Vertraulichkeit ist ein hohes Gut – und meist das Gegenteil von Journalismus, dessen Aufgabe die Veröffentlichung, nicht das Verschweigen ist. Besonders brisant wird es, wenn sich Geheimdienste der journalistischen Vertraulichkeit bedienen, um ihre Sicht der Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen. Der aktuelle Fall Correctiv und der Deutsche Presseclub illustrieren den tiefen Wandel im Selbstverständnis von Medien und Journalisten.
Drei Zahlen kennzeichnen, was wir erfahren dürfen
Journalisten benutzen gern drei Zahlen für Gespräche mit Politikern und Amtsträgern, die den meisten Branchenfremden nichts sagen: 1, 2 oder 3. Erhält ein Journalist eine Information „unter 1“, darf er Inhalt und Quelle nennen. Wenn sich Journalist und Gesprächspartner „2“ zurufen, darf die Nachricht, aber nicht die Quelle genannt werden. „Unter 3“ heißt: Es darf gar nichts geschrieben werden. „Unter 3“ bedeutet: Ausschluss der Öffentlichkeit. Warum finden diese sogenannten Hintergrundgespräche überhaupt statt, wenn nicht berichtet werden darf?
Diese Unterhaltungen können durchaus einen Wert für beide Seiten haben: Politiker haben dort Gelegenheit, über Gedanken und Strategien relativ frei abseits des politischen Nahkampfs zu sprechen, in dem jedes Wort zum Angriffsziel der Konkurrenten werden kann. Journalisten erleben umgekehrt Politiker, die ausnahmsweise nicht risikominimierend in Standardfloskeln reden. So verhielt es sich jedenfalls früher.
Schon unter Merkel wurden exklusive Hintergrundrunden allerdings immer stärker zu Zirkeln eines politisch-medialen Komplexes ohne klare Trennung. Sie dienten dazu, bestimmte Sprachregelungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Hauptstadtredakteure, die an diesen kleinen Runden teilnahmen, durften sich ein bisschen als Mitregenten fühlen. Ist es erlaubt, die zugesicherte Vertraulichkeit von „unter 3“ zu brechen? Die FAZ jedenfalls nahm sich einmal die Freiheit.
„Gauland beleidigt Boateng“, titelte die Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen im Mai 2016. „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, soll Gauland der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) nach gesagt haben.
Es war einer dieser Skandale, die die AfD in ein rassistisches Licht rücken. Artig entschuldigte sich die damalige AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry für die rassistische Boateng-Beleidigung durch ihren Stellvertreter. Gauland allerdings bestritt die genaue Formulierung; zudem sei der Satz „unter 3“ gefallen. Kann sein. „Unter 3“ eignet sich dazu, schärfer zu formulieren als üblich, um Sachverhalte durch Überspitzung zu verdeutlichen. Die FAZ-Redakteure bestritten die Vertraulichkeit; die habe sich nur auf AfD-interne Vorgänge bezogen. Mag sein.
Oder hatte die FAZ für eine krachende Schlagzeile Gauland bewusst hintergangen und im parteiinternen Machtkampf dann Petry die Gelegenheit benutzt, einen Machtkonkurrenten zu schädigen? In der Politik verschwimmen Wahrheit und Legende; Journalisten aber sollten aufklären, nicht vertuschen.
Wenn ein Geheimdienstchef fröhlich plaudert
Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldewang jedenfalls lud am Höhepunkt der „Correctiv“-Kampagne zwei Journalistengruppen zu vertraulichen Gesprächskreisen, offenbar in der Erwartung, dass die Geladenen seine Sicht der Dinge in ihren Medien transportieren. Nach TE-Informationen nutzten etwa 80 renommierte Berliner Journalisten die Gelegenheit, einige waren sogar auf beiden Veranstaltungen. TE war nicht eingeladen, aber erhielt Informationen über ein Gespräch, und schrieb:
„Im Kreise von wohlgesonnenen Journalisten plauderte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (CDU) aus, dass sein Dienst schon vor dem vermeintlich rechten Geheimtreffen im Potsdamer Hotel ‚Landhaus Adlon‘ über das Wer, Wann und Wo bestens Bescheid wusste.“
Und weiter:
„Nach dem Gespräch scharten sich noch ausgewiesen linke Journalisten im Beisammensein um den Verfassungsschutz-Präsidenten, berichten Teilnehmer. Dabei hörten sie, dass Haldenwangs Verfassungsschutz schon seit Anfang November, also vor dem sogenannten ‚Geheimtreffen‘ mit Lesung eines umstrittenen Autors, ganz genau über die Gruppe der Eingeladenen in dem Potsdamer Hotel sehr gut Bescheid wusste.
Haldenwangs Leute ermittelten, wer dort hinkommt, wann und wo: ‚Wir kennen sie alle.‘“
Deutlich wurde: Haldenwang ist mächtig stolz auf seine Behörde, die überall ihre Lauscher hat.
Eigentlich kein besonderer Vorgang. Zu Zeiten Helmut Kohls beispielsweise war der damals noch regierungskritische SPIEGEL zu keinem Gespräch beim Kanzler eingeladen. Für die weniger gut bezahlten Kollegen kleinerer Tageszeitungen eine gute Gelegenheit, sich etwas dazuzuverdienen. Der SPIEGEL konnte seinen Ruf als bestinformiertes Medium verteidigen. Vertraulichkeit muss gewahrt werden – aber nicht, wenn es um kriminelle Vorhaben geht oder um dramatischen staatlichen Missbrauch. Dann überwiegt die Berichtspflicht des Journalisten das Vertuschungsinteresse.
Aber in Berlin ist der Journalismus staatstragend und staatsnäher geworden.
Der „Deutsche Presseclub“ meldet sich
Flugs ereilte mich ein seltsames Schreiben des Vorsitzenden des Deutschen Presseclubs, der eines der beiden Treffen organisiert hatte. Wir geben einen Auszug wieder, weil es das Selbstverständnis vieler Journalisten zeigt.
„Obwohl in dem Text davon die Rede ist, dass Verfassungsschutzpräsident Haldenwang selbst zu einem Hintergrundgespräch geladen und dieses am Nachmittag stattgefunden hätte, liegt für uns der Verdacht nahe, dass hier unser Clubabend gemeint und nur der Form halber unkenntlich gemacht worden sein könnte. Obwohl Sie als unser Mitglied nicht daran teilgenommen haben, tragen Sie redaktionelle Verantwortung für den Beitrag.“
Ich war also nicht dabei, aber soll ausgeplaudert haben? Junge, Junge. Es ist eine bemerkenswerte Sicht, wenn Chefredakteure verhindern sollen, dass wichtige Nachrichten erscheinen, die tüchtige Redakteure ausgraben. Der Deutsche Presseclub nimmt für sich in Anspruch, darüber zu bestimmen, was erscheinen darf – natürlich in keinem Fall das, worüber man mittels „unter 3“ hofft, Wissen für sich exklusiv zu halten und dem Informationsgeber gefällig zu sein. Es soll nicht in den Medien erscheinen, was in Berlin gesprochen wird. Das sei seine „Geschäftsgrundlage“.
Und es geht weiter. TE solle den Beitrag sofort „depublizieren“. Erstaunt beobachtet man ein Schweigekartell bei der Arbeit. Natürlich erfahren die Erleuchteten viel aus den Hinterzimmern der Mächtigen. Aber darüber schreiben? Keinesfalls. Bemerkenswert: Inhaltlich wurde nichts bemängelt. Man könnte daraus den Schluss ziehen, es wäre eine Bestätigung des Beitrags. Eine inhaltlich glaubwürdige Korrektur – TE hätte sie selbstverständlich abgebildet. Kein Dementi ist auch eine Aussage. Und so werden wir nicht „depublizieren“.
„Der Verfassungsschutz wusste fast alles“, so Teilnehmer, unter anderem auch, dass die Eingeladenen des Potsdamer Treffens ausdrücklich keine Aufzeichnungen vereinbart hatten. Die Forderung des Presseclubs besitzt schon formal keine Substanz. Vertraulichkeit können nur Teilnehmer an einem Gespräch zusichern. Wer gar nicht anwesend war, und seine Informationen anders erlangt, unterliegt keinem Schweigegelübde. Darüber hinaus wirkt die ganze Situation ziemlich komisch: Die gleichen Medienvertreter, die kein Problem darin sehen, eine Privatveranstaltung in Potsdam auszuspähen oder zumindest zu bejubeln, entdecken einen Skandal darin, wenn ein Medium, das nicht zu ihrem Kreis gehört, die Worte eines Behördenchefs zu einer hoch politischen Affäre zitiert. Und das offenbar auch noch zutreffend. „Correctiv“ verschaffte sich seine Informationen möglicherweise illegal. TE nicht.
Woher bezieht „Correctiv“ sein Wissen?
Denn laut Sicherheitsinsidern, wie Tichys Einblick vertraulich informiert wurde, besitze das SPD- und Grünen-nahe „Correctiv“ nach eigenen Angaben Wortprotokolle des Treffens. Was darauf schließen lasse, dass die Kommunikation der Teilnehmer aufgezeichnet wurde. „Correctiv“ habe ja zudem selbst behauptet, sie seien im Besitz von Wortprotokollen. Allerdings sollten die vermeintlichen Gedächtnisprotokolle angeblich von Teilnehmern stammen. Oder hat Haldenwang sogar das Material an „Correctiv“ weitergegeben?
Es geht hier nicht um ein wenig Geheimniskrämerei, mit der sich manche Journalisten gerne brüsten. Es geht um zentrale Fragen des Verhaltens des Chefs des deutschen Inlandsgeheimdienstes, der strengen Beschränkungen unterliegt bei der Informationsbeschaffung von privaten Treffen und deren Weitergabe. Denn aus weiteren Protokollen, die TE seither aus einem der Gesprächskreise zugänglich gemacht wurden, ergibt sich ein fragwürdiges Verständnis seiner Aufgaben – und ja, TE bekennt sich dazu, dass wir solche relevanten Informationen nicht verschweigen.
So plaudert der Chef des Inlandsgeheimdienstes locker davon, welche „neurechten“ Journalisten angesprochen worden wären („PI-News, 1-Prozent“). Dass er Mitglieder verschiedener Burschenschaften beobachte und einzelne Mitglieder der sich gerade als Partei umgründenden Werteunion. Mittlerweile wurde bekannt, dass eines dieser Mitglieder Haldenwangs Vorgänger im Amt Hans-Georg Maaßen ist. Aus Twitter beziehe man seine Kenntnis und lege dann Akten an, so Haldenwang.
Das alles wirkt eher lächerlich, wenn man sich im Fall Maaßen anschaut, was da angeblich alles „verfassungsfeindlich“ sein soll. So gilt als verfassungsfeindlich, wenn ein gefährlicher Österreicher wie der Chef der Identitären, Martin Sellner, eine Aussage Maaßens auf Twitter wiederholt. Wie man diesen in den letzten Wochen in der breiten Medienlandschaft erleben konnte, wird dieser sich wohl demnächst einen Spaß daraus machen und Friedrich Merz oder Nancy Faeser zitieren. Zack, Eintrag Merz und Faeser.
Gefährlicher noch ist Haldenwangs Grundüberzeugung: 10 Prozent der AfD-Wähler seien Stammwähler. An die käme man nicht mehr heran. Aber mit den anderen 10 Prozent könne man zu einem „geschlossenen Verhalten der Regierung“ gelangen, wie die großen Demonstrationen unter dem Schlagwort „Gegen Rechts“ gezeigt hätten. Der Inlandsgeheimdienst sei eine Art Frühwarnsystem, das die Bürger insbesondere vor Wahlen davor warnen müsse, was einzelne Parteien „da so anrichten können“. Denn Verbote würden zu lange dauern und es gibt keine Garantie, dass sie auch ausgesprochen werden, „auch im Fall Höcke“. Deshalb freue er sich über die Demonstrationen.
Der Verfassungsschutz als Parteiorgan?
Das ist ein gefährliches Selbstbild. Gewiss ist Aufgabe des Inlandsgeheimdienstes, Informationen zu beschaffen. Aber Wahlen zu beeinflussen? Einzelne Parteien gezielt zu bearbeiten und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, um über Mobilisierung der Öffentlichkeit Wähler zu beeinflussen? Hier werden Staatsorgane zu Dienstleistern der Parteien. Hier überschreitet das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Befugnisse. Und hier überwiegt das Recht der Öffentlichkeit, darüber Bescheid zu wissen über jede angemaßte „Unter 3“-Regel. Hier operiert der Verfassungsschutz weit jenseits seiner Befugnisse und möchte sich einer Journalisten-Regel bedienen, um sein Verhalten zu unterdrücken.
Und es geht noch weiter. Bei der Verhaftung der „Reichsbürger“ waren Dutzende von Journalisten vorab informiert worden – über Orte, Zeiten und Personen. Im klassischen Sinne war es Geheimnisverrat, um sich publizistisches Wohlwollen zu erkaufen. Denn wer nicht mitspielt, wird das nächste Mal ausgeschlossen. Nichts fürchten Journalisten mehr.
Im Fall der dubiosen „Correctiv“-Affäre stellen sich auch viele andere Fragen: An wen hat der Bundesverfassungsschutz die ihm vorliegenden Komplett-Informationen weitergegeben? Wer hat die Kampagne, die aus der privaten Veranstaltung im Hotel Adlon-Villa in Potsdam im vergangenen November entstanden ist, geplant und von wem stammen die Zutaten? Die Bundesregierung jedenfalls will nicht dementieren, dass der von ihr ausdrücklich und ungefragt namentlich erwähnte Bundesverfassungsschutz in Potsdam involviert war.
Ein redseliger Präsident stellte sich vor, der seine Dienstherrin, Innenministerin Nancy Faeser, als etwas naiv erscheinen lässt: Es wäre ihre Aufgabe, darüber Parlament und Öffentlichkeit zu unterrichten, statt die Innereien einer ihr nachgeordneten Behörde von ihrem Untergeordneten breittreten zu lassen. Hat er seine neuen Befugnisse etwas extensiv ausgelegt? Die notwendigerweise getrennten Sphären von Staat und Parteien, NGOs und Regierung, Journalismus und Geheimdienst, Privatem und Öffentlichem überlagern sich; die notwendige gegenseitige Kontrolle verschwimmt.
Doch eine Überdehnung der neuen Befugnisse?
So wurde erst im November 2023 die gesetzliche Grundlage der Informationsweitergabe des Bundesamts für Verfassungsschutz erweitert. Ursprünglich sah das „Gesetz zum 1. Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts“ vor, dass auch Lehrer und Schulleiter oder Unternehmer vor vermeintlich Radikalen gewarnt werden sollten; eine Art totaler Staat sollte entstehen, der keinen Lebensbereich unbeobachtet lässt. Diese allgemeine Überwachungs-Funktion des Verfassungsschutzes wurde allerdings nur partiell erweitert.
Professor Dietrich Murswiek, der sich als Verfassungsrechtler intensiv damit befasst hat, sieht für eine Weitergabe im aktuellen Fall keine Rechtsgrundlage. Hat also „Correctiv“ doch selbst abgehört und illegale Videos angefertigt? Bislang weigert sich „Correctiv“, die entsprechenden Dateien vorzulegen. Warum? Wäre derjenige erkennbar, der sie angefertigt hat? Oder decken sich die Aussagen auf diesen Dateien nicht mit den abenteuerlichen Behauptungen, die „Correctiv“ den Teilnehmern unterstellt? Darüber werden künftig Gerichte entscheiden müssen; entsprechende Klagen laufen, wie TE berichtet hat.
Immerhin: Einer der Mitarbeiter von „Correctiv“ ist Jean Peters, der anbietet, sich „Geschichten auszudenken“, um politisch zu intervenieren, wobei auch „technische Mittel“ zum Einsatz kommen. „Correctiv“ relativiert sogar seine eigene Ethikkommission, die sie immerhin mit dem renommierten früheren Datenschutzbeauftragten Peter Schaar besetzt hat. Der wurde aber auf Nachfrage von TE seit November 2023 nicht mit dem Fall befasst. Datenschutz erst dann, wenn illegal veröffentlich wurde?
So verstärkt sich ein unangenehmer Gedanke: Immer neue Ungereimtheiten in der von „Correctiv“ aufgetischten Story tauchen auf bis zur Verwicklung des Inlandsgeheimdienstes in die Sache. Makaber: Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen beschwerte sich, dass sich in seinem Zuständigkeitsbereich unangemeldet die Schlapphüte landesfremder Geheimdienste ein Stelldichein geben – ohne ihn als zuständigen Minister zu informieren: „Ich hätte mir schon gewünscht, gerade wenn die Informationen älter sind, dass wir sie früher zur Kenntnis bekommen hätten.“
„Das Bundesamt habe eine umfangreiche Datensammlung im Zusammenhang mit der Veranstaltung im November und der Immobilie verschickt, wo das Treffen stattfand, sagte der Innenminister“, berichtet die Tagesschau.
Geheimnistuerei, wohin man blickt – und auf deren fragwürdiger Information dann deutschlandweit riesige Demonstrationen organisiert werden. Behauptungen sollen so oft wiederholt werden, bis sie als vermeintliche Tatsachen im öffentlichen Bewusstsein unumstößlich verankert sind. Und dazu passt ein Journalistenclub, der jetzt alle seine Mitglieder daraufhin abklopft, ob sie jemals bei TE geschrieben haben oder mit unseren Redakteuren bekannt sind. Journalisten bespitzeln Journalisten.
Bemerkenswert, dass ein Journalistenclub Verschwiegenheit im Dienste der Regierung als seine unbedingt zu verteidigende „Geschäftsgrundlage“ sieht. Früher jedenfalls war Journalismus etwas anderes.