Tichys Einblick
Politischer Aschermittwoch

Lasst den Blödsinn bitte sein

Politik besteht aus Ritualen. Die erleichtern Apparat und Apparatschicks die Abläufe. Ein besonders abgestandenes Ritual ist der Politische Aschermittwoch. Blasse Politsoldaten geben Volkstribune.

IMAGO

Der Aschermittwoch ist kein angenehmer Tag. Für Leute, die an der Elbe oder der Spree leben, bedeutet er, dass sie noch zwei Tage vom Freitag entfernt sind – und seit zwei Arbeitstagen mit Bildern von Bayern und Rheinländern gequält werden, die sich den Alkohol in den Kopp hauen. Für Rheinländer ist es der Tag, an dem sie mit entsprechend Restalkohol in besagtem Kopf aufwachen. Auch nicht schön.

Der Aschermittwoch ist ebenso der Tag eines unerfreulichen Medienereignisses. Gerade erst haben die Zuschauer bei „Mainz bleibt Mainz“ überstanden, dass sich alle elf Minuten ein Kameramann von ARD und ZDF in einen politisch Mächtigen verliebt – oder dass Aachen das Prinzip des Karnevals pervertiert und sich Narren mit dem Orden des widerlichen Ernstes Richtung Hintern besagter Mächtiger vorarbeiten. Zum schlechten Schluss bleibt dem Zuschauer der Politische Aschermittwoch auch nicht erspart.

Blasse Reden für blasse Politiker

Der Politische Aschermittwoch ist der Feiertag von „Wissenschaftlichen Mitarbeitern“. 364 Tage im Jahr schreiben sie blasse Reden für blasse Politiker. Jetzt dürfen sie mal einen Text verfassen, in dem der blasse Redner so richtig Farbe bekennt. 364 Tage im Jahr schadet Kanzler Olaf Scholz (SPD) dem Standort Deutschland, rüstet das Land nicht zügig genug auf oder achtet die Lohnabstandsgrenze nicht genug. Schnarch.

Zum Aschermittwoch hin darf Markus Söders (CSU) Redenschreiber mal die Phantasie laufen lassen. Beobachten wir ihn in seinem Gedankensturm: Scholz ist nicht gut, also zweitklassig, da nehmen wir was mit Fußball. Fußball-Vergleiche gehen immer. Lassen wir Söder sagen, Scholz sei das Mainz 05 der Politik. Nee. Das ist nicht gut. Langweilig und ein paar Fans hat Mainz 05, die man verschrecken könnte. Nehmen wir lieber, Scholz ist die SG Vegesack der Politik. Vegesack. Der Ort heißt wirklich so. Ich schmeiß mich weg. Aber nee, warte. Vegesack ist sexistisch – und wir haben 2024 – da geht das nicht mehr. Sagen wir lieber, Scholz sei wie der Präsident der Spielvereinigung Erkenschwick, der glaube, er spiele Champions League. Das ist lustig und tut keinem weh.

Also sagt Söder das mit Scholz und der Spielvereinigung Erkenschwick. Lustig. Die BILD tickert das gleich – so wichtig ist das. Die Öffentlich-Rechtlichen bringen das auch. Denn ein bisschen Opposition müssen die auch machen. Und wenn schon, dann am liebsten als Ritual. Ist ja irgendwie lustig das mit Erkenschwick, tut keinem weh und hinterfragt nichts. Falls doch, ist auch nicht so schlimm. Ist ja Politischer Aschermittwoch, da muss man ja nichts so ernst nehmen.

Dann sollte Söder auch noch was zu den Grünen sagen, denkt sich sein Redenschreiber. Also nehmen wir die Ricarda Lang. Die kann eh keiner leiden, denkt er sich. Aber Vorsicht: nichts über ihr Gewicht sagen. Das wäre Body-Shaming – und wir haben 2024 – da geht das nicht mehr. Aber was zur Ausbildung ginge. Das tut niemandem weh. Die hat keine – wie Kevin Kühnert (SPD). Oh, Moment. Ein Hund hat eine. Soll der Söder sagen, sein Hund habe eine Ausbildung, aber Lang und Kühnert nicht. Hammer. Das tickert die BILD bestimmt. Oh, gleich in Großbuchstaben. Hammer. Der hat mal richtig eingeschlagen.

Warum nicht was zu Ricarda Lang?

Gut. Der Gag mit dem Hund, der Ausbildung und den Studienabbrechern in der Politik – der ist jetzt nicht wirklich zu hundert Prozent und ganz ausschließlich neu. Den haben im Netz so ein, zwei, 5.000.000 Nutzer schon gebracht. Aber für die CSU reicht’s. Außerdem ist das der Politische Aschermittwoch. Das ist ein Ritual. Kult. Die BILD tickert und die Öffentlich-Rechtlichen berichten. Und die CSU tut mal so, als ob sie kritisch mit SPD und Grünen umginge. Kann man ja mal riskieren, ist ja Politischer Aschermittwoch und lustig. Da kann man immer noch sagen … und mein Hund hat eine Ausbildung, aber Lang und Kühnert nicht. Ich könnt’ mich beömmeln.

Und so nimmt das Feuerwerk an abgestandenen Kalauern seinen Lauf: Die Wurst, so Söder, habe in Bayern Verfassungsrang – also die Rostbratwurst. Söder nennt Umweltministerin Steffi Lemke „Grüne Margot Honecker“, Sahra Wagenknecht die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Marie-Agnes Strack-Rheinmetall. Sie verstehen? Weil die so für Waffenlieferungen ist. Nein, verstehen sie nicht? Egal, lachen Sie trotzdem! Das ist Politischer Aschermittwoch, also lustig. Dann macht Wagenknecht noch den Witz, dass es die Woken so weit trieben, dass der Weihnachtsmann bald Weihnachtsfachkraft heiße. Der ist auch aus dem Internet geklaut – aber bei Linken heißt so etwas Enteignung.

Franz Josef schau oba

Früher machte der Politische Aschermittwoch noch Sinn. Da traten mit Franz Josef Strauß (CSU) Politiker auf, die ein Bierzelt unterhalten konnten. Heutzutage meint sogar ein Lars Klingbeil mitmischen zu müssen. Der SPD-Vorsitzende könnte eine Bluthochdruck-Selbsthilfegruppe in den Tiefschlaf reden. Am Politischen Aschermittwoch sagt er: „Ich möchte, dass wir als Sozialdemokraten … jeden Tag mit Zuversicht und Optimismus dafür kämpfen, dass dieses Land ein starkes bleibt.“

Kann mal jemand die erste Reihe aufwecken, das sieht blöd aus in der Tagesschau. Da brauchen wir noch etwas, wo die Leute klatschen können. Also, Lars, auf, Attacke, mach mal: „Ich finde, Ihr habt etwas Besseres verdient als diesen Politiksimulanten an der Spitze des Landes.“ Wacht auf, ihr Oberlehrer und Politaktivisten dieser Erde. Der Lars hat Politiksimulant gesagt – macht mal für die Kamera so, als ob das lustig wäre. So mit Applaus und so.

Angesichts solch abgestandenen Klamauks fragt sich der Rheinländer, ob er nicht mit einem Konterbier gegen seine Kopfschmerzen ankämpfen soll. Und die Leute an Elbe und Spree stellen in Frage, ob sie bis Freitag auf der Arbeit durchhalten wollen – für Geld, das ihnen diese Aushilfskasper wegnehmen und in deren Sinn verteilen. Nur für die Zuschauer der Nachrichten in ARD und ZDF ist der Politische Aschermittwoch noch zu etwas gut. Statt aus Dienstwagen und Dienstflugzeugen auszusteigen, reden die Politiker in Sälen und Wirtshäusern. Bekommt der gemeine ZDF-Zuschauer die auch mal wieder von innen zu sehen.

Aber genug mit alten, abgestandenen Witzen. Lasst den Blödsinn mit dem Politischen Aschermittwoch sein. Der nervt nur noch – und ist peinlich. Redet lieber Klartext an den anderen 364 Tagen im Jahr. Ohne Hintertür. Von wegen, dass das ja nur Politischer Aschermittwoch sei, Kult halt, und dass man das ja nicht wörtlich nehmen soll. Denn erstens ist Kult nur ein netteres Wort für Sch…e und zweitens konnte Strauß am Aschermittwoch unterhalten und dabei ernst genommen werden. Das unterscheidet die Söders und Klingbeils vom Altmeister. Deshalb sollten sie aus seinen Schuhen steigen. Sie sind viel zu groß.

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