Um explodierende Energiekosten sorgt sich das ZDF – allerdings im Nachbarland: „Frankreich war lange bekannt für billigen Strom, doch die Kosten für den bisher günstigen Atomstrom sind explodiert. Für Haushalte bedeutet das künftig höhere Stromrechnungen“, meldete das ZDF auf der Webseite der heute-Nachrichten am 27. Januar 2024. Weiter heißt es dort: „Der staatliche Atomkonzern EDF hat Schulden, fast 65 Milliarden. Ein Grund: Bisher musste er einen Teil seines Atomstroms zu einem festgelegten Preis verkaufen – bisher für 42 Cent pro Kilowattstunde, deutlich unter den Produktionskosten. Mit diesem Preisdeckel ist bald Schluss. Ab 2026 verkauft Électricité de France (EDF) seinen gesamten Atomstrom für rund 70 Cent die Kilowattstunde. Darauf haben EDF und die französische Regierung sich geeinigt.“
An der Meldung sind zwei Dinge bemerkenswert: Erstens verrechnet sich der Mainzer Sender schon einmal glatt um das Zehnfache. Ab 2026 endet tatsächlich eine alte Regelung, die EDF bisher zwang, seinen Strom an andere Versorger für 42 Euro je Megawattstunde abzugeben – also noch knapp unter den Gestehungskosten. Von 2026 ab steigt der Preis auf 70 Euro pro Megawattstunde. Das bedeutet: von 4,2 auf 7 Cent je Kilowattstunde – also auf ein Zehntel dessen, was das ZDF seinem Publikum erzählt. Außerdem gilt diese Preissteigerung nur im Großhandel. Die Endkunden trifft sie, wenn überhaupt, nur marginal, denn hier ist eine Kappungsgrenze für den Preis geplant.
Zum zweiten handelt es sich um eine alte Meldung aus dem November 2023, die das ZDF mit grotesk verdrehten Zahlen noch einmal aufwärmt. Am 17. November 2023 meldete beispielsweise Le Monde mit korrekten Zahlen: „L’Etat français et Electricité de France (EDF) ont annoncé, mardi 14 novembre, avoir trouvé un accord sur le prix de l’électricité d’origine nucléaire: à partir de 2026, le mégawattheure (MWh) serait vendu par EDF aux alentours de 70 euros, soit nettement plus que le montant actuel – inchangé depuis 2011 – à 42 euros.“
Eine Preissteigerung von 4,2 auf 7 Cent je Kilowattstunde ab Werk stellt aus Sicht deutscher Stromkunden kaum eine Horrornachricht dar. Der Endkundenpreis für eine Kilowattstunde Haushaltsstrom bei einem Jahresverbrauch zwischen 1.000 und 2.500 Kilowattstunden liegt in Frankreich bei 27,35, in Deutschland bei 43,36 Cent. Schon anhand dieser Zahlen hätte den Verantwortlichen in der Nachrichtenredaktion dfes ZDF auffallen müssen, dass die angeblichen 42 beziehungsweise 70 Cent je Kilowattstunde in Frankreich – wohlgemerkt ab Werk, also noch ohne Steuern – unmöglich stimmen können. Selbst dann, wenn in Mainz gerade kein Redakteur ausfindig zu machen war, der die Umrechnung von Mega- in Kilowattstunde beherrscht.
In dem ZDF-Text finden sich noch einige andere bizarre Formulierungen. Dass Frankreich überwiegend auf Atomstromerzeugung setzt, deutet das ZDF beispielsweise so: „Frankreich ist abhängig vom Atomstrom.“ Immer noch besser, mag sich der eine oder andere Zuschauer denken, als von Sonne, Wind und Stromimporten.
„Zwischenzeitlich war etwa die Hälfte der gesamten französischen Anlagen nicht funktionsfähig“, heißt es auf der Seite des Mainzer Senders weiter: „Um seinen Bedarf zu decken, musste das Land sogar Strom aus Deutschland importieren.“ Tatsächlich standen etliche Atomkraftwerke in Frankreich 2022 und 2023 still – einige, weil Korrosionsschäden beseitigt werden mussten, andere wegen regulär anstehender Revisionen. Einige wenige, insgesamt 5, drosselten ihre Leistung oder fuhren sie zeitweise ganz herunter, weil sich im Sommer das Kühlwasser in Flüssen zu stark erwärmt hatte. Die Behauptung, die Hälfte der französischen Reaktoren seien deshalb insgesamt „nicht funktionsfähig“ gewesen, ist abwegig.
In der Zeit, als ein Teil der Kernkraftwerke aus verschiedenen Gründen stillstand, importierte Frankreich zwar Strom aus Deutschland – exportierte aber gleichzeitig auch Elektroenergie nach Italien. Dass Deutschland sich seit der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke zum Land stark steigender Stromimporte entwickelte, erwähnt das ZDF nicht. Ebenso wenig, dass es sich bei etlichen deutschen Stromexporten in Wirklichkeit um die Entsorgung von nicht speicherbaren Überschüssen in Nachbarländer handelt, teils für Negativpreise von bis zu 500 Euro pro Megawattstunde.
Statt mit einem Experten zu sprechen, der die Zahlen und Proportionen wieder hätte geraderücken können, zitiert der ZDF-heute-Beitrag noch eine Sprecherin von Greenpeace in Frankreich: „Wir sollten aufhören, Atomenergie zu produzieren. Aber wir haben andere Energieformen nicht genug ausgebaut, vor allem erneuerbare Energien. Jetzt stehen wir mit dem Rücken zur Wand.”
Die gleiche Aktivistin kommt schon in einem Beitrag des ZDF-Korrespondenten in Frankreich, Thomas Walde, zu Wort, der am 25. Januar 2024 über das Leiden der französischen Verbraucher unter dem teuren Atomstrom berichtet. Waldes Beitrag beginnt mit Aufnahmen einer Lehrerin, die sich erst einmal setzen muss, offenbar überwältigt von der Elektrizitätsrechnung. Dann schiebt der Korrespondent ganz kurz ein, es gehe um mögliche Preissteigerungen in der Zukunft. Sein Beitrag verkauft die gleiche alte Meldung über die Steigerung des Atom-Strompreises von 4,2 auf 7 Cent pro Kilowattstunde als neue Geschichte. Interessanterweise lässt Walde diese Zahlen allerdings komplett weg und spricht nur von einer Preiserhöhung „um zwei Drittel“, garniert mit markigen Kommentaren: „Frankreich zieht die Notbremse“. Greenpeace-Aktivistin Pauline Boyer darf verkünden: „Atomkraft ist eine teure Energie.“ Damit die Botschaft auch wirklich sitzt, bekräftigt Walde in seinem Kommentar noch einmal, Frankreich setze auf Energiesouveränität durch Kernkraft, stelle jetzt aber fest: „Diese Souveränität hat einen hohen Preis.“
Nach vielen Hinweisen von Zuschauern und einer Presseanfrage des Autors korrigierte sich das ZDF dann unter dem Text – ein bisschen.
Der Sender gibt in dem Korrekturkasten die Preise allerdings pro Megawattstunde an, ohne den Kilowattstunden-Preis zu nennen – in der Hoffnung, dass auch viele Zuschauer – genauso wie das ZDF – nicht umrechnen können. Die Anstalt verschleiert also, wie grob sie daneben lag.
Fazit: Das ZDF versucht noch nicht einmal, den Anschein einer distanzierten Berichterstattung zu wahren, wärmt eine alte Meldung auf, hantiert entweder mit grotesk falschen Zahlen oder lässt konkrete Zahlen ganz weg. Das spricht nicht für ein Versehen, sondern für absichtliche Manipulation.