Tichys Einblick
Correctiv-Affäre

Wie die CDU die Correctiv-Story übernahm – und zum Eigentor verwandelte

Die CDU wollte sich offensichtlich an die Spitze der Correctiv-Bewegung gegen die AfD setzen und führte den Begriff „Deportation“ für das Potsdam-Treffen seitens der Politik ein. Das gelang zunächst gut. Doch ganz unplanmäßig wird auch sie gleich mit abgeräumt.

IMAGO - Collage: TE

Von dem früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler stammt die Erkenntnis: Revolutionen werden nicht mehr wie vor 100 Jahren durch die Besetzung von Telegraphenämtern und Bahnhöfen durch Putschisten gemacht. Revolutionen macht man durch die Besetzung von Begriffen.

Sein Nachfolger Carsten Linnemann scheint das beherzigen zu wollen. Er veränderte und verschärfte die Begriffe, wie sie Correctiv für das angebliche „Geheimtreffen“ in Potsdam verwendet. Abschiebung von Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung oder, nachdem sie Straftaten begangen haben, soll dort eines der Themen gewesen sein.

Aber eine Abschiebungsoffensive wird auch im Koalitionsvertrag genannt, Olaf Scholz forderte Abschiebungen „im großen Stil“, selbst Nancy Faeser bekennt sich dazu – wenigstens rhetorisch. Was genau ist daran dann plötzlich so unfassbar, wenn auch einige Rechtsradikale, Identitäre, CDU-Mitglieder und AfD-Anhänger das fordern? Ist es nicht die neue Staatsräson in der Migrationspolitik? Zunächst wurde von „Remigration“ gesprochen, kein schöner Begriff, aber im Englischen gebräuchlich.

„Deportation“ wird erfunden

Das Thema nahm erst an Fahrt auf mit dem Begriff „Deportation“. Deportation, da werden schreckliche Erinnerungen wach: an die Deportation von Juden in die Gaskammern. Deportation ist Vertreibung, millionenfache systematische Ermordung, ethnische Säuberung. Deportationen werden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (in Friedenszeiten) oder als Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt. Es ist tatsächlich ein ungeheurer Vorgang, und die betroffenen Teilnehmer könnten sich damit mit gutem Recht wehren, wenn ihnen diese Behauptung unterstellt wird.

Auch Correctiv selbst versucht, sich davon zu distanzieren. „Wir haben auch nicht von Deportationen gesprochen oder so. Das wurde dann von denen, die es interpretiert haben …“ eingeführt – sagte die stellvertretende Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit im Presseclub.

Da ist so wenig Wahrheit dran wie an anderen Correctiv-Behauptungen.

Im Text von Correctiv heißt es: „Was (Martin) Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat“, lautet ein Absatz unter der Überschrift „Die Utopie der Nazis“. Deportation wird im Kontext „Madagaskar“ gebraucht, aber nicht auf die heutige Situation angewandt.

Correctiv-Text selbst über das „Geheimtreffen“ kommt „Deportation“ mit Gegenwartsbezug zunächst nicht vor. Später wurde der Begriff in einen anderen Text eingefügt, wieder gelöscht – das zeigt was man von der Schwindelbude zu halten hat

Doch die eigentliche Wirkung entfalltete sich kurze Zeit später.

TE hat nachgeschaut, wer diesen Begriff in die aktuelle politische Debatte einführte. Und ist auf zwei bemerkenswerte Namen gestoßen. In der breiten Medienberichterstattung wurde der Begriff erstmals von Armin Schuster, dem sächsischen CDU-Innenminister, am 11. Januar 2024 geprägt. Der Begriff findet sich beispielsweise in der Sächsischen Zeitung.

Auch in den Nachrichtenagenturen taucht dieser Begriff erst an diesem Tag in Zusammenhang mit Schuster auf. dpa meldet um 14:12 Uhr: „Sachsens Innenminister Armin Schuster hat sich entsetzt über das Treffen von Vertretern eines rechtsextremen Bündnisses mit AfD-Mitgliedern in Potsdam geäußert. Das Treffen erinnere ihn an den dunkelsten Teil der deutschen Geschichte, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im Interview mit ‚MDR Aktuell‘. Im Grund gehe es um ‚Deportationen nach Afrika‘.“

Damit war der Begriff in der Welt, wenn auch nicht als das, was man als „Bombe“ bezeichnen könnte. Um 18:50 Uhr erfolgte der zweite Schlag. In einem Bericht über einen kommenden Bericht der Tageszeitung Welt meldete AFP und zitierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: „Diese Deportationen auch von deutschen Staatsbürgern, über die hier de facto gesprochen wird, sind menschenverachtend, geschichtsvergessen und einfach ekelhaft.“ 

Die Meldung wird dann am 11. Januar 2024 auch auf ntv und in vielen Medien nachgedreht.

Der Begriff Deportation wird jetzt zum politischen Totschlagbegriff; es geht nicht um „Abschiebung“, sondern um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Begriff wurde offensichtlich von Armin Schuster als erstem benutzt und nur Stunden danach oder gleichzeitig von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

Ahrtal-Schuster wirkt in Sachsen

Der Rheinländer Armin Schuster ist kein Unbekannter. Er war Beamter der Bundespolizei. 2009 zog er für die CDU in den Bundestag ein. Doch als Quereinsteiger in der Politik konnte er sich nicht so stark auf Parteinetzwerke verlassen wie andere CDU-Abgeordnete. Vielleicht auch deshalb ging er bei der Verteilung von Posten im Fraktionsvorstand immer leer aus. Als Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Arbeit der Geheimdienste überwacht, wirkte er eher fernab der Kameras. Denn das Gremium tagt geheim.

Im Innenausschuss hatte er als Obmann dagegen ab 2013 eine Schlüsselrolle inne. Von 2020 bis 2022 war er Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – und kam nach dem Ahrtal-Hochwasser mit 165 Todesopfern unter Druck: Wahrheitswidrig behauptete er, die Warnung der Bevölkerung etwa durch Sirenen habe geklappt, die dysfunktionale Warnapp habe ihre Aufgaben erfüllt. Als Behördenchef war er für diese Systeme und fehlende Warnung im Katastrophenfall zuständig – angesichts des flächendeckenden Schadens und seiner Kaltschnäuzigkeit war er nicht mehr haltbar.

Flugs wurde Schuster auf den Job des Innenministers in Sachsen abgeschoben. Dort kämpft er jetzt gegen die AfD-Konkurrenz, die nach der kommenden Landtagswahl möglicherweise die CDU aus der Regierung hebeln könnte. Auf einer Veranstaltung der Antifa nannte er deren Schlägertrupps „Verfassungsschützer“. Sein Statement (Video): 

„24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten meine Polizisten und Polizistinnen, Staatsschützer und Verfassungsschützer für unsere Demokratie. Aber ich darf Ihnen stellvertretend für die sagen: zehntausende, hunderttausende Verfassungsschützer auf den Straßen, die denen zur Zeit helfen, so wie Sie, das gab es noch nie. Das ist Verfassungsschutz.“

Als Innenminister ist Schuster auch Dienstherr des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen, das personell und materiell ungewöhnlich gut ausgestattet ist. Die Wirkung ist nicht auf Sachsen beschränkt, im Verdachtsfall können Schusters Verfassungsschützer auch in Brandenburg und der dortigen Landeshauptstadt aktiv werden.

Nach dem Abrücken von Correctiv vom Begriff der „Deportation“ fällt damit ein fahles Licht auf die CDU. Offensichtlich wollte sie mit diesem Begriff die für die CDU zur Gefährlichkeit aufwachsende AfD bekämpfen. 

Das ist allerdings gründlich schief gegangen. Offensichtlich wurde übersehen, dass „gegen Rechts“ auch die CDU beinhaltet. Bei den Massenprotesten gegen die AfD jedenfalls kam die CDU an keinem Ort gut weg, außer wenn Schuster persönlich das Mikrophon ergriff und von Linksradikalen bejubelt wurde.

Bei dem großen Aufmarsch „gegen Rechts“ in München sah die Anmelderin denn auch keinerlei Veranlassung, dass Teilnehmer der CSU (die zur Teilnahme aufgerufen hatten) sich daran beteiligen sollten – als „Rechte jeglicher Couleur“. Auch in Aachen hält man aber so gar nichts von der Teilnahme der erklärten Steigbügelhalter.

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