Wie war das noch mit der Vision des „Green Deal“, den Ursula von der Leyen im Dezember 2019 der Öffentlichkeit vorstellte? In einem ersten Schritt sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten Wirtschaft und Gesellschaft in vielen Bereichen neu ausgerichtet werden, hieß es.
Die Vision des „Green Deal“ ist die einer grünen Beschaulichkeit. Öko-Landbau ohne Pflanzenschutzmitteln und Mineraldünger, stattdessen Biodiversität und eine Landwirtschaft ohne Treibhausgase. Auf Europas Straßen fahren nur noch E-Autos. Ganz Europa blüht auf in einem Meer von Solarmodulen und Windrädern. Die EU wird Vorreiter der grünen industriellen Revolution. Wirtschaft und Gesellschaft werden umgestaltet. Und bis 2050 schaffen wir die grenzenlose „Klimaneutralität“.
Doch ganz offensichtlich gerät die Wirtschaft in der EU ins Hintertreffen. Die Idee vom „Green Deal“ scheint nicht zu funktionieren. Jedenfalls bewegt sich vier Monate vor der Wahl zum EU-Parlament etwas in Brüssel. „Um die Industrieproduktion bei uns in Europa zu halten, brauchen wir neben dem Green Deal einen Industrial Deal“, sagte vor kurzem der belgische Premier Alexander De Croo, dessen Land Anfang des Jahres die rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hatte. Man müsse, so De Croos Botschaft, nicht nur die Umwelt retten, sondern auch den Standort Europa.
Deshalb fordern nun mehr als 70 Führungskräfte in einer Deklaration einen neuen Pakt für die Industrie in der EU. Mithin drängt die europäische Industrie die EU-Kommission zu einer schnellen und wirksamen Stärkung des heimischen Standorts.
Die neue Initiative wird von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft unterstützt und mit initiiert. Ministerpräsident Alexander De Croo will dem Bericht zufolge am Dienstag mit zahlreichen Konzernchefs und Topmanagern aus Europa am BASF-Standort in Antwerpen zusammenkommen, um den Vorstoß für einen „Industrial Deal“ vorzustellen. Ziel sei es, dass auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich der Initiative anschließt.
Der Plan sehe vor, „hochwertige Arbeitsplätze für europäische Arbeitnehmer in Europa“ zu erhalten. Europa müsse nicht nur ein Kontinent der industriellen Innovation sein, sondern auch ein Kontinent der industriellen Produktion bleiben.
Alexander De Croo kritisierte kürzlich in seiner Rede vor dem EU-Parlament, Brüssel gebe nicht nur Klimaziele vor, sondern auch den Weg dorthin – und lasse Unternehmen nicht genug Raum für Innovation und Kreativität. Der belgische Premierminister forderte stattdessen mehr Technologieoffenheit und weniger Regeln.
Die Kernpunkte der Deklaration lauten nun: Bestehende, bremsende Regulierungen auf EU-Ebene sollen korrigiert und weniger widersprüchlich und komplex werden. Zugleich sollen die EU-Staaten von der überbordenden Einzelgesetzgebung wegkommen und stattdessen grüne Technologien mit Anreizen über den Binnenmarkt stärken. Europa solle sich zu einem „weltweit wettbewerbsfähigen Energielieferanten“ entwickeln und die Verfügbarkeit von Rohstoffen sichern. Die EU müsse zudem den Rahmen für eine deutlich stärkere öffentliche Finanzierung von sauberen Technologien in energieintensiven Industrien ermöglichen.
Nach Vorstellung der Unternehmen soll der „Industrial Deal“ fest in der Strategie der EU-Kommission für die nächste Periode bis 2029 verankert und von einem speziell zuständigen Kommissionsvizepräsidenten verantwortlich umgesetzt werden.