Der Bundestag hat am Freitag das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts verabschiedet. Mit diesem ermöglicht die Ampel Einwanderern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bereits nach fünf statt nach acht Jahren eingebürgert zu werden. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ soll sogar eine Einbürgerung nach drei Jahren möglich werden. TE hatte darüber bereits berichtet.
Als „Voraussetzungen“ gilt laut Reem Alabali-Radovan (SPD) beispielsweise, dass ein Einwanderer „gutes“ Deutsch spreche, einen eigenen Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdiene und sich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichte. Außerdem können mit diesem Gesetz Menschen jeglicher Herkunft eine doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Bislang war es nur Einwanderern aus der Europäischen Union, aus der Schweiz und aus Ländern, die ihren Bürgern den Wechsel der Staatsangehörigkeit untersagt, möglich, eine solche zu bekommen.
Die Ampel-Parteien stimmten für, die Union sowie die AfD gegen das von ihnen benannte „Turbo-Einwanderungsgesetz“. Die Fraktionslosen enthielten sich. Denn ihren Zusatzantrag lehnten die anderen Parteien im Bundestag geschlossen ab: Sie forderten, dass eine schnellere Einbürgerung auch für Einwanderer möglich sei, die „Transferleistungen“ erhalten – also dem Sozialstaat auf der Tasche liegen. Die Fraktionslose Gökey Akbulut forderte eine „Einbürgerungspolitik ohne soziale Ausgrenzung“. Denn mit diesem Gesetz ist die Einbürgerung an den Lebensunterhalt geknüpft, wie der FDP-Fraktionschef Christian Dürr gegenüber n-tv betont.
SPD, Grüne und FDP betonten, dass Deutschland zwar schon immer ein Einwanderungsland gewesen sei, doch nun ein „zukunftsfähiges Einwanderungsland“ werde. Ziel der „Reform“ sei, die Demokratie zu stärken, wie Gülistan Yüksel (SPD) meint. Union und AFD würden mit ihren Debattenargumenten dem Zusammenhalt und der Demokratie schaden. Komisch: Sind es nicht genau diese Debatten über Gesetzesentwürfe, die Demokratie ausmachen?
Das gilt besonders für Debatten über Gesetze mit solcher Tragweite: Immerhin wird der deutsche Pass „auf Ewigkeit verliehen“, betont Alexander Throm (CDU). Die Union führte an, dass die deutsche Staatsangehörigkeit mit diesem Gesetz entwertet werde. Die Bundesregierung gebe ihre „Steuerung, Vorsicht und Sicherheit“ auf. Das sei ein Schaden für das Land, meint Throm. Er erinnert in seiner Rede daran, dass die Einbürgerung bislang erst nach mindestens acht Jahren vergeben wurde, um eine ausreichende „Prüffrist“ sicherzustellen. Geprüft wurde laut Throm, ob sich ein Migrant dem Land „nachhaltig verpflichtet“.
Außerdem kritisiert Throm, dass die Bundesregierung „die ganze Welt über den gleichen Kamm scheren“ wolle: Wenn die Ampel Menschen jeglicher Herkunft in Deutschland eine doppelte Staatsbürgerschaft verleihe, hole sie politische Konflikte aus dem Ausland ins Land. Er macht darauf aufmerksam, dass es 2,5 Millionen Menschen in Deutschland gebe, die schon bei aktueller Gesetzeslage einen Anspruch auf einen deutschen Pass hätten. Sie wollen diesen laut Throm allerdings nicht, weil sie dafür ihren alten Pass abgeben müssten: „Das ist eine Entscheidung“, findet er.
Das sieht Canan Bayram (Grüne) anders: „Es gibt höchstpersönliche Gründe, seine alte Staatsangehörigkeit nicht abzugeben“, kontert sie. So wollten Einwanderer möglicherweise wegen eines Erbrechts oder familiärer Bindungen nicht auf ihren alten Pass verzichten, führte Stephan Thomae (FDP) an. Ihn und seine Fraktion interessiere aber nicht, woher jemand komme, sondern wohin jemand wolle. Und die FDP zeigt sich überzeugt davon, dass sämtliche Einwanderer in den Arbeitsmarkt wollen. So sagte Dürr gegenüber n-tv, dass die Regierung sich darum kümmere, dass „diejenigen, die herkommen, in den Arbeitsmarkt kommen“.
Laut Thomae entspricht diese „Reform“ daher einer „Erleichterung und neuer Strenge“ zugleich: Es sei eine Erleichterung für den deutschen Arbeitsmarkt, dem es an Arbeitskräften fehle. Aber die Vergabe des deutschen Passes sei auch an strengere Prüfungen geknüpft: Erfüllt jemand die Voraussetzungen – deutsche Sprache, Integration und Job – dann möchte Thomae diesem Menschen „den roten Teppich ausrollen“. Wenn sich ein muslimischer Einwanderer weigert, einer Frau die Hand zu schütteln, dann sei das kein Grund für eine misslungene Integration, antwortet er auf eine Frage aus den Reihen der Unions-Fraktion. Was eine gelungene Integration neben einem selbstverdienten Lebensunterhalt ausmacht, konkretisiert Thomae nicht. Aber laut Dürr ist eine Sache definitiv keine Integration: „Menschen, die antisemitisch auffallen, haben keine Chance mehr, deutscher Staatsbürger zu werden“, postuliert er gegenüber n-tv. Er glaubt, dass es zu einer solchen Migrationspolitik eine breite Zustimmung in der Bevölkerung gebe, da die Migranten nun nicht mehr in die Sozialsysteme, sondern in den Arbeitsmarkt einwandern.
Die Union hat da andere Zahlen: Ohne eine Quelle zu nennen, spricht Stefan Heck davon, dass mehr als 70 Prozent der Bürger diese Gesetzesänderung ablehnten. Durch eine „fiktive Volksabstimmung“ ginge das Gesetz entsprechend nicht, meint er. Heck kritisiert, auf „jegliche Selektion von Migration“ zu verzichten und gleichzeitig die Türen für eine Einbürgerung zu öffnen. Sein Fraktions-Kollege Alexander Hoffmann meint, dass die Ampel diese „offenen Türen“ ins Schaufenster stelle. Das sei ein „Verkaufsschlager für alle Schleuser“.
Doch die Abgeordneten der Ampel betonen in ihren Reden, dass es wichtig sei, dieses Gesetz „genau jetzt“ durchzubringen: Erstens, weil „so viele Menschen so lange auf diese Reform gewartet haben“, wie es Alabali-Radovan ausdrückt. Zweitens wegen der „Deportationspläne“ der AfD, die diese Partei laut mehreren Presseberichten auf einem Treffen im November beschlossen habe. „Nie wieder ist jetzt“, ruft Alabali-Radovan. Hoffmann von der Union möchte gerne gemeinsam mit der Ampel gegen die AfD arbeiten: Dafür müsste die Regierung allerdings dafür sorgen, dass sie der AfD deren „identitätsstiftenden Themen“ wegnehme, statt diese zu bestärken. Christian Wirth (AfD) meint, dass die Ampel mit ihren Vorwürfen die Taten im Nationalsozialismus relativiere. Und meint zu dem „Turbo-Einwanderungsgesetz“, dass der deutsche Pass eigentlich als „Auszeichnung, Belohnung und Würdigung für die Bemühungen“ eines Einwanderers gelte. Dieser Wert gerate nun in Schieflage, befürchtet er.
Wie sehr sich die Union und die AfD auch gewehrt haben: Am Ende der Debatte stimmten 382 Abgeordnete für und 234 Stimmen gegen das Gesetz; 23 Abgeordnete enthielten sich. Mit Überraschungen hatte schon vorher niemand gerechnet. Womöglich hatte der Ältestenrat der Sitzung deswegen auch nur 45 statt der üblichen 90 Minuten eingeräumt.