Tichys Einblick
Elementare Kraft und zärtliche Bilder

Nur ein Roman oder böse Vorahnung? Die Hamas in Berlin

Mit seinem schockierenden und grimmigen Roman zeigt der Schweizer Schriftsteller Giuseppe Gracia die Hamas in Aktion, allerdings nicht im fernen Israel, sondern mitten in Berlin.

Selten ist mir in letzter Zeit ein zeitgenössisches Stück Prosa vor Augen gekommen, das gleichzeitig so zart und so bissig ist wie der soeben veröffentlichte Kurzroman von Giuseppe Gracia: „Auslöschung“.

Der Held gerät auf einem Galaempfang im Berliner Haus der Kulturen in eine Geiselnahme durch entschlossene Hamas-Killer, die unter der Kulturschickeria der Hauptstadt ein Blutbad anrichten und vor laufenden Kameras der öffentlich-rechtlichen Sender Erschießungen vornehmen. Diese werden zwar mit angedrohten weiteren Geisel-Erschießungen zur Übertragung gezwungen, aber sie erfüllen ihren Auftrag auch spektakulär und zur höchsten Zufriedenheit der Terroristen.

Ein Plot, der nach der Attacke der Hamas von 7.Oktober 2023 die Ereignisse aus Israel drastisch in die Mitte unserer Wohlstandsgesellschaft verpflanzt, wo ganz besonders auf Berliner Straßen Anhänger der Hamas mit linken Sympathisanten nach dem Tod der Juden brüllen.

Der erste Kunstgriff Gracias besteht darin, dass er die Verwünschungen der Bande gegen die Dekadenz des Westens insgeheim durchaus teilt, gleichzeitig aber den Anführer Hamed S. mit seinem Sermon über „Allah, den Allerbarmer“ bloßstellt. Ja, dieser Typ mit seinem Geschwafel über die Barmherzigkeit des Islam und die gleichzeitigen Tiraden über ungläubige Hunde in all ihrer blutrünstigen Rhetorik und Killerbrutalität sind hier grimmig zur großartigsten und entlarvenden Satire auf die Spitze getrieben.

Nacheinander werden die Blüten der Hauptstadt-Society aus Modemachern und Schriftstellern und Internetmilliardären nach Verlesung ihrer Verfehlungen hingerichtet – sie haben die Wahl zwischen Schwert und Kugel.

Aufrüttelnd und herzergreifend
Roman »Auslöschung« von Giuseppe Gracia: Islamistischer Terror sprengt Kulturevent in Berlin
Doch der Icherzähler ist nicht allein auf dieser Killerparty, sein Freund Lichtenberger ist bei ihm, ein Theaterregisseur, der über seiner Aufgabe verzweifelt, ein Publikum schockieren und wachzurütteln zu wollen, das sich bereits an alle Schocks gewöhnt hat.

Und noch eine ist bei ihm. Seine Frau Veronika, die er in dem Gewimmel entdeckt und die gleich wieder in der Menge untertaucht. Das Rätselhafte an der Sache: Veronika ist tot. Sie hat vor Jahren Selbstmord begangen, indem sie sich auf die Bahn-Gleise in der Nähe ihres Elternhauses gelegt hat. Veronika, seine große Liebe, die ihn einst betrog und ihm damit das Herz gebrochen und ihn fortgetrieben hat. Sie war nach dieser Episode nur noch ein Schatten ihrer selbst, sie magerte ab, und als sie begann, Stimmen zu hören, begab sie sich in psychiatrische Behandlung.

Nun mischen sich diese beiden Zustände: die Trauer und die aktuelle Angstwut auf die Terroristen. Hochartistisch, wie der Icherzähler nun wie im Traum das Gemetzel in der Kongresshalle verlässt und sich auf die Suche nach seiner geliebten toten Frau begibt, ja, er scheint wie ein Geist die alten Schlachtfelder, die Blumenfelder seiner Liebe zu besuchen. Er, ein Katholik, evoziert die Trauerbewältigungs-Gespräche mit einem Bischof und seinem Vikar, in denen es auch um den Glauben geht und unseren Zweck im Leben und um das Geheimnis der Liebe.

Mit der höchsten poetischen Klarheit hält Gracia dieses Mobile in der Schwebe, an dem doch die elementarsten Fragen hängen. Die aktuelle Todesangst und der Verlust. Er fühlt sich in Veronika ein, als sie dort auf den Gleisen stand: „Die Angst vor dem Weiterleben mit den Dämonen steht gegen die Angst vor dem Sterben, steht mit ihr auf den Gleisen, Angst gegen Angst“.

Längst hatte sie bereut, sich von ihrer “Gier“ auf ihr Abenteuer überwältigen zu lassen, auch der Erzähler hat ihr längst vergeben, und er schiebt die Schuld einer Gesellschaft zu, die die eigene Lustoptimierung zum Generalschlüssel zu einer geheimnislosen und banalen Existenz gemacht hat.

Von Glauben und Verrat
Der Unverbesserliche tanzt mit dem Tod
Er erinnert sich „an die Tage mit Veronika, die in mich hineingefallen sind wie das Sonnenlicht durch die offenen Fenster“.

Und er thematisiert sich selber als Schriftsteller, wenn er beschließt: „Ich will das in meinen Roman «Auslöschung» einbauen. Ich will mit Veronikas Geschichte zeigen, wie es so weit kommen konnte, dass wir aus unserer Kultur eine Daseinsoptimierungs-Maschine gemacht haben. Eine Maschine, in welcher die Familie nur noch ein nebenberuflicher Unterbruch der Produktivität ist, sekundiert von Krippen, Abtreibungen und chemischen Mitleidstötungen im Alter. Eine Maschine, in der nur noch Hamsterrad-Liberale herumrennen, Fitnessstudio-Moralisten und Champagnerdemokraten.“

Aber er weiß schon, dass sich kein Verleger finden wird, der das veröffentlicht, denn er gilt seit einigen kritischen Artikeln als „Islamhasser“ und als „Katholikenfreund“. Gleichzeitig ist dieser kleine Roman nämlich eine fundamentale Attacke auf den Medienbetrieb und seine woken Scheuklappen, die nichts mehr zulassen wollen, was den linksliberalen und kirchenfeindlichen Mainstream verstören könnte.

Wir haben es hier also mit einem Vielfrontenkampf zu tun, mit der Trauer und der Liebe, der Gesellschaftskritik und der Vertiefung in die Grundfragen des Glaubens.

Und der Geist des Erzählers schwebt wieder hinein in das Gemetzel, in dem schließlich einer der Geiselnehmer seine Sprengstoff-Weste zündet und dann noch einer, und Riesenschläge das Festhaus in Flammen und Trümmerstücke aufgehen lassen. Und plötzlich, in den Rauchschwaden findet er seine Veronika wieder, sie halten sich bei den Händen und sie weist ihm den Weg zu einem Ausgang.

Mehr soll hier nicht verraten werden, nur so viel, dass Giuseppe Gracia bereits einige großartige Romane geschrieben hat und ein ebenso fulminanter Essayist und Kolumnist ist, der für die NZZ, die WELT und eine ganze Menge alternativer Medien tätig ist, auch als Moderator für den Kontrafunk in seiner Sendung „Menschenbilder“. Und hier hat die Tagespost recht, wenn sie schreibt „Gracia entlarvt die europäischen Gegenwartslügen mit einer Sprache die vor elementarer Kraft strotzt“.

Hinzuzufügen wäre, dass seine Sprache auch die zärtlichsten Bildern beschwören kann.

Giuseppe Gracia, Auslöschung. Roman. Fontis, Paperback, 128 Seiten, 15,90 €


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