Tichys Einblick
Augsburger Erklärung: Ein Anti-AfD-Papier?

Die Bischöfe stellen sich gegen die AfD – und lassen ein Hintertürchen offen

Die Katholische Kirche in Deutschland beruft sich in ihrer Stellungnahme gegen die AfD nicht auf die katholische Lehre, sondern den Verfassungsschutz. Als „erwiesen rechtsextremistisch“ sei sie unwählbar. Doch die Hirten lassen viel Spielraum – und sogar Möglichkeiten für die AfD zu.

IMAGO / epd

In den Medien lautet es einhellig: Aus Sicht der Katholischen Kirche in Deutschland ist die AfD „unwählbar“. Tatsächlich hat sich die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in einer Erklärung vom Donnerstag sehr eindeutig geäußert. Sie läuft unter dem Titel „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Es ist ein weiteres Stück in der Auseinandersetzung zwischen katholischem Klerus und der Alternative für Deutschland, die spätestens mit der Migrationskrise von 2015 begann.

Der Vorgang steht in einer langen Kontinuität von Ereignissen. In ihrem Bemühen, möglichst Position gegen den neuen politischen Mitbewerber zu beziehen, kritisierte kurzerhand Kardinal Reinhard Marx den Begriff „christliches Abendland“, weil ihn die PEGIDA-Demonstranten benutzten. Die Episode ist ein Schlaglicht: Selbst inhärente Begriffe und Überzeugungen konnten über Bord geworfen werden, wenn sich die Gegenseite dieser zu bemächtigen drohte – statt sie als das Eigene zu verteidigen.

Dabei hat die Katholische Kirche nicht nur in den Augen von AfD-Anhängern an Glaubwürdigkeit verloren, weil die AfD etwa in der Abtreibungsfrage deutlich näher an der katholischen Position steht als etwa die Grünen oder die Linkspartei. Auch die kommunistische Vergangenheit der letzteren wird barmherzig vergeben, indes AfD-Mitglieder aus Pfarrgemeinderäten vertrieben wurden.

Die Ungleichbehandlung fand in Corona-Zeiten einen Höhepunkt, da die Impffrage zu einem Dogma erhoben wurde, das freilich nicht von jedem geteilt wurde – Kardinal Gerhard Ludwig Müller etwa hatte sich hier für die Gewissensfreiheit positioniert, indes die vom Limburger Bischof Georg Bätzing geführte DBK vehement politischen Vorgaben folgte.

Der aktuellen Augsburger Erklärung geht zudem ein Dokument der Bischöfe aus dem Norden und Osten Deutschlands voraus, die vor der Wahl der AfD gewarnt hatten. Die Umfragen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt dürften den Schritt befördert haben. Zitat:

„Krude Ausweisungsphantasien für Migranten und ihre Unterstützer, die Ablehnung von Schutzangeboten für Geflüchtete, die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung, der alleinige Fokus auf Leistungsfähigkeit, die Leugnung des menschengemachten Klimawandels und die pauschale Verächtlichmachung von politischen Akteuren und Institutionen sind mit diesen Grundwerten unserer Gesellschaft unvereinbar.“

Es verwundert daher nicht, dass das Augsburger Papier eine sehr ähnliche Argumentationslinie enthält. Und neuerlich fällt auf, ähnlich wie beim nord-ostdeutschen Vorgänger: Eine theologische Begründung für den Sachverhalt gibt es nicht. Kein Bezug auf die Heilige Schrift; kein Hinweis aus der reichhaltigen Tradition von Kirchenvätern, Heiligen und Lehrern; kein Bezug auf eine Enzyklika; nicht einmal eines der häufigen und dehnbaren Papstworte wird herangezogen. Aus dem reichen katholischen Fundus der letzten 2.000 Jahre, warum denn nun das „Völkische“ und das „Nationale“ so verderblich sind – findet sich nicht. Die Kirchenvertreter argumentieren rein weltlich. Das sollte eigentlich stutzig machen, verwundert aber bei einer verweltlichten Kirche, wie sie in Deutschland dominiert, kaum.

Dabei sind die Zwischentöne und der differenzierte Tonfall des Dokumentes bemerkenswert, weil er Deutungsmöglichkeiten zulässt. Zuerst bleibt die DBK im Duktus allgemein. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wucherten, könnten für Christen nicht wählbar sein, weil sie mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar seien. Dabei ist nicht etwa das Evangelium Grundlage, um zu definieren, was dieses christliche Gottes- und Menschenbild ist. Die Aussage wird in den Raum gestellt. Ganz offensichtlich orientieren sich die Bischöfe demnach nicht an der katholischen Lehre, sondern an den Prinzipien der Menschenwürde im aufklärerischen Sinn bzw. in der Form, wie sie das Grundgesetz nahelegt.

Denn Gewährsmann für die Einordnung ist nicht die Bibel, nicht die Tradition, nicht der Katechismus, nicht der Papst – sondern die Einstufung der AfD durch den Bundesverfassungsschutz als „erwiesen rechtsextremistisch“. Statt das Sanctum Officium mit der Feststellung der Wahrheit zu betrauen, lässt sich heute die Kirche vom Inlandsgeheimnis einflüstern, wie sie einen Bestand zu bewerten hat. Ein bisschen erfasst da einen die Trauer im Gedenken an Torquemada.

Spannend ist, dass der Hauptvorwurf gegenüber der AfD darauf fußt, dass in ihr „inzwischen“ eine „völkisch-nationale“ Gesinnung dominiere. Sie changiere zwischen einem echten „Rechtsextremismus“ und einem weniger radikalen Rechtspopulismus. Das nehmen die meisten Interpreten zum Anlass, die Unvereinbarkeit von Katholizismus und AfD zu betonen. In Wirklichkeit bedeutet es, dass die Türe für die AfD wieder offensteht, wenn sie sich von der völkischen Gesinnung losreißt. Das ist deutlich mehr, als man der Una Sancta in Deutschland zugetraut hätte.

Man muss diesen Satz daher im Zusammenhang lesen. Die AfD sei nicht vom Himmel gefallen. Damit stellt die DBK die AfD in einen Kontext, der in weiten Teilen der Medien und Politik ausgeklammert wird:

„Klarer Widerspruch gegen den Rechtsextremismus bedeutet ebenso wenig, dass existierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme – etwa bei der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit oder der Integration von Migranten – kleingeredet oder ignoriert werden könnten. Sie müssen angegangen werden.“

Die DBK stellt also fest: Es gibt nicht nur wirtschaftliche Probleme, sondern auch welche bei der Integration von Migranten. Der Passus lässt aufhorchen. Denn auch das ist eine weitere Hintertüre, die sich die Katholische Kirche offenlässt, sollte es doch zu einem Regierungswechsel kommen, bei dem man mit Kräften zusammenarbeiten müsste, die heute noch in der Opposition sind.

Weiter heißt es in der Erklärung: „Das klare Votum gegen jede Form des Rechtsextremismus bedeutet in keiner Weise, dass die Kirche sich dem Dialog mit jenen Menschen entziehen wird, die für diese Ideologie empfänglich, aber gesprächswillig sind.“ Heißt: Der verlorene Sohn wird nicht verstoßen. Und während früher über ein prinzipielles Verbot von AfD-Mitgliedschaft und Amt spekuliert wurde, wie es in einigen Teilen Deutschlands bereits de facto wird, heißt es nunmehr nur noch: „Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehören insbesondere Rassismus und Antisemitismus – ist überdies mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar.“

Die drei Textstellen fördern eine Sprache zutage, die man in den letzten Jahre vermisst hat. Der Ton ist präzise und ausgleichend. Im Gegensatz zu dem, was man hätte erwarten können, nimmt sich das Papier deutlich ausgewogener aus. Offenbar ist den Bischöfen bewusst, dass sie sich bald mit einer AfD-Regierung zu arrangieren hätten. Anders als suggeriert lässt die Augsburger Erklärung Spielräume zu. Dass die Bischöfe zudem keine theologische Debatte aufmachen, sondern sich lediglich ihrer gesellschaftlichen Rolle bedienen, zeigt, dass sie auch an keiner „Exkommunikation“ der AfD Interesse haben.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Auch in anderen europäischen Ländern hat die Katholische Kirche immer mal wieder gegen „Rechtspopulisten“ und den „rechten Rand“ Stellung bezogen. In Italien tobte in der Amtszeit Matteo Salvinis ein offener Krieg zwischen Kurie und Innenministerium. Salvini erschien als Teufelsgestalt auf einem katholischen Magazin. Heute verläuft die Zusammenarbeit zwischen Vatikan und Palazzo Chigi geräuschlos. Franziskus hat, verglichen zu den Vorjahren, seine Migrationsreden zurückgefahren. Die Kirche kann äußerst pragmatisch die Richtungen wechseln, und was für Italien gilt, gilt auch für Deutschland, wenn der politische Wind sich dreht.

Andererseits – und das ist ein deutsches Phänomen – steht die Katholische Kirche in Deutschland derzeit unter massivem Druck. Aus Rom ist erst die Tage ein weiterer päpstlicher Denkzettel eingetroffen, der den Sonderweg der deutschen Prälaten im Zusammenhang mit dem „Synodalen Weg“ geißelt. Die Kirchenvertreter binden sich daher umso enger an die weltliche Macht, weil sie in der Weltkirche isoliert sind. Sie können sich gerade nicht zu viele Feinde erlauben. Selbst die AfD nicht.

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