Tichys Einblick
Nach dem Kraftwerksplan

Rettet sich die FDP durch einen Bruch der Ampel?

Die FDP bremst Habecks Heizungsstrategie aus. Die FDP denkt über den Ampelbruch nach. Manche Journalisten wollen eine Art Kurswechsel der Liberalen herbeischreiben – doch der kommt entweder ganz oder gar nicht.

IMAGO

Spielt ein Team in der Bundesliga gegen den Abstieg, müssen die Verantwortlichen ständig Fragen nach der beruflichen Zukunft des Trainers beantworten. Das geht der Ampel nicht anders. Zuerst streute die Bild das Gerücht, Verteidigungsminister Boris Pistorius werde Olaf Scholz (beide SPD) als Bundeskanzler ablösen. Nun: Die FDP wolle die Ampel und damit die Bundesregierung verlassen. Unter der Chefredakteurin Marion Horn mag das Blatt die Nähe zur Macht suchen – scheint sie aber nicht zu finden. Denn beide Gerüchte sind bestenfalls weinseliges Geschwätz von Politikern und Journalisten, die zu viele Abende miteinander verbringen.

Die FDP wird die Ampel nicht vorzeitig verlassen. Zumindest nicht in diesem noch jungen Jahr 2024. Prominente wie Wolfgang Kubicki faseln zwar öffentlich über den Bruch mit SPD und Grünen. Doch das ist wie einst das Geschwätz von Horst Seehofer (CSU) über Obergrenzen und andere Sicherungen der Grenzen. Es ist eine Karotte, mit der Politprofis unzufriedenes Wahlvolk bei der Stange halten wollen – um es dann am Ende verhungern zu lassen.

Zudem versucht die FDP, sich inhaltlich von den Grünen abzusetzen. Zum Beispiel, wenn sich Finanzminister Christian Lindner gegen das von Robert Habeck (Grüne) aus der Hüfte geschossene „Sondervermögen“ für die Wirtschaft ausspricht oder Steuersenkungen fordert. Etwa die Abschaffung des „Solidaritätszuschlags“ für die Wirtschaft. Oder wenn Justizminister Marco Buschmann sich mit mutmaßlichem Bürokratieabbau durch das „Wachstumschancengesetz“ brüstet.

Die jüngste Volte ist die Kraftwerkstrategie. „Wirtschaftsminister“ Habeck will Milliarden ausgeben und für die Grundlast ausschließlich auf Kraftwerke setzen, die „grünen Wasserstoff“ in Strom umsetzen. Dass noch gar nicht sicher ist, ob es ausreichend grünen Wasserstoff geben, geschweige denn, was der kosten wird – solche Details fichten den Kinderbuchautoren nicht an. Mit der Kraftwerkstrategie haben SPD und FDP den Illusionisten im Amt des „Wirtschaftsministers“ ausgebremst. Die Ampel setzt nun auf einen Mix aus schmutzigem amerikanischen Fracking und teurem Flüssiggas aus Katar. Aber der ist so absurd, dass sogar die Tagesthemen von einer „abenteuerlichen“ und „ideologiebetriebenen Energiepolitik der Grünen“ sprechen.

Genau an diesem Punkt zeigt sich das Dilemma der FDP auf. Es reicht für die einstige Wirtschaftspartei nicht, Habeck ein wenig auszubremsen und damit für sich zu werben, „das Schlimmste verhindert“ zu haben. Solange die FDP Habecks toxischen Mix ermöglicht: Atomausstieg, Wunschdenken bei grünem Wasserstoff, fehlende Rücksichtnahme auf Preise oder Ausgaben und ideologisch motivierte Tagträumerei. Solange wird die FDP in der Wählergunst sinken. Niemand, der die Grünen ablehnt, wählt eine Partei, die die Grünen ermöglicht, aber ausbremst. Denn es gibt genug Parteien, die die Grünen einfach verhindern wollen.

Diese Parteien wollen Grüne, Kanzler Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hinter der „Brandmauer“ verschwinden lassen. Die einstige Bürgerrechtspartei FDP trägt Faeser mit. Die missbraucht den Geheimdienst, um politische Gegner zu bekämpfen. Sie kündigt an, „Hass und Hetze“ zu verbieten und dabei bestimmen zu wollen, was „Hass und Hetze“ ist. Das wird schnell zum Vorwand, Kritik an der Ampel unter Strafe zu stellen. Ist dieser Dreisatz erst einmal etabliert, ist Kritik an der Ampel in einem Rutsch verboten. Die SED hat es in der DDR mit den gleichen Sprachregelungen vorgemacht. Wenn die FDP das mitträgt, ist sie für keinen freiheitlich Gesinnten jemals wieder wählbar. Dann spielt es auch keine Rolle, wenn die FDP damit wirbt, in Paragraph sieben, Spiegelstrich römisch vier, zwei Worte abgeändert zu haben, die alles noch viel schlimmer gemacht hätten.

Zwei und ein Viertel Jahre ist die Ampel an der Bundesregierung. Ihre Ergebnisse sind verheerend: Die Wirtschaft ist unter den Industrienationen die einzige, die schrumpft, statt zu wachsen. Straßen und Brücken verfallen weiter, wie sie es schon unter Angela Merkel (CDU) getan haben. Die Arbeitslosigkeit wächst. Immer mehr Menschen können sich Essen, Strom und Miete nicht mehr leisten. Rekordzahlen bei Insolvenzen und Zwangsräumungen sind die Folge. Aber am schlimmsten von allem: Die Spaltung der Gesellschaft schreitet nach Corona noch weiter voran und Faeser legt die Axt an die freie Meinungsäußerung. Die Zahl der Deutschen, die das Gefühl haben, nicht mehr sagen zu dürfen, was sie denken, sie wächst.

Die Deutschen verlieren das Vertrauen in die Freiheit. Federführend verantwortlich ist ein FDP-Politiker. Buschmann hat an den Gesetzen mitgeschrieben, die das Werben gegen Abtreibung unter Strafe stellen. Die das falsche Ansprechen von Geschlechtswechslern unter Strafe stellen. Die das Leugnen von Kriegsverbrechen unter Strafe stellen – ohne zu definieren, was ein Kriegsverbrechen ist und was nicht. Dass er dann noch den Hanswurst spielt, der in der Bild ankündigt, die „Saboteure der Nordstream“-Pipeline jagen zu wollen, ohne danach im Geringsten zu liefern, ist die Kirsche auf dem Eisbecher Marco Buschmann.

Mit diesem Marco Buschmann will die FDP 2025 Wahlkampf machen. Dafür bauen die Partei und sein PR-Apparat Buschmann derzeit zum Kämpfer gegen Bürokratie auf. Das dürfte in etwa so enden wie seine Jagd auf die Nordstream-Saboteure. Buschmann sieht sich als Bürokratie-Bekämpfer, weil er im Chancengesetzwachstum, nein im Chancenwachstums… – also weil er in diesem Dings da durchgesetzt hat, dass Unternehmen Belege nicht mehr zehn, sondern nur noch acht Jahre aufheben müssen.

Das genügt, um als Kämpfer gegen die Bürokratie zu gelten. Das glaubt die FDP wirklich. Ernsthaft. Die Wähler würden vergessen, dass die Liberalen Habecks Heizhammer mitgetragen haben. Das Gesetz, das Bürger zwingt, privateste Anliegen dem Staat zu offenbaren und zu dokumentieren. Ebenso vergessen, dass die Wirtschaft unter den bürokratischen Lasten leidet, die von der Ampel immer weiter ausgebaut werden. Vergessen, dass die Ampel für politische Vorschläge steht wie nun die Versicherungspflicht für Sitzrasenmäher und Gabelstapler. Buschmann hat die Aufbewahrungsfrist für Belege von zehn auf acht Jahre verkürzt. Ein Hoch auf Marco, dem Großen, dem Töter des Bürokratiedrachens.

Ein Spontispruch aus den 70er Jahren lautet: „Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter.“ Das ist die Situation der FDP. Geht sie auf dem Ampel-Weg weiter, dann führt der sie unter die Fünf-Prozent-Hürde. In ersten Umfragen ist die Partei schon bei drei Prozent angelangt. Auf dem Weg mit Habeck Habeck nur bremsen zu wollen, das genügt nicht. Der Weg ist falsch. Die FDP muss umkehren. Zurück zu dem, wofür Deutsche sie einst gewählt haben: wirtschaftliche Vernunft, Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheit. Wem das wichtig ist, wird niemanden wählen, der Kollektivismus ermöglicht – auch wenn der den Kollektivismus zu bremsen verspricht.

Ob eine Rückkehr der FDP zu ihren einstigen Werten sie noch vor einem Absturz bei den nächsten Bundestagswahlen retten kann? Schwer zu sagen. Im Film „Die Höllenfahrt der Poseidon“ versuchen sich Passagiere vom Unterdeck des gekenterten Schiffs zur Schiffsschraube durchzuschlagen. Der Weg ist gefährlich, für manche tödlich. Er verbessert die Überlebenschance der Passagiere von Null Komma Null auf Null Komma Eins Prozent – aber das ist wenigstens eine Chance.

Doch die Frage, ob die FDP sich mit einem Bruch der Ampel noch retten kann, ist müßig. Sie findet im Konjunktiv statt. Sie bleibt auch im Konjunktiv. Einen Ampelbruch kann es nur geben, wenn sich die Partei von Christian Lindner und seinem treusten Diener Marco Buschmann trennt. Das ist illusorisch. Keiner in der Partei hat das Zeug zum Sturz, keiner in der Partei hat die Traute. Wie Kubicki machen sie nur den Seehofer: rummotzen, aber im entscheidenden Moment nicht springen.

So wie seine innerparteilichen Kritiker mit ihm, versucht es Lindner mit der Ampel: ein wenig kritteln, ein paar minimale Zugeständnisse erhalten. Aber ansonsten Habecks Energiewahnsinn weiter mittragen und sich an der Deindustrialisierung Deutschlands mitschuldig machen. Ebenso wie an der Entdemokratisierung durch Faeser. Lindner hofft darauf, das Falsche machen zu können, solange er das Richtige sagt – nur spätestens seit der Bergpredigt weiß die Menschheit: Es ist umgekehrt. An den Taten sollt Ihr sie erkennen.

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