Am Dienstagabend kommt bei Maischberger keine Spannung auf. Es gibt nur ein Thema: Russland und die Ukraine. Alexander Nawalny, entscheidende Figur der russischen Opposition, ist in der Haft verstorben. Er war 2021 nach Russland zurückgekehrt. Unmittelbar davor war er nach einer Vergiftung in den Westen geflohen, um dem Tod zu entkommen.
Potenzial für eine spannende Sendung ist also da. Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird. Für den ersten Gesprächsteil empfängt Sandra Maischberger den ehemaligen Leiter des ARD-Studios in Moskau, Thomas Roth, und Irina Scherbakowa, russische Bürgerrechtlerin. Sie begründete die Bürgerrechtsorganisation Memorial International mit. 1989 gegründet, beschäftigte sich die Organisation vor allem auch mit der Aufarbeitung sowjetischer Verbrechen und dem Gulagsystem. 2021/2022 wurde die Organisation in Russland in mehreren Schritten verboten.
Scherbakowa könnte ein interessanter Gast sein. Sie erzählt aus Russland: In Sankt Petersburg und Moskau sollen alle Blumen ausverkauft gewesen sein. Die Menschen kauften die Blumen und legten sie vor die Gedenkstätte für Opfer des Sowjet-Regimes ab, um des Nawalny-Todes zu gedenken. Auch berichtet sie von den desaströsen Haftbedingungen in den russischen Straflagern. Nawalny sei im letzten Jahr 300 Tage in der Strafbaracke untergebracht gewesen: ein kleiner Raum, das einzige Möbelstück ein Hocker. Das Bett wird morgens entfernt. Drückend heiß und stickig im Sommer, klirrend kalt im Winter, da weder belüftet noch beheizt. Feuchte Wände und Böden, Folter, Schlafentzug und erdrückende Langeweile. Kein Ausgang aus der Hütte, Stift, Papier und Bücher sind nur für eine Stunde am Tag erlaubt.
Es sind Einblicke in ein System, das auch ein Auslandsberichterstatter wie Roth kaum durchdringen kann. Aber weil er an diesem Abend mit Scherbakowa das Podium teilt, kann sie weniger reden.
Scherbakowa legt auch da interessante Sichtweisen dar. Den Einfluss, den Nawalnys Tod auf die Gesellschaft Russlands haben wird. Wie sehr die Bevölkerung den Ukraine-Krieg ablehnt, aber nicht unbedingt Putin.
Aber dann muss Roth wieder reden
Der zweite Teil der Sendung ist noch schlimmer. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Amira Mohamed Ali treffen aufeinander, um über Waffenlieferungen an die Ukraine zu diskutieren. Gibt es einen Erkenntnisgewinn? Nein. Denn beide konnten ihre Position zu Waffenlieferung und Taurus-Raketen in die Ukraine schon in der Vergangenheit in unzähligen Talkshows zum besten geben.
Strack-Zimmermann will mehr Waffen, Panzer und Raketen, um die Russen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Eine Gefahr eines Weltkrieges, weil Nato-Staaten Waffen liefern, sehe sie nicht. Dagegen argumentiert Amira Mohamed Ali, dass eben solch eine Gefahr bestünde. Man müsse „alles dafür tun“, Frieden mit Russland zu schließen. Alles für Frieden geben: eine einfache Forderung, wenn die Zeche die Ukrainer bezahlen müssen, nicht deutsche Politiker.
Ali vergisst gerne: Für Verhandlungen müssen beide Seiten zur Diplomatie bereit sein – und bereit sein, Zugeständnisse zu machen. Stets wird gefordert, die Ukraine solle den Osten des Landes aufgeben und sich in die Einflusszone Russlands einreihen. Aber warum soll die Ukraine sich ergeben? Warum soll nicht Russland (nachhaltig) Zugeständnisse machen?
Wer glaubt, diese Diskussion schon einmal gesehen zu haben, der wird enttäuscht. Strack-Zimmermann und Mohamed Ali waren zwar in den letzten Talkshows oft dabei: aber nicht gleichzeitig. Durch das Duell gewinnen ihre jeweiligen Vorträge aber nichts. Zu gut kennt man sie mittlerweile. Zu geübt ist die Politikerrhetorik.
Ach so: In der Vorwoche waren die Ukraine/Russland-Themen schon Schwerpunkte in beiden Sendungen. Das wiederholt Maischberger in dieser Woche erneut. Denn Themen-Kreativität ist der ARD fremd: Es gibt nichts Neues unter der ARD-Sonne.