Im September machte Robert Habeck noch einen Rückzieher von der Sanierungspflicht für Hausbesitzer. Vor der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) klagte er unter anderem, der „Klimaschutz“ sei in Deutschland unter Druck geraten, „der Veränderungswille beschränkt“. Im Klartext: Die Ampel traute sich nicht, Eigentümern und letztlich auch Mietern die höheren Kosten unterzuschieben und so zugleich die Bauwirtschaft weiter zu verlangsamen. Denn klar war: Gerade die aus grüner Sicht sanierungsbedürftigsten Häuser werden oft von den Ärmsten bewohnt. Eine Erhöhung der Standards auf nationaler Ebene sollte es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben, also sicher nicht vor 2025. Das erfuhren Bauherren in spe und Baubranche mit einiger Erleichterung.
Eigentlich war geplant gewesen, den Energieverbrauch bei Neubauten um 40 Prozent zu senken. Aber erst Wärmepumpe und „Heizhammer“ und dann noch die Kosten der energetischen Sanierung, das wäre wohl zu viel geworden für einen Ampel-Herbst. Man schreckte also zurück. Zu diesem Zeitpunkt wusste Habeck aber schon, dass er bald tätige Unterstützung für seine Pläne aus Straßburg und Brüssel bekommen würde. Er konnte sich und allen Interessierten also sagen: „Das kann noch warten, vor der EU-Gebäuderichtlinie macht es auch keinen großen Sinn.“
Nun hat das EU-Parlament die Arbeit für Habeck getan. In Deutschland dürften so höhere Standards durch die Hintertür eingeführt werden, und zwar nicht nur für Neubauten, sondern auch für den Bestand. Am Dienstag beschloss das Straßburger Plenum die EU-Gebäuderichtlinie mit 370 zu 199 Stimmen (bei 46 Enthaltungen). Doch nicht alle regierenden Parteien in der EU stimmten zu. Die italienischen Koalitionspartner Fratelli d’Italia, Lega Nord und Forza Italia stimmten einmütig mit Nein. Der Grund der Italiener gegen die Vorgaben waren die Kosten für die meist privaten Hausbesitzer.
Null Emissionen bis 2050 – ein sagenhaftes Ziel
Auch in anderen Ländern wäre Grund zum Widerstand: Frankreich, Belgien, die Niederlande und Spanien haben noch ältere, also vielleicht auch weniger gut isolierte Häuser – die Lösung für dieses Problem folgt weiter unten. Die Europäische Volkspartei jedenfalls war gespalten, auch stimmten einige Parteien aus der „liberalen“ Renew-Gruppe gegen den Plan. Fast schon erstaunlich: Auch ein paar Abgeordnete von FDP und Union sollen gegen die Richtlinie gestimmt haben.
Doch wie auch immer die Mehrheit zustandekam, nun sind in jedem Fall die nationalen Regierungen an der Reihe. Jede von ihnen muss nun einen „Energiesparplan“ für die Sanierung von Wohnhäusern vorlegen. Bis 2030 soll so der Energieverbrauch durch Wohnimmobilien um 16 Prozent, bis 2035 um 20 bis 22 Prozent vermindert werden. Plansollerfüllung nach sozialistischem Vorbild in der neuen EU. Bis 2050 soll angeblich das Null-Emissions-Ziel für wirklich alle EU-Immobilien erreicht werden – ein sagenhaftes Ziel. Das entspricht offenbar einer Minderung um 100 Prozent.
Ist es ein objektives Ziel? Das bleibt unklar, vermutlich wird es genug Ausnahmen und Umschichtungsmöglichkeiten geben, um diesen Zahlenwert pro forma zu erreichen. Ausnahmen sind etwa für historische, religiöse, landwirtschaftliche, militärische sowie kleine und zeitweilige Gebäude und für Ferienhäuser vorgesehen oder möglich. Aber es klingt eben zu gut: null Emissionen. Zumindest, solange es noch weit weg ist und einen nicht selbst betrifft.
Nur wenn der Preis deutlich wird, klingt es nicht mehr für alle so gut. Das fiel auch Robert Habeck im September auf: „In den am schlechtesten sanierten Gebäuden wohnen eben auch die ärmsten Menschen.“ Und auch da können die Gesamtkosten für die energetische Sanierung leicht die 200.000 Euro erreichen, das gab auch Habeck laut Bild zu. Solche Beträge werden mittelfristig auch auf Mieter umgelegt. Das Wohnen wird so für alle teurer und, wie man weiß, nicht unbedingt formschöner. Mancherorts stehen schon die klobigen, extra ummantelten Häuser herum, ein Hohn für jede Gründerzeitfassade. Kein Wunder, dass die Grünen sich mit diesem Teil ihrer Politik nicht unbedingt öffentlich identifizieren wollten.
IVD: Sanierung weder personell noch materiell zu leisten
In einem älteren Entwurf der neuen EU-Richtlinie hießt es, dass die untersten 15 Prozent der am wenigsten effizienten Wohnhäuser bis zum Jahr 2030 verpflichtend auf die Effizienzklasse E gebracht werden sollen, bis 2033 dann sogar auf die Klasse D.
Das wurde nur teilweise zurückgenommen: Aber immer noch soll gut die Hälfte (55 Prozent) der Verbesserungen in der schlechtesten Effizienzklasse G erreicht werden. Daneben soll nun der Gesamtenergieverbrauch durch Wohnimmobilien um die genannten Prozentwerte (erst um 16, dann um 20 bis 22 Prozent) gesenkt werden. Auch hier bleibt es bei Vorgaben, die dann „national“ (eigentlich eher von einer Art Groß-Bundesländern) umgesetzt werden müssen: Wie das Ziel erreicht wird, an welcher Stelles saniert wird, bleibt den Einzelstaaten überlassen – dass aber teuer und aufwendig saniert werden muss, bleibt fraglos so.
Und hier beginnt das Problem für Deutschland. Deutsche Haus- und Wohnungsbesitzer werden besonders hart von den neuen Vorgaben getroffen, wie der Immobilienverband Deutschland (IVD) schon im Juli warnte. Denn in Deutschland wurden schon umfangreiche Vorarbeiten geleistet. Der Hausbestand ist schon teilweise energiesaniert, die Vorgaben steigern aber noch einmal das erwartete Sanierungstempo.
Die Mehrheit im EU-Parlament bleibe „die Antwort auf die berechtigte Frage schuldig, woher die Eigentümer von Häusern und Wohnungen das Geld nehmen sollen“, prophezeite IVD-Präsident Dirk Wohltorf im vergangenen Sommer. Handwerk und Bauindustrie könnten die geforderte Sanierungstätigkeit weder „personell“ noch „vom Materialeinsatz her“ leisten. Den Eigentümern wird also kein „Luftholen“ erlaubt, vielmehr müssen sie nun noch einmal verstärkte Anstrengungen schultern, und mit ihnen die ohnehin überlastete deutsche Bauwirtschaft. Das ist schon eine Aussage, wenn der Immobilienverband an die Materialknappheit bei den hochfliegenden grünsozialistischen Plänen der EU erinnert.
Es kommt aber hinzu, dass auch die Energeieffizienzklassen in der EU keineswegs einheitlich geregelt sind. Auch das ist lange bekannt, und wird wohl auch nicht durch neu gefasste Effizienzklassen abgemildert. So entspricht die niederländische Energieeffizienzklasse C in Deutschland der zweitschlechtesten Effizienzklasse G. In Frankreich soll es ähnlich sein: Die französische Klasse B entspreche der deutschen Klasse D, sagte Jürgen Michael Schick, Ehrenpräsident des IVD, gegenüber Focus online. Gleichwertige Gebäude in Deutschland liegen jeweils mehrere Energieeffizienzklassen niedriger als in den Nachbarländern, sie werden also schlechter bewertet. So entsteht offenbar ein höherer Sanierungsbedarf, um die besseren Effizienzklassen und damit letztlich das ausgegebene Ziele „Null Emissionen“ zu erreichen.
In Deutschland wohnt dann die Avantgarde der neuen Zeit
Nun könnte man meinen, das wären rein nationale Effizienzklassen, die Unterschiede wären also gar nicht von Belang. Aber auch im nun beschlossenen Text geht es noch darum, besonders energiefressende Häuser auf ein mittleres Niveau zu heben und allgemein irgendwo in der Mitte anzukommen. Das EU-System ist nahezu einheitlich, nur die konkreten Werte trägt jedes Land selbst ein – und bestimmt damit, wohin die sanierungstechnische Reise für die Häusle- und Wohnungsbesitzer geht.
Nimmt man etwa die Effizienzklasse E als zu erreichenden Mittelwert, bleiben für niederländische Hausbesitzer noch bis zu 335 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche erlaubt, während in Deutschland höchstens ein Energieverbrauch von 160 Kilowattstunden pro Quadratmeter erlaubt sein wird. Das bedeutet: Deutsche Wohnhäuser sollen schon 2030 doppelt so effizient sein wie niederländische. Und im selben Schritt wird es weitergehen. In Deutschland, wird man dann wieder befriedigt ausrufen, wohnt eben die Avantgarde der neuen Zeit, in der auch das Wohnen – wie die Fortbewegung und das Leben überhaupt – keine Energie mehr kosten wird. Die wahren Kosten gehen aber nicht in diese „grüne“ Rechnung ein, sie fallen in den Portemonnaies der Eigentümer und Mieter an.
Man kann das Bild noch weiter ausmalen: Alles bis 105 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche ist in den Niederlanden gemäß den vorliegenden Tabellen noch A+, also die beste, „grünste“ Effizienzklasse, die als sicher „emissionsfrei“ gilt (laut Q&A der EU-Kommission, Punkt 4). In Deutschland beginnt bei 100 Kilowattstunden die allenfalls halbgute, gelbstichige Effizienzklasse C. Die niederländische Klasse A (auch noch emissionsfrei laut EU-Kommission) entspricht den deutschen Klassen D und E, die sicher nicht emissionsfrei sind. Das niederländische B entspricht etwa einem F nach deutschen Werten. Wenn in Deutschland bei 250 Kilowattstunden pro Quadratmeter im tiefroten H Schluss sein soll, dann ist man in den Niederlanden noch bis 380 Kilowattstunden im orangefarbenen F-Bereich. So zeigt sich schon am Umfang der Skalen, dass hier mit unterschiedlichem Maß gemessen werden soll.
In anderen EU-Ländern ist es ähnlich, hier die Werte aus Frankreich und Bulgarien. Man kann die Frage nach dem Null-Emissions-Ziel von oben nun beantworten: In Frankreich und Deutschland ist man etwa ab 50 Kilowattstunden emissionsfrei, in Bulgarien ab 96 Kilowattstunden, in den Niederlanden schon ab 160 Kilowattstunden. So verschieden wirkt sich das mit der „Klimaneutralität“ im konkreten Vergleich aus. Dasselbe Haus mit 150 Kilowattstunden Energieverbrauch pro Quadratmeter ist in Leiden hui, in Aachen pfui. Und viele werden hier die Niederländer für ihre kluge Umsicht loben.
Der Staat macht keine Fehler – und die EU?
Konkret bedeutet das aber, dass in Deutschland letztlich viel mehr Wohnraum sanierungsbedürftig werden wird. Der Eigentümerverband Haus & Grund warnt daher vor einem starken Wertverlust vieler Immobilien. 15 Prozent der Gebäude gehören zur am wenigsten effizienten Klasse G. Das entspricht laut Haus & Grund insgesamt 2,4 Millionen Wohnhäusern, deren Modernisierung im Schnitt 60.000 Euro kosten soll, aber sicher auch einmal doppelt und dreimal so viel, wie auch Klimaminister Habeck weiß. Insgesamt kommen demnach Kosten von rund 140 Milliarden Euro auf die deutschen Wohnraumverbraucher zu.
Dagegen werden von den niederländischen Eigentümern, wenn die Energieklassen so bleiben, wie sie sind, viel geringere Anstrengungen erwartet. Wachsende Investitionen in die anliegenden Immobilienmärkte der Nachbarländer Deutschlands scheinen also unvermeidlich – genauso wie sinkende Investitionen in neue deutsche Wohnungen, einfach weil sich das Bauen immer weniger lohnen wird. Ach ja, die Ampel hatte ja versprochen, 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Diese Zahl ist immer noch in weiter Ferne. Nicht nur das: Die Entwicklung ist sogar rückläufig. 2023 wurden nur noch 260.000 Wohnungen fertiggestellt und damit rund 100.000 weniger als im Jahr davor, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) festhält.
Außerdem in der EU-Richtlinie enthalten: Bis 2040 sollen fossile Heizkessel ausrangiert, also verboten werden. Auch das wird Aufgabe der Mitgliedsländer. Dazu sollen Subventionen schon ab 2025 gestrichen werden. Deutschland ist hier dank Gebäudeenergiegesetz schon deutlich „weiter“ am Abgrund für klassische Heizanlagen mit Öl und Gas angelangt. Von 2026 an sollen neue öffentliche Gebäude EU-weit zum Einbau von Solaranlagen verpflichtet werden, ab 2030 soll das auch für neue Wohngebäude gelten, soweit „technisch möglich und wirtschaftlich machbar“. Daneben stehen Anreize für Gasheizungen im Gesetz, aber auch solche für elektrische und hybride Heizlösungen.
Insgesamt ist es eine Übersetzung des deutsch-grünen Wahnsinns ins EU-Europäische. Aber in Berlin sitzen eben noch immer die gelehrigsten Schüler der „großen Transformation“, die nichts unversucht zu lassen scheinen, um einen weiteren Baustein der deutschen Wirtschaft zugrunde zu richten, natürlich immer nur für die „gute Sache“, also der Bürokratie. Denn der Staat macht ja keine Fehler. Manchmal lässt er auch einfach der suprastaatlichen EU den Vortritt und vermeidet so eigene Fehler.