Tichys Einblick
Eine europäische Sackgasse

CDU kürt von der Leyen zur EU-Spitzenkandidatin – und sendet Signal in Richtung links

Die CDU bürdet der Europäischen Volkspartei neuerlich Ursula von der Leyen auf. Es gäbe auch andere Optionen. Doch die Partei hat sich in die Sackgasse manövriert. Hat Scholz die Christdemokratin als Nato-Generalsekretärin verhindert, um die EVP strategisch zu schwächen?

IMAGO / Metodi Popow

Lange hat es gedauert, nun ist es offiziell: der CDU-Bundesvorstand hat am Montag Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin für die EU-Wahl aufgestellt. Laut Parteichef Friedrich Merz sei das Votum „einstimmig“ verlaufen. Die Europäische Volkspartei werde im März in Bukarest die endgültige Entscheidung darüber treffen. Von der Leyen betonte, dass ihre Kandidatur eine „ganz bewusste und wohlüberlegte Entscheidung“ sei.

Zwar findet die eigentliche Kandidatenkür der EVP demnach erst in zwei Wochen statt. Aber die Union hat mit ihrer starken Stimme ein Signal gesetzt. Die EVP ist bereits seit mehreren Jahren de facto eine CDU auf EU-Ebene mit ein paar Anhängseln. Die französischen Republikaner und die italienische Forza Italia sind ein Schatten ihrer selbst. Die polnische Bürgerplattform von Donald Tusk kann sich gerade mal mit einer Mehrparteienkoalition an der Macht halten. In Spanien hat der Partido Popolar wieder an Stärke gewonnen, aber für den Machtwechsel genügt es nicht.

Diese Konstellation war nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass EVP-Chef Manfred Weber lange Zeit versuchte, Viktor Orbán und Fidesz nicht als strategischen Verbündeten zu verlieren. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Ein deutscher Fraktionschef, eine deutsche Kommissionspräsidentin, beide CDU – die Innen- wie Außenwirkung der EVP ist eindeutig. Hinter vorgehaltener Hand spricht man davon, dass die EVP unter von der Leyen einen ganz ähnlichen Weg gehe wie die Union unter Merkel. Zwischen den Zeilen heißt das: Entkernung für den Machterhalt.

Wie dieser aussehen soll, ist derzeit noch fraglich. Denn während die zentristischen Parteien in Europa erodieren, haben Parteien rechts der Mitte Zulauf. Derzeit besteht im EU-Parlament eine informelle Koalition aus EVP, Liberalen und Sozialisten; so denn man angesichts einer mangelnden EU-Regierung von einer Koalition sprechen will. Auch das eine Ähnlichkeit zur Merkel-Ära: Wir sprechen von einer Großen Koalition.

Weber stellt sich die unangenehme Aufgabe, die EVP aus der Abhängigkeit der linken Zustimmung zu führen. Das ist jedoch höchst problematisch – denn das hieße, Verbündete bei den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) oder bei Identität & Demokratie (ID) zu suchen. Das ist nicht nur in den eigenen Reihen verpönt. Sowohl in der EKR als auch in der ID ist man sich eigentlich darüber einig, Ursula von der Leyen keine zweite Amtszeit zu gewähren.

Eine Schlüsselfigur ist dabei die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie ist zugleich EKR-Vorsitzende. Sie könnte von der Leyen stützen und Konzessionen verlangen. Diese Spekulationen bestehen bereits länger.

Es gibt allerdings zwei Probleme. Das erste: Die EVP hat die „Rechten“ düpiert und in der Vergangenheit zu verstehen gegeben, dass man diese nicht brauche.

Das zweite: Innerhalb der EKR bestehen auch persönliche wie politische Animositäten. In Polen regiert derzeit EVP-Mann Tusk. Von der Leyen zu stützen, das hieße, die Zustände in Warschau zu goutieren. Die PiS – neben den Fratelli d’Italia das andere EKR-Schwergewicht – wird also definitiv nicht für von der Leyen stimmen. Und Meloni riskierte einen internen Richtungsstreit. Die Option dürfte demnach zu riskant sein.

Zudem galt selbst in der Vergangenheit in der italienischen EVP-Schwester Forza Italia alles andere als sicher, ob man von der Leyen noch einmal wiederwählen wollte. Die Forza Italia war zwar stets EU-freundlich – der jetzige Außenminister Antonio Tajani war früher EU-Parlamentspräsident – aber das erwähnte Übergewicht der CDU ist für viele kleinere Parteien ein Problem, und die Zuneigung zum Green Deal teilt man nicht in allen Ländern Europas.

Auch deswegen sollte man übrigens die Gerüchte ernstnehmen, Mario Draghi könnte noch aus dem Kaninchenhut als Kommissionspräsident gezaubert werden. Es würde insbesondere für die italienischen Deputierten eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Zur Erinnerung: die jetzige italienische Regierung besteht durchgehend aus Parteien, die Anteil daran hatten, dass Draghi nunmehr nur noch Ex-Premierminister ist. Lieber die unbeliebte Deutsche oder den verhassten Italiener? Man kann sich nicht des Eindrucks verwehren, dass solche Gedankenspiele vor allem gegen Rom gerichtet ist, das derzeit einen merkwürdigen Ruhepol in der EU darstellt.

Es ist demnach die Personalie von der Leyen selbst, mit der sich die EVP in eine Sackgasse manövriert. Ein anderer Kandidat – sieht man vom erwähnten Draghi ab – hätte mehr Optionen offengelassen. Die CDU drängt zudem die europäischen Parteischwestern mit ihrem Votum. Eine Nicht-Kür von der Leyens könnte als Eingeständnis betrachtet werden, will man die letzten fünf Jahre Bilanz ziehen.

In dem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass Olaf Scholz offenbar Anteil daran hatte, dass von der Leyen nicht die Position einer Nato-Generalsekretärin erhielt. Die Welt am Sonntag berichtet, dies habe damit zu tun gehabt, dass Scholz das Amt des EU-Kommissionspräsidenten als weniger wichtig einschätzte als das Amt des Nato-Generalsekretärs, um es mit einer Christdemokratin zu besetzen. Einige spekulierten darüber, dass von der Leyen dem Kanzler auch zu russlandkritisch eingestellt war.

Wie dem auch sein: es könnte noch ein Motiv geben. Hätte die CDU-Frau das Amt gewechselt, dann hätte sich die EVP nicht mehr gezwungen gesehen, diese für die nächste EU-Wahl aufzustellen. Sie hätte völlig befreit von der Personalie, die mit wirtschaftlichem Abschwung, grünen Illusionen und SMS-Affären assoziiert wird, einen frischen neuen Kandidaten küren können. Damit steckt die EVP in der erwähnten Sackgasse – und ist vom Wohlwollen der Sozialisten abhängig, wenn sie wiedergewählt wird. So sichert sich auch die SPD weiterhin ihren Einfluss auf EU-Ebene.

Anzeige
Die mobile Version verlassen