Rolf Mützenich wirkt immer wie der schlecht gelaunte kleine Bruder von Franz Müntefering. Der konnte früher als Fraktionsvorsitzender der SPD immer noch Optimismus verbreiten, selbst wenn links und rechts von ihm alles unterging. Mützenich erinnert in dem Amt immer an einen Mann, der beim siebten Bier an der Theke einem Fan des 1. FC Köln erklärt, warum die schon wieder ihren besten Spieler an Bayer Leverkusen abgeben müssen: traurig, resigniert, aber doch entschlossen an einem Vorhaben festzuhalten, egal wie aussichtslos es ist.
Nun muss Mützenich der Presse etwas zur anstehenden Klausur der SPD-Fraktion erzählen: Haushalt verfassungswidrig, Deutschland überschuldet, die Wirtschaft rutscht in den Keller, in dem die Umfragewerte für die SPD und deren vierten Kanzler Olaf Scholz schon lange sind. Die SPD wolle sich in der Klausur für noch mehr Sozialstaat in Deutschland und Europa einsetzen, sagt Mützenich.
Klingt nach einem Plan. Nach einem sozialdemokratischen: noch höhere Steuern, noch mehr Verwaltung und noch mehr Entscheidungen, die nicht ein Unternehmer vor Ort trifft, sondern ein Kinderbuchautor und seine Vetternwirtschaftler in Berlin. Für Albert Einstein ist es die Definition von Wahnsinn, immer das Gleiche zu versuchen, sich dabei aber andere Ergebnisse zu erhoffen. Für Rolf Mützenich ist das Standhaftigkeit.
Über zwei Jahre ist Scholz Kanzler. Aber immer noch ist das wichtigste Argument dieser Regierung, dass sie für den Zustand des Landes nicht verantwortlich sei, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU) es nach 16 Jahren so hinterlassen habe. Dass die SPD 21 der letzten 25 Jahre an der Bundesregierung beteiligt war, lassen ihre Verantwortliche indes gerne weg. Das würde letztlich auch Mützenichs Aussagen ad absurdum führen, dass man nur die Verfassung ändern müsse, unbegrenzt Schulden machen, die SPD mit dem Geld machen lassen – und alles würde gut. In diesen Momenten wirkt Mützenich wie der FC-Fan, der dieses Jahr vielleicht nicht mehr an die Meisterschaft der Kölner glaubt, sie fürs kommende Jahr aber nicht ganz ausschließt.
Scholz stellt sich der Fraktion, werden die Schlagzeilen der nächsten Tage lauten. Aber da ist nicht viel zu stellen. Die SPD hat vor Scholz nicht mehr an eine Kanzlerschaft geglaubt. Die Partei hat offen darüber geredet, ob es sich für 2021 überhaupt noch lohnt, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Scholz’ Amtszeit ist für die SPD die letzte, eigentlich unverhoffte, Chance, das Kanzleramt zu halten. Die Partei wird alles tun, um ihn an seinen Sessel zu binden. Egal, wie schlecht seine Umfragewerte sind, seine Kommunikation oder die Bilanzen der deutschen Wirtschaft, des Finanzministers und des Arbeitsmarktes.
Die Debatte um eine Veranstaltung, in der unter anderem AfD-Mitglieder über Einwanderung diskutiert haben, kommt Mützenich da gerade recht. Der „Kampf gegen Rechts“ ist der kleinste gemeinsame Nenner, den die Ampel hat. Die Strategie, die Mützenich und andere Regierungsvertreter fahren, ist so simpel wie öde: die Gefahr, die von der AfD ausgehe, dramatisieren, in den Mittelpunkt der Debatte stellen und hoffen, dass dann nicht mehr über die eigene katastrophale Bilanz geredet wird.
Ein Politikwechsel wird von der SPD-Klausur nicht ausgehen. Dafür hat sie den falschen Vorsitzenden. Mützenich will die Probleme mit Weiter so und Mehr davon lösen. Wenn er seine übermüdeten Augen in die Kamera hält und von leidenschaftlichem Kampf gegen Rechts spricht, sind das noch seine besseren Momente. Ansonsten ist er eher wie der Mann an der Theke, der auf das elfte Bier hofft, ab dem man alle Schuld auf Bayern München und Bayer Leverkusen schieben kann und in dieser Einigkeit vom Titel des FC Köln im Jahr 2025 träumen kann.