Aktivisten werfen Mäuse in Geschäfte, bespucken und beschimpfen Kunden, und rufen zum Boykott bestimmter Marken auf: Unternehmen, die sich auf die eine oder die andere Seite im Nahost-Konflikt schlagen, erhalten einen „Shitstorm“ von den „Aktivisten“ der Gegenseite. Und dieser Shitstorm breitet sich rasant aus. Die sozialen Medien wie TikTok und Instagram sind voll mit Hashtags wie #FreePalestine oder #StandWithIsrael. Diese landen unter Beiträgen, die sogenannte „Content-Creator“ veröffentlichen, also Leute, die Inhalte in den sozialen Medien erstellen.
In ihren Beiträgen erklären sie anderen TikTok-Nutzern, welche Marken sie noch kaufen dürfen und welche sie boykottieren sollen. Wer die Beiträge sieht, entscheidet bei TikTok ein Algorithmus: Beiträge, die viel gesehen und auf die viel reagiert wurde, werden bei mehr Nutzern angezeigt. Vor allem drei große Unternehmen stehen im Mittelpunkt: Starbucks, Coca-Cola und McDonald’s. Dabei ernten sie Kritik, egal auf welche Seite sie sich schlagen: Pro-Israel oder Pro-Palästina. Teilweise wirkt sich diese Kritik in schlechten Zahlen für das Unternehmen aus.
Die Kommentare zu dem Tweet der Starbucks-Gewerkschaft gehen diametral auseinander: Die einen – hauptsächlich Muslime – applaudieren dem Tweet der Starbucks-Gewerkschaft; andere kritisieren den Post und verweisen darauf, dass es Hamas-Terroristen gewesen seien, die am 7. Oktober in Israel einen „Genozid“ veranstaltet haben. Sie meinen, die Starbucks-Angestellten würden mit diesem Tweet zeigen, dass sie mit Mördern und Vergewaltigern sympathisierten. In den Kommentaren kündigten einige Twitter-Nutzer folglich dankbar an, keine Produkte von Starbucks mehr kaufen zu wollen.
Auf diesen Tweet seiner Angestellten reagierte Starbucks „empört“, wie Blick berichtet. Das Unternehmen versucht demnach klarzustellen, dass es nicht mit den Äußerungen von „Workers United“ übereinstimme und Terror- sowie Gewaltakte verurteile. Starbucks habe die Gewerkschaft sogar wegen Markenrechtsverletzung angeklagt, wie das Manager Magazin berichtet.
Allerdings sind wiederum Pro-Palästina-Aktivisten der Meinung, dass Starbucks den „Genozid“ in Gaza unterstütze, und rufen wiederum zum Boykott der Kaffeehaus-Kette auf. Entsprechend wird Starbucks in den letzten Monaten von Unterstützern beider Parteien kritisiert und boykottiert. Das aber nicht nur in den USA, in denen „Workers United“ einflussreich ist, sondern auch in Deutschland: Wie das Manager Magazin berichtet, haben Teilnehmer einer Pro-Palästina-Demonstration im November Kunden vor einer Starbucks-Filiale in Berlin „angepöbelt und bespuckt“ (dazu ein TikTok-Video).
Neben Starbucks boykottieren Pro-Palästina-Aktivisten auch McDonald’s. Die Fastfood-Kette habe tausende Mahlzeiten an israelische Soldaten und israelisches Gesundheitspersonal gespendet und gebe den Soldaten zudem Rabatt auf ihre Produkte, wie Blick und Business Insider berichten. Die Aktivisten rächten sich für diese Spenden-Aktionen: Sie haben laut Focus kastenweise Mäuse und Ratten in britische McDonald’s-Filialen geworfen. Dass McDonald’s ein Franchise-Unternehmen ist und die Aktion des Franchisers in Israel unabhängig von britischen McDonald’s-Filialen ist, scheint die Aktivisten nicht zu kümmern.
Ebenfalls fällt Coca-Cola unter deren Kritik: Diese Marke arbeite auf „gestohlenem palästinensischen Land“, wie es in einigen TikTok-Videos heißt (siehe hier). Es handelt sich um einen Industrie-Park in Atarot, einer aktuell israelischen Siedlung im Norden Jerusalems, die nah an der Grenze zum Gaza-Streifen liegt. Aber die Aktivisten meinen, Atarot gehöre zu Palästina und Coca-Cola ignoriere das internationale Recht, indem sie in diesem Ort produzieren. Somit wollen sie auch diese Marke boykottieren. Aber dieser Boykott scheint weniger erfolgreich zu sein: Der Konzern konnte seine Verkaufszahlen in den letzten Monaten sogar erhöhen, obwohl die Softdrinks – abgesehen von den Boykottaufrufen – teurer geworden sind, wie „wallstreet online“ berichtet.
Ebenfalls vermischen die Unterstützer Palästinas Sport und Politik: So fordert zum Beispiel ein TikTok-Creator, dass Puma boykottiert werden solle, weil diese Marke die israelische Nationalmannschaft und die „Israel Football Association“ (IFA) sponsere (siehe TikTok-Video).
Insgesamt dienen sämtliche Statements und Verbindungen zwischen Israel und einer Marke, wie zum Beispiel ein Geschäft in dem Land zu führen, als Gründe für die pro-palästinensischen Aktivisten, diese zu boykottieren. Unter dem Hashtag #21dayschallenge verbreiten sich diese Videos wie ein Lauffeuer. Und das nicht nur unter Muslimen oder Pro-Palästinensern, sondern verschiedensten TikTok-Nutzern. Allerdings gewinnt die Pro-Palästinenser-Seite in den sozialen Medien überhand, während die Pro-Israel-Seite eher untergeht.
Die Tagesschau hat dazu Benjamin Gust, einen Professor der Technischen Hochschule Mittelhessen, interviewt. Der meint, der Algorithmus kenne kein „journalistisches Gatekeeping“ und achte nicht auf Ausgewogenheit. Stattdessen sorgten die „nackten Zahlen“ dafür, dass sich die Videos der pro-palästinensischen Aktivisten schnell verbreiteten. Immerhin stehen Schätzungen zufolge den weltweit rund 15 Millionen Juden mehr als zwei Milliarden Muslime entgegen, wie die Tagesschau angibt (siehe TikTok-Video).