Nach dem Bauernprotest am Fährhafen im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel gestern Abend dreht sich die politische und mediale Reaktionsspirale in neue Höhen. Dabei wird gleich in Sippenhaft zum Rundumschlag gegen alle Landwirte ausgeholt: von „Kartoffel-Mob“ ist die Rede, „Nazi-Bauern“, ÖRR-Vertreter versteigen sich zu „Traktor fahren macht offenbar dumm“.
Jetzt meldet sich jeder zu Wort, der etwas auf sich hält und meint, seine Stimme müsse in dieser „historischen Stunde“ unbedingt gehört werden. Dabei gilt: je deftiger, desto besser.
Nikolaus Blome (RTL) zum Beispiel lässt sich bei X über den „Kartoffel-Mob an der Fähre“ aus. Moderator Micky Beisenherz spricht vom „Knollenmob“. Beides impliziert eine Abwertung von Landwirten insgesamt. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk meldete sich der langjährige ARD-Chefredakteur Rainald Becker zu Wort. Ebenfalls bei X polterte er: „Traktorfahren macht offenbar dumm.“ Seinen Beitrag hat er mittlerweile gelöscht.
Anders der Publizist Stephan Anpalgan: Er wütet bei X gegen einen „rechtsradikalen gewaltbereiten Pöbel unter dem Deckmantel der Bauernproteste“. Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, spricht von „Trotteln“, mit denen es Habeck zu tun gehabt habe. Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter für die Grünen, weiß derweil genau, dass der Protest „von extrem Rechten u. Putin Fans“ mitinitiiert worden sei. Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein, holt einen noch größeren Hammer raus: „Nazi-Bauern“.
Selbstverständlich stimmen auch weniger Bekannte in den Chor der rhetorischen Eskalation ein, schreiben von „bekloppten Agrar-Asis“ und ein paar neuen hinzugedichteten Bezeichnungen „im Springer-Stil“ dazu.
User Max Möhrike: Der „gewaltbereite Bauern-Mob“ habe sich „ausgerechnet gegen einen der aufrichtigsten, intelligentesten, diskursfähigsten und kompetentesten Politiker unserer Landes“ gerichtet: Robert Habeck. Viele den Grünen sehr zugetane User schreiben in etwa wie Jürgen Zimmerer, man erwarte, dass sich „jeder Bauer in Deutschland“ von dem „heimtückischen Angriff“ auf Habeck distanziere. Eine neue Art der Sippenhaft und schon mal ein interessanter Vorgeschmack auf den angekündigten Protesttag am 8. Januar, wo man ein „Wer da mitfährt, heißt so ein Verhalten gut“ schon sehr laut trapsen hören kann.
Derweil tun einige Politiker beinahe so, als sei das Land gerade noch einmal einem Putschversuch von der Schippe gesprungen: So schreibt die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt vom „Morgen danach“ und schließt ihren Beitrag mit den Worten: „Es geht um unsere Demokratie.“
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederum erklärte im ARD-Morgenmagazin, die Blockierer von Schlüttsiel hätten „feuchte Träume von Umstürzen“.
Wo genau waren eigentlich alle die Vorgenannten bei den sehr konkreten körperlichen Angriffen und zahlreichen Bedrohungen auf und gegen FDP- und AfD-Politiker und deren Angehörige, die nunmehr seit Jahren zum kleinen Einmaleins von überaus gewaltbereiten Vertretern gehören, und haben ebenso einhellig die demokratischen Werte da beschworen?
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