre Diktatur zu umzuwandeln. Das Drehbuch kann man in der Schrift „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ von Karl Marx nachlesen.

Haldenwang hat Recht, die Demokratie und die Freiheit sind wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik in Gefahr, sie wird allerdings von denen gefährdet, die sie eigentlich verteidigen sollten. Das Grundgesetz kennt auch den Artikel 20, in dem es heißt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Und auch hier wird wieder der Charakter des Grundgesetzes, den Faeser und Haldenwang verkennen wollen, deutlich: Das Grundgesetz ist das Widerstandsrecht des Bürgers gegen den übergriffigen Staat, während Haldenwang, das geht aus seinen Zeilen aus der FAZ vom 1. April 2024 deutlich hervor, das Grundgesetz als Regierungsschutzgesetz begreift. In Haldenwangs Tätigkeit, in seiner Propaganda, in der Scheinwerfersucht von Faesers Beamten, der zunehmend der Ministerin die Show stiehlt, lässt sich nur eine Linie erkennen: die Verdrängung des Rechts durch den Verdacht, den Umbau des Verfassungsschutzes zur politischen Polizei als Schwert und Schild von Rotgrün.

Linke und Rechte, Progressive, Liberale und Konservative sollten hellhörig werden und sich zusammenfinden, um die Spielregeln unserer Demokratie zu verteidigen, denn nur, wenn diese funktionieren, kann der demokratische Wettbewerb stattfinden. Ohne demokratischen Wettbewerb stürzen wir in „konfessionelle Bürgerkriege“, weil die Wirklichkeit trotz Cannabis-Freigabe die Wirklichkeit bleibt.

Der französische Regisseur Claude Chabrol hat 1982 den Spielfilm „Die Fantome des Hutmachers“ gedreht, in dem ein Hutmacher seine Frau ermordet hat, aber mithilfe einer Schaufensterpuppe den Anschein erweckt, als lebe seine Frau noch. Doch auf den Geschmack gekommen, kann er vom Morden nicht mehr lassen. So ähnlich verhält es sich auch mit den Grundrechten. In der Pandemie sind regierende Politiker und auch Thomas Haldenwang auf den Geschmack gekommen, Grundrechte einzuschränken – ähnlich wie Chabrols Hutmacher können sie von ihrer Obsession nicht mehr lassen. Deshalb wird ihre Argumentation immer weniger von der Realität und immer mehr von ihren Phantomen begründet.


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