Bei der Teilwiederholung der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag, am Karnevalssonntag, den 11. Februar 2024, im Bundesland Berlin hat sich bei den 12 Direktmandaten keine Änderung ergeben. Drei von den verbleibenden Listenplätzen, die dem Land zustehen, hat der Landeswahlleiter jedoch in andere Bundesländer verschoben. Ein weiterer Listenplatz wurde ersatzlos gestrichen. Die Verschiebungen und die Streichung verletzen den Grundsatz der föderativen Staatsordnung, der den Staatsbürgern in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz mit Verfassungsrang garantiert wird. – Warum?
„Deutschland ist ein Bundesstaat.“ (Vgl. Art. 20 GG.) Die Wahl erfolgt länderweise, ist länderweise auszuzählen und länderweise zu verkünden. Zweitstimmen sind Landesstimmen. Bundesstimmen gibt es nicht. Die Abgeordneten aus Berlin werden also von den Berlinern in Berlin gewählt. Und jetzt das:
1) Anna-Maria Tresnea (SPD) verlor ihren Sitz auf der Berliner Landesliste ihrer Partei. Für sie rückte Angela Hohmann (SPD) auf der Landesliste aus Niedersachsen nach. – Wieso Niedersachsen, wo am 11. Februar 2024 überhaupt nicht gewählt wurde?
2) Der Listenplatz von Nina Stahr (Grüne) ging an Franziska Krumwieder-Steiner aus NRW. – Wieso NRW, wo am 11. Februar 2024 ebenfalls nicht abgestimmt wurde?
3) Ein Listenplatz ging an Christine Buchholz (Die Linke) aus Hessen. Wieso Hessen, wo auch nie- mand zur Wahl gegangen ist? Buchholz hat auf den Sitz im Bundestag verzichtet. Wer nachrückt ist noch unbekannt.
4) Bei der FDP verliert Lars Lindemann seinen Listenplatz, und die Gesamtzahl der Mitglieder des Bundestags sinkt 736 aus 735 Köpfe ab. Hier hat Wahlleiter, Professor Stephan Bröchler, offenbar ein Mandat „über Bord“ geworfen.
Was soll das alles? Drei Abgeordnete ziehen bei einer Teilwiederholung der Wahl in den Deutschen Bundestag ein, die auf keiner Berliner Landesliste standen und aus drei Bundesländern stammen, in denen gar nicht gewählt wurde. Und ein Ausgleichsmandat wird einfach wieder einkassiert, ohne dass sich bei den Überhängen etwas geändert hat?
Ein bundesweiter Verhältnisausgleich ist unzulässig. Er widerspricht der föderativen Staatsordnung und wird als solcher im Bundeswahlgesetz (BWahlG) auch gar nicht ausdrücklich verlangt. Den Ausschlag gibt jedoch die Verfassung. In Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz wird die Eigenständigkeit der Länder verbürgt. Darüber könnte sich der einfache Wahlgesetzgeber nicht hinwegsetzen, wenn er es denn getan hätte.
Die Wahl zum Deutschen Bundestag erfolgt, Land für Land, und zwar in Wahlkreisen und mit Landeslisten (§ 4 BWahlG). Die 24 Abgeordneten, die dem Bundesland Berlin zustehen, werden von Berlinern, in Berlin, gewählt (Landessitzkontingent). Der Geltungsbereich der Zweitstimmen reicht also nicht über das Bundesland Berlin hinaus. Die Wähler aus Berlin können nicht über die Abgeordneten aus Niedersachsen oder aus NRW oder Hessen abstimmen und umgekehrt.
Daher kann der Landeswahlleiter, Professor Bröchler, keine Listenplätze aus dem Bundesland Berlin nach Niedersachsen (Angela Hohmann) oder nach NRW (Franziska Krumwieder) oder nach Hessen (Christine Buchholz) verschieben – allesamt Abgeordnete, die ihrerseits auf keiner der Berliner Landeslisten standen. Weil sie in Berlin nicht gelistet waren, konnten sie dort nicht gewählt werden. Und wer nicht gewählt wurde, ist auch kein Abgeordneter.
Die genannten Zählfehler müssen rückgängig gemacht werden. Geschieht das nicht, bleibt der Rechtsweg. Die Wahlprüfung ist ein Grundrecht. Nach Art. 41 Grundgesetz können alle deutschen Bundesbürger, die am 11. Februar 2024 wahlberechtigt waren, beim Deutschen Bundestag eine Prüfung der Wiederholungswahl in Berlin beantragen. Näheres ergibt sich aus dem Wahlprüfungsgesetz. Die Einspruchsfrist läuft am 11. April 2024 aus.
Der Autor Manfred C. Hettlage lebt in München und hat in namhaften Fachzeitschriften zahlreiche Beiträge und mehrere Bücher zum Wahlrecht veröffentlicht. Zu den Fundstellen vgl. hier. Hier geht es zur Vita des Autors.