Tichys Einblick
Der Kanzler schürt den Bauernzorn

Olaf Scholz: Mehr Respektlosigkeit für Dich

In einer Videobotschaft ruft der Kanzler zu Kompromissen, Maß und Mitte auf. Er warnt vor einem "toxischen Gemisch", das die Wut im Land "gezielt geschürt" hätte. Dabei liegt die Verantwortung vor allem bei der Ampel selbst: sie hat kompromisslos, maßlos und radikal regiert.

Screenprints: Bundeskanzler via X - Collage: TE

Früher hielten Kanzler Ansprachen an die Nation. Heute machen sie Videos im Habeck-Format. So muss man die neueste Botschaft von Olaf Scholz interpretieren. Das verwundert: als Bundeskanzler hätte Olaf Scholz mit der Rede an die Nation, zur besten Sendezeit auf einem öffentlich-rechtlichen Sender ein mächtiges Instrument. Solche Auftritte merkt sich das Geschichtsbuch. Es unterstreicht nicht nur die Seriosität und Autorität des Kanzlers. Es macht klar: das ist ein wichtiger Moment. Helmut Schmidt, den Olaf Scholz in seiner Videobotschaft zweimal zitiert, hat gewusst, welche Wirkung dies entfaltet.

Stattdessen begibt sich der Kanzler auf das Niveau seines Bundeswirtschaftsministers, sechs Tage nach dessem irritierenden Auftritt, als er rechte Schreckgespenster beschwor und die Demokratie in Gefahr sah, weil Galgen gezeigt würden und von Umsturzversuchen geträumt werde. Auch Scholz bedient sich dieser Sujets. Das verwundert auf zweifache Weise.

Erstens: Dadurch, dass der Kanzler die Worte Habecks wiederholt, macht er sich klein. Es gibt im Grunde wenig, was der Vizekanzler nicht schon vorher gesagt hätte. Es scheint, als laufe der SPD-Politiker dem Grünen hinterher, weil er eine wichtige Entwicklung verpasst hätte.

Zweitens: Der Umstand, dass der Kanzler sich weder bei der monatelangen Heimsuchung Deutschlands durch Klimaextremisten noch bei Verwüstungen in deutschen Großstädten durch Linksextremisten nach dem Freispruch für Lina E. mit einer ähnlichen Botschaft an das Volk wandte, gibt der Aktion von Anfang an Schlagseite. Indirekt gesteht er damit jedoch den Bauernprotesten eine Relevanz zu, welche die „Letzte Generation“ mit ihren Protesten ganz offenbar nie hatte (im Gegensatz zu dem, was die sympathisierenden Medien kolportierten).

Zu den Merkmalen der Scholz-Reden gehört: das eine beschwören, das andere tun. Als geistiger Merkelianer erklärt Scholz zuerst, man habe sich „die Argumente der Landwirte zu Herzen“ genommen, nur, um anschließend zu verkünden, dass man bei der Agrarkürzungen hart bliebe. Der Kompromiss sei „gut“. Subventionen dürften nicht auf ewig bestehen bleiben – und man komme nicht voran, wenn jeder zu 100 Prozent auf dem eigenen Standpunkt beharre. Es sei wichtig, „dass wir das große Ganze nicht aus den Augen verlieren“. Auch hier ein Merkelismus: so wenig, wie der Bürger bis heute eine Antwort darauf hat, was Merkel „schaffen“ wollte, definiert Scholz nicht, was denn dieses „große Ganze“ sein könnte.

Die Wut, so das Narrativ, ist nicht etwa aufgrund der Politik der Ampel entstanden, sie sei „gezielt geschürt“ worden. „Mit gigantischen Reichweiten machen Extremisten auch über die sozialen Medien jeden Kompromiss verächtlich, vergiften jede demokratische Debatte. Das ist ein toxisches Gemisch, das uns Sorgen bereiten muss, das auch mich sehr beschäftigt“, führte der Bundeskanzler aus. Deutschland stehe vor einer „Bewährungsprobe“. Das ähnelt dem Weimar-Narrativ Habecks fast aufs Wort, bekommt aber im Zuge der Correctiv-Affäre noch einmal eine ganz besondere Bedeutung.

Scholz behauptet, er stünde mit den Landwirten und ihren Vertretern im Austausch. Das mag bei den Verbandsvertretern zutreffen. Das Gespräch mit den Landwirten hat Scholz dagegen in Cottbus ostentativ gescheut. Bezeichnend, dass Medien wie der Spiegel die Landwirte zum „Mistgabelmob“ degradieren und der Kanzler diese auch als solchen behandelt – und vor dem Gespräch flieht.

Der Kanzler plädiert für den Kompromiss, für Maß und Mitte – und wirft seinen Gegnern vor, diese demokratischen Spielregeln zu missachten. Doch die Ampel-Koalition regiert nicht mit, sondern gegen den Kompromiss, gegen die Mitte. Das Heizungsgesetz ist eine billionenschwere Hypothek für das Land. Dem „Selbstbestimmungsgesetz“ liegt eine linksradikale Weltanschauung zugrunde. Der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle besitzt keinen Gesellschaftskonsens. Der Haushalt 2024 war maßlos – und der Nachtragshaushalt hatte kompromisslos grüne Schlagseite.

Die Politik der Ampel ist deswegen das exakte Gegenteil: sie ist kompromisslos, maßlos und radikal. Und auf diese Politik, die nicht den Dialog, sondern die Herabsetzung und Abwertung sucht, wie es bereits Habeck in seinem Vorgängervideo getan hat, geben die Bauern die entsprechende Antwort. Die Zustimmung zu den Protesten ist in Deutschland größer ausgeprägt als die Zustimmung zur Ampel-Regierung – mit Abstand.

In dieser Situation scheint es vielen Bürgern so, dass die Bundesregierung nicht etwa „Maß und Mitte“ einhält, sondern im Gegenteil versucht, ihren eigenen radikalen Kurs damit zu übertünchen, dass sie Schreckgespenster beschwört oder Andersdenkende diffamiert. Welche Berater dem Kanzler auch immer einflüstern, dass die Kindergärtnerstimme ihn zum neuen Papa der Nation macht, schütten zusätzliches Öl ins Feuer. Wir erleben keine Regierungsansprachen mehr, sondern Erziehungspodcasts im YouTube-Format.

Das unterscheidet Scholz von Schmidt, den er so verzweifelt als Garanten herbeizitiert. Parteikollegen und Anhänger, die auch Benennungen wie „Gutes-Kita-Gesetz“ für die Vollendung der deutschen Sprache in Schillers und Goethes Geiste halten, mögen das gut finden. Für die breite Mehrheit, die mit dem Ampel-Kurs fremdelt, wirkt es dagegen wie Bevormundung. Die Nudging-Republik, wie sie seit Merkel erblüht, wird unentwegt fortgesetzt, doch immer mehr der ungezogenen Kinder fühlen sich verschaukelt. Ob seit der Euro-Krise, der Migrationskrise, der „Klimakrise“, der Corona-Krise, der Ukraine-Krise oder der Energie-Krise. Hatte sich der Tonfall zuvor größtenteils auf Merkel beschränkt, besteht mittlerweile das halbe Kabinett aus Merkelimitatoren.

Olaf Scholz hat in seiner Wahlkampagne „Mehr Respekt für Dich“ angekündigt. Darin lag von vornherein das sozialdemokratische Paradoxon, dass man Leute, vor denen man Respekt hat, und die man nicht kennt, siezt. Dieselbe Masche bemüht Scholz auch als Kanzler. Er spricht von Dialog. Von Maß. Von Mitte. Von Kompromiss. Von Demokratie. Dabei ist es in Wirklichkeit eine Sache, die seine Kanzlerschaft auszeichnet: Respektlosigkeit vor dem Bürger.

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