Nach einer Flucht in die Rentendebatte letzte Woche führt Illner diesmal einen Trend fort, den sie vor zwei Wochen gesetzt hat: Themen aufzugreifen, die schon eine Woche alt sind. So widmete Illner damals eine ganze Sendung dem Taurus-Leak-Skandal, nachdem eine Woche lang bereits alles dazu gesagt worden war – jetzt hing sie ihre gesamte Folge an der Aussage von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich auf, man müsse darüber diskutieren, wie man den Ukraine-Krieg eventuell „einfrieren“ könnte. Daraus macht Illner am vergangenen Donnerstag: „‚Krieg einfrieren‘ – vor Putin kapitulieren?“.
Die Gästeliste zu dem Thema war wild. SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil wurde ins Rennen geschickt, um seinen Fraktionsvorsitzenden zu verteidigen, und Amira Mohamed Ali, Parteivorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht, wurde abbeordert. Die beiden bildeten so etwas wie die Friedensverhandlungsfront der Debatte – eine akrobatische Meisterleistung, die die beiden dabei hinlegten. Denn sie hätten nicht klarer machen können, dass sie nichts gemeinsam haben oder miteinander zu tun haben wollen und von Putin wollen sie natürlich auch nichts wissen. Es war ein einziges Abgrenzen ohne klare Punkte.
Es ist immer lustig, Betroffene aus einem ausländischen Konflikt in einer deutschen Talkshow zu sehen. Denn man kann nun wirklich nicht behaupten, dass Leonid Wolkow nicht von etwas überzeugt oder nicht bereit ist, für diese Überzeugung viel zu opfern. Und er wird wohl nicht in Verdacht kommen, ein Putinfreund zu sein. Und trotzdem wirkt er von allen Talkshow-Teilnehmern am entspanntesten. Während Paul Ronzheimer zum Mützenich-Zitat erklärt, was für einen Aufruhr das ausgelöst habe und wie entrüstet und empört er sei, erklärt Wolkow einfach: „Den Begriff ‚Einfrieren‘ finde ich ein bisschen sinnlos, weil man kann etwas nicht einseitig einfrieren, und Putin ist natürlich für keinen Waffenstillstand oder sowas überhaupt bereit.“
„Ich halte militärische Stärke und Diplomatie für keine Gegensätze“, erklärt er. Zwar versucht er es zu Beginn noch mit der Friedenskanzlerschiene, aber das zieht bei der Runde nicht. Das ist einerseits kein Wunder, wenn man sich die Runde anschaut, doch wie gesagt: Sonderlich geschickt stellte sich Klingbeil dabei nicht an. Wenn man bedenkt, dass es nicht allzu lange her ist, dass er unter der Hand für den Posten des Verteidigungsministers im Gespräch gewesen sein soll, ist es schon ein bisschen schwach, wenn er als Beispiel für gute Diplomatie anbringt, wie Olaf Scholz in China dafür gesorgt hat, dass es keinen Atomkrieg gibt. Dafür brauchte es natürlich und bestimmt unseren Bundeskanzler.
Amira Mohamed Ali kommt Klingbeil zur Hilfe: „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Rolf Mützenich mit dem, was er da gesagt hat, nicht nur in die SPD gewirkt hat, ich glaube dass er da auch vielen Menschen in der Bevölkerung aus dem Herzen gesprochen hat.“ Doch das ist dann auch wieder nicht richtig. Denn prompt erklärt Klingbeil, dass er und die SPD garantiert nichts mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zu tun haben, erst recht in der Russland-Frage nicht. Danach geht die ewige Verhandlungen-versus-Waffenlieferungen-für-den-Frieden-Debatte wieder los, die ich jetzt nicht noch einmal rezitieren werde, da das bedeuten würde, einen Artikel zu schreiben, den ich schon zig Mal geschrieben habe und den Sie bestimmt schon hunderte Male gelesen haben.
Wieder ist es Leonid Wolkow, der die differenzierteste Einschätzung dazu hat. Er glaubt nicht, dass die Ukrainer auf verlorenmn Posten kämpfen. Aber: „Russland ist kaum zu besiegen.“ Es wird daraus aber wiederum geschlossen, dass deshalb auch Putin nicht zu besiegen ist. Wolkow sieht hier die Schwachstelle: „Putin ist nicht Russland.“ Es gäbe viele Russen, die nicht hinter Putin stehen. Und es gebe Russen, die gegen den Krieg sind, aber dennoch für Putin. „Das Ziel soll heißen, Putin zu besiegen, und dann ist der Krieg zu Ende.“ Dafür sei militärische Hilfe für die Ukraine nötig, aber nicht nur: „Man muss unbedingt mit der öffentlichen Meinung in Russland arbeiten.“
Die Vorstellung, das Ende des Krieges könnte von der russischen Bevölkerung ausgehen, ist mal eine Überlegung, die man bisher tatsächlich noch nicht in jeder Talkshow gehört hat. Ich hätte Wolkows Einschätzung interessant gefunden, wie es in einem Land ohne freie Wahlen möglich sein soll, durch die öffentliche Meinung einen Diktator zu stürzen – gerade weil Wolkow selbst zu spüren bekommen hat, dass Opposition in Russland gefährlich ist. Wo nimmt er aus dem Exil den Optimismus her? Wie stellt er sich das vor? Doch Illner kann es kaum erwarten, die Diskussion wieder auf die alten Phrasen zurückzulenken. Und so endet die Sendung wenige Minuten später mit noch einem Statement von Lars Klingbeil zum Einfrieren-Statement von Mützenich.