Ursula von der Leyen hat inzwischen mehr als ein Problem. Sie ist recht unbeliebt bei ihren Konkurrenten. Das ist natürlich. Aber auch in ihrer eigenen Parteienfamilie, der EVP, die sich vor der ätzenden Kritik der Machtrivalen fürchtet, aber auch der eigenen Kandidatin zu weit links stehende Positionen vorwirft. Mit anderen Worten: Von der Leyen ist angreifbar, und das schon so lange, dass man sich wundern kann, wie sie sich auf ihrem Stuhl hält.
Andere Kritikpunkte gehen darüber hinaus, werden nun aber erneut in die politische Landschaft geweht. Das gilt etwa für die Bauernproteste, die sich auch den Themen Green Deal und Bürokratie-Wachstum verdanken. Daneben fällt das Licht aber erneut auf von der Leyens Pfizer-Deal vom Frühjahr 2021, den daraus erwachsenen Skandal und die Frage nach dem Verbleib der SMS-Nachrichten, die sie mit Pfizer-CEO Albert Bourla ausgetauscht hat. Davon hatte die New York Times erfahren und darüber geschrieben: Von der Leyen hätte jenen Deal über 1,8 Milliarden Dosen des Biontech-Pfizer-mRNA-Stoffs demnach höchstpersönlich eingefädelt.
Reichen die Ermittlungen der EU-Staatsanwälte aus?
Nun hat die Staatsanwaltschaft im belgischen Lüttich gegenüber Politico bestätigt, dass die Europäische Staatsanwaltschaft (EuStA, auch EPPO) die Ermittlungen gegen die Kommissionschefin in dieser Sache übernommen hat. Ursprünglich hatte der belgische Privatmann Frédéric Baldan Klage wegen „Amts- und Titelanmaßung“, „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ sowie „illegaler Interessenvertretung und Korruption“ eingereicht. Der konkrete Vorwurf Baldans war: Ursula von der Leyen hat, ohne irgendein Mandat dafür zu haben, den Vertrag mit Pfizer-Chef Albert Bourla für die EU-Mitgliedsstaaten ausgehandelt. Bis heute enthält sie die dabei versandten und empfangenen SMS-Nachrichten der Öffentlichkeit und untersuchenden Behörden vor.
Durch die nun auch offiziellen Ermittlungen der EU-Staatsanwaltschaft wird von der Leyens Lage brenzliger. Die EuStA hat das Recht, Smartphones und weiteres relevantes Material in allen Mitgliedsländern zu beschlagnahmen, soweit es dabei um Finanzkriminalität geht, also auch in Belgien, wo die Kommission ihre Büros hat, oder in Deutschland. Die Frage bleibt offen, ob die EuStA die gesamte Klage übernehmen kann. Denn die EU-Staatsanwälte sind nur für Korruption zuständig, soweit sie zu finanziellen Einbußen für die EU führt. Amtsanmaßung und Vernichtung öffentlicher Dokumente gehören eigentlich nicht zu ihrem Aufgabenbereich oder nur, soweit sie mit EU-Finanzen im Zusammenhang stehen. Vielleicht werden also auch die Ermittlungen der belgischen Staatsanwaltschaft weiter gebraucht.
Fabio De Masi: Für weitere Amtszeit untragbar
Von der Leyen hat es bis heute vermieden, sich direkt in der Sache zu äußern. Gegenüber Politico ließ sie nun mitteilen: „Alles Nötige dazu wurde gesagt und ausgetauscht.“ Nun wolle man „auf die Ergebnisse warten“. Die CDU- und EVP-Politikerin will die Sache offenbar aussitzen.
Für Fabio De Masi, EU-Spitzenkandidat des Wagenknecht-Bündnisses (BSW), macht die „Missachtung des Rechtsstaates und der Transparenzpflichten an der Spitze der EU-Kommission“ die derzeitige Kommissionschefin „für eine weitere Amtszeit untragbar“. Gegenüber der Berliner Zeitung wünscht sich De Masi, dass von der Leyen auf eine Kandidatur verzichtet, was ihr auch die Bundesregierung nahelegen solle: „Frau von der Leyen knüpft mit ihren Pfizer-Deals nahtlos an ihren Beraterfilz im Verteidigungsministerium an. Sie schadet dem Ansehen Deutschlands und der EU.“
Der FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Harald Vilimsky, sagte zu den bestätigten Ermittlungen der Luxemburger Staatsanwälte: „Wir begrüßen das und hoffen, dass damit jetzt Licht ins Dunkel des dubiosen Impfstoff-Deals mit Pfizer kommt.“ Die AfD fordert einen Verzicht von der Leyens auf ihre EVP-Spitzenkandidatur und auf das Amt der Kommissionspräsidentin, außerdem sei ein Untersuchungsausschuss „unumgänglich“, so die Bundessprecherin Alice Weidel auf X.
Auch Ungarn und die New York Times klagen
Und auch die New York Times hat beim EuGH in Luxemburg auf Herausgabe der SMS-Nachrichten geklagt. In der Zeitung hatte Ursula von der Leyen den ersten (und fast einzigen) Hinweis auf die Existenz der SMS gegeben, als sie sich der persönlichen Aushandlung des Vertrags mit Bourla rühmte. Bisher war der Umfang des Vertrags immer auf 35 Milliarden Euro geschätzt worden. Nun spricht Politico von über 20 Milliarden Euro – was ja auch auf alle höherliegenden Beträge zutrifft.
Der erste Kläger Frédéric Baldan ist Lobbyist in Brüssel, oder vielmehr: Er war es, wie das französische Online-Medium Blast berichtet. Im vergangenen Juni nahm er an einer Pressekonferenz teil, auf der er sich kritisch zu den mRNA-Verträgen der EU-Kommission äußerte. Nur Stunden später erhielt er eine anonyme E-Mail aus einem obskuren „Sekretariat des Transparenzregisters“ bei der Kommission, wonach seine Beratungsfirma Cebiz SA aus dem Transparenzregister gestrichen worden sei. Baldan, der zudem mit der mRNA-kritischen Gruppe „Bon Sens“ verbunden ist, konnte bis auf weiteres keine Akkreditierung mehr für das EU-Parlament erhalten und seine Arbeit nicht mehr wie gewohnt fortsetzen. Die Kommission kämpft hier mit sehr kleinformatigen Bandagen.