Durch die Brille von Ideologen betrachtet sind Solar- und Kernenergie unvereinbar. Die eine Energieform ist gut, die andere abgrundtief schlecht. Diese Brille haben die Ingenieure von Holtec International in Jupiter im US-Bundesstaat Florida noch nie aufgesetzt. Für sie ergänzen sich die beiden Stromerzeugungsarten geradezu ideal. Der Gesamtwirkungsgrad steigt und die Produktion von Solarstrom wird mit Hilfe eines technologischen Tricks planbar. Pläne für den Bau der ersten Anlage sind bereits fertig.
Eines der beiden Herzstücke ist ein relativ kleiner Reaktor mit einer Leistung von 300 Megawatt – die weltweit größten, die in China und Finnland laufen, kommen auf 1600 Megawatt. Solche Small Modular Reactors (SMR) sollen künftig auf alten Kohlekraftwerksflächen errichtet werden. Diese böten nach dem Abriss der Kohlenmeiler in der Regel genug Platz für alle Komponenten der Combined Nuklear/Solar Power Plant (CNSP), meint Kris Singh, CEO des Unternehmens. Zudem könne man gleich die vorhandene Infrastruktur zur Einspeisung des Stroms ins Netz nutzen.
Zweites Herzstück ist ein Solarturmkraftwerk mit beweglichen Parabolspiegeln, die dem Lauf der Sonne folgen und in einem Dreiviertelkreis um einen Turm angeordnet sind. Unterhalb der Spitze des Turms befindet sich der sogenannte Receiver, auf den die Spiegel die Wärmestrahlen der Sonne konzentrieren. Die darin befindlichen Keramikkügelchen erhitzen sich auf bis zu 900 Grad Celsius. Luft, die hindurchströmt, transportiert die Wärmeenergie in einen Hochtemperaturspeicher.
Dort wird sie in Form von flüssigem Salz zwischengelagert. Derartige Speicher sind bereits an vielen Solarturmkraftwerken vor allem in Spanien und den USA installiert. Auch diese können Strom produzieren, wenn die Sonne untergeht oder von Wolken verdeckt ist. Das Salz erreicht eine Temperatur von mehreren 100 Grad. Der Wärmespeicher ist quasi die Alternative zu Batterien, die Strom direkt für schlechte Zeiten speichern. Diese müssen allerdings nach zehn Jahren ersetzt werden, während ein Wärmespeicher 60 Jahre durchhalten soll.
Im Normalbetrieb werden die Wärme, die im Reaktor erzeugt wird, und ein Teil der solaren Energie genutzt, um Dampf zu erzeugen, der einen Turbogenerator zur Stromerzeugung rotieren lässt. Im Speicher bleibt stets so viel Wärme zurück, dass auch an wolkigen Tagen oder nachts noch Energie entnommen werden kann, um Dampf zu erzeugen. Gemeinsam sind Reaktor und Solarkraftwerk weitgehend wetterunabhängig. Zumindest ist die Stromerzeugung planbar, sodass auch bei Dunkelflaute, also bei schwachem Wind und fehlender Sonneneinstrahlung, noch Strom produziert werden kann.
„Unser Konzept verbindet die Vorteile der Kernenergie – hohe Energiedichte, emissionsarm, grundlastfähig – mit denen der Solarenergie, bei der es keine Brennstoffkosten und geringe regulatorische Hürden gibt“, sagt Singh. Eine CNSP habe einen viel höheren thermodynamischen Wirkungsgrad als das Kernkraftwerk allein und würde Solarenergie zu einem integralen Bestandteil der Grundlastversorgung machen.
„Wir glauben, dass eine geschickte Kombination von Atom- und Solarenergie eine überzeugende Lösung für Nationen bietet, die von der Sonne verwöhnt sind und auf fossile Brennstoffe verzichten möchten“, sagt Singh.
Zwei SMR-300 sollen auf dem Gelände der Palisades Nuclear Power Plant am Ostufer des Michigansees im US-Bundesstaat Michigan gebaut werden, allerdings noch ohne Solaranlage. Auch Großbritannien, das bis 2050 24 Gigawatt neue Kernkraftwerksleistung neu bauen will, ist an dem Holtec-Kernkraftwerk interessiert. Angesichts des auf der Insel vorherrschenden Wetters dürfte die Solarkomponente dort allerdings wegfallen.
Wolfgang Kempkens studierte an der Technischen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aachener Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Energie und Umwelt.