Die Teilnehmer der Wirtschaftsdemonstration buhen Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus. Das ist nun wirklich keine Schlagzeile. Wer äußerst sensibel ist, konnte schon vorher unter den wirtschaftlichen Leistungsträgern einen Hauch von Unmut gegen die Politik der Ampel wahrnehmen. Dass dieser Unmut sich auf einer eigens aus diesem Grund veranstalteten Kundgebung äußern wurde, war daher nicht gänzlich auszuschließen.
Das Bemerkenswerte ist, dass sich Lindner den unzufriedenen Bauern, Wirten, Spediteuren, Handwerkern und Jägern überhaupt gestellt hat. Im Dezember hatte er noch eine Einladung des Bauernverbandes ausgeschlagen, auf deren Kundgebung zu sprechen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) stellte sich an dem Tag der auch da schon nicht ausschließlich gut gelaunten Kundgebung. Dass Lindner Terminnöte vorgeschoben hatte, statt sich zu stellen, hat ihm auch in der FDP viel Kritik eingebracht.
Nun stellt Lindner sich. Er zeigt Reue. Auch inhaltlich. Er sagt, die Verteuerung des Agrardiesels könne er vermutlich nicht zurücknehmen. Aber der Finanzminister und FDP-Chef verspricht den Bauern unter den Teilnehmern, den Abbau von Bürokratie oder der hohen Umweltauflagen prüfen zu wollen. Auch ließe sich prüfen, ob eine steuerfreie Risikorücklage möglich sei. Das ist nicht genug, um sich ein Buhkonzert – verstärkt durch Hupen, Tröten und Sirenen – zu ersparen.
Doch die Buhrufe musste Lindner im Vorfeld als Buße für seine verpatzte Politik in Kauf nehmen. Dass er mit dem Rücken zur Wand steht, hat der FDP-Vorsitzende verstanden. Es ist auch nicht all zu schwer zu verstehen: Seine Partei ist aus wichtigen Landtagen wie in Bayern rausgeflogen und steht im Bund laut Umfragen nur noch bei 4 Prozent. Selbst der hochtalentierte Schönredner Lindner kann das nicht in Siege umdeuten. Dass er nun anders als im Dezember vor der Demonstration spricht, ist die äußerlich sichtbare Bereitschaft zur Buße.
Auch verbal hat er es schon getan. Einst war Lindner ein Sünder: Als die Klimakleber sein Ministerium stürmten, zeigte sich der Minister nicht entrüstet. Mal abgesehen von der Frage, wie ein paar Puddingarme ein schwer bewaffnetes Bundesgebäude stürmen können, betrieb Lindner anschließend bei Maischberger Appeasement pur: Die Stürmung sei doch gar nicht nötig gewesen, er habe doch schon alle Forderungen der Extremisten umgesetzt. Noch vor neun Tagen hielt Lindner eine Rede, bei der er die Bauern zur Umkehr aufforderte. Sie würden sich zu einer rechten Radikalisierung missbrauchen lassen.
Am Wochenende gab Lindner dann ein bemerkenswertes Interview. Darin sagte er – an die Koalitionspartner gerichtet – es sei falsch gewesen, sich den Klimaklebern nicht entschlossener entgegen zu stellen. Das habe den Tabubruch zum legitimen Mittel der politischen Debatte gemacht. Ebenso sei es nun falsch, die berechtigten Anliegen von Bauern, Handwerkern und anderen Wirtschaftstreibenden als rechtsextrem diffamieren zu wollen. Lindner verurteilt nun also all das, was Lindner zuvor selbst getan hat.
Dafür gibt es zwei potentielle Erklärungen. Die Eine: Lindner hat seine Fehler eingesehen und betreibt nun echte Buße. Dafür spricht. Bisher hat die FDP ein liberal-konservatives Medium wie TE gemieden: Dafür versuchten Lindner und sein treuster Fußsoldat Marco Buschmann Medien wie die Süddeutsche zu umgarnen. Nun merkt die Redaktion: TE bekommt plötzlich Antworten auf Anfragen, Bundestagsabgeordnete der FDP nehmen Gesprächsangebote an. Es könnte tatsächlich ein Einsehen gegeben haben, dass es der FDP nichts nützt, wenn abgehobene Woke in ARD, Süddeutsche und Co. die Partei ein wenig weniger schlecht finden – und die FDP stattdessen wieder ihre eigentliche, liberal-konservative Klientel erreichen muss.
Die andere mögliche Erklärung für Lindners vor den Demonstranten gezeigte Reue: Wie schon so oft klafft beim Finanzminister eine Lücke zwischen dem, was er sagt und dem, was er tut. Er sprach gegen den Atomausstieg und hat ihn mitgetragen. Er fordert, dass sich Leistung lohnen muss, beschließt aber eine Erhöhung des Bürgergeldes um 25 Prozent innerhalb eines Jahres mit und deckt gleichzeitig die Lücken in seinem Haushalt damit, dass er in die Sozialkassen greift – damit sorgt er dafür, dass sich Leistung in Deutschland noch weniger lohnt.
Lindner wird eines lernen müssen: Um eine Stimmung zu drehen, reicht es nicht, einmal richtig zu reden. Wenn er will, dass unzufriedene Leistungsträger aufhören, ihn auszubuhen, dann muss er richtig bereuen und tätige Buße zeigen. Dann muss es eine Politik geben, die Leistung belohnt. Die aufhört, denjenigen den Wohlstand zu nehmen, die ihn erwirtschaften, um ihn an NGOs und Klimaschutzprojekte in Südamerika weiterzureichen. Wenn Lindner glaubt, er komme damit durch, das Falsche zu tun, solange er nur das Richtige fordere, dann hält er die Leistungsträger für dumm – ist das aber tatsächlich selbst. Denn dann hat er seine letzte Kugel verschossen und Leistungsträger werden ihn so lange ausbuhen, bis er in zwei Jahren seine politische Laufbahn beendet und einen Beraterjob beginnt.