Tichys Einblick
Optimismus als Geschäftsmodell in Politik

Blind vor Zuversicht

Schönfärberei ist das Einzige, was die unvereinbaren Koalitionsparteien noch eint. Sie schönen die eigene Bilanz. Daraus ist zu schließen, dass sie das Volk für unzurechnungsfähig halten. Meist betreiben Politiker ihre Schönfärberei so nachhaltig, dass sie sogar den eigenen Lügen Glauben schenken.

Zu Beginn des Jahres erhellt Zuversicht den Himmel wie Silvesterraketen. Ein buntes Glitzern, das sekundenschnell verglüht.

I.

Am Ende sind Pessimisten glücklicher als Optimisten. Sie werden besser mit Enttäuschungen fertig. Sie haben nichts anderes erwartet. Diese alte Weisheit gilt dummerweise nicht in der Politik. In ihr gehört Optimismus zum Geschäftsmodell. Der Pessimist gilt zu Unrecht als hilflos. Optimisten scheinen dagegen vor Tatendurst zu sprühen. Jedenfalls tun sie so. Schwarzmaler werden nicht gewählt. Schauen wir genauer hin, entpuppt sich Zuversicht meist als Weigerung, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Dann wird die erkennbar unbegründete und falsche Zuversicht zur Staatsräson erklärt.

II.

Der Optimist stirbt an Selbstüberschätzung. Der Pessimist überlebt aus Erfahrung. Das Elend der Politik besteht nicht zuletzt darin, dass Erfahrung wenig zählt. An der Macht sind immer Besserwisser. Ihr überaus schlichtes Gemüt hat ideologische und systemische Gründe. Ideologie macht blind. Komplexere, zu Skepsis fähige Köpfe haben im politischen Geschäft selten eine Chance. Entscheidend wäre die Fähigkeit zu Selbstkritik. Daran mangelt es. Das wiederum verursacht den hartnäckigsten Feind guter Politik: die Alternativlosigkeit, die am liebsten „wissenschaftlich“ begründet wird. Was ein Witz ist, denn Wissenschaft kennt keine absolute Gewissheit. Zweifel ist eine stark unterschätzte politische Tugend. Sie befähigt zur Korrektur aus Einsicht, nicht nur auf Druck.

III.

Wenn das Volk die Pessimisten nicht wählt, aber den Optimisten trotzdem kein Wort glaubt, handelt es sich um eine Vertrauenskrise der Demokratie. Doch nicht einmal das haben die Regierenden kapiert. Stures Festhalten am falschen Kurs kennzeichnet die drei Parteien der Ampelkoalition. Die SPD ist eine Partei der Nichtarbeiter geworden. Die FDP kennt Liberalismus nur noch als Folklore. Und die Grünen sehen ihr Heil noch immer in Volkserziehung.

IV.

Schönfärberei ist das Einzige, was die unvereinbaren Koalitionsparteien noch eint. Sie schönen die eigene Bilanz. Daraus ist zu schließen, dass sie das Volk für unzurechnungsfähig halten. Meist betreiben Politiker ihre Schönfärberei so nachhaltig, dass sie sogar den eigenen Lügen Glauben schenken. Christian Lindner behauptet, „liberale“ Politik in der Ampel durchzusetzen. Er verklärt die Ausstiegsangst von wenigen tausend Parteimitgliedern zu grünem Licht für die Ampel. Olaf Scholz lügt in die Neujahrsansprachenkamera, Deutschland sei in gutem Zustand, komme „da durch“. Kärglicher kann Zuversicht nicht formuliert werden. Schmalspuroptimismus aus dem Scholzomat. Die 78 Prozent der Bürger, die mit ihm unzufrieden sind, sind in seinen Augen „einige“. Die kommen auch durch die Zumutung namens Scholz, fragt sich nur noch wann. Für alles, was beim besten Willen nicht geschönt werden kann, werden Schuldige gefunden. Die Weltlage, unvorhersehbare Umstände, die selbst erfundene „Klimakatastrophe“.

V.

Optimismus ist gefährlich, wenn er vornehmlich dazu dient, Notwendiges zu unterlassen. „Wir schaffen das!“ ist keine Erfindung von Angela Merkel, sondern die Eindeutschung von Obamas Slogan „Yes We Can“. Sie aber hat den Spruch am ruchlosesten für erkennbar falsches oder verweigertes Regierungshandeln missbraucht. Zuversicht entpuppte sich in ihrem Fall als Ignoranz und Verantwortungslosigkeit. Optimismus geriet ihr zu Propaganda. Ruchlose Schönfärber wie sie und Scholz verschweigen stets, was sie wirklich erwarten – es ist das Gegenteil dessen, was sie versprechen: weniger statt mehr.

VI.

Sie deklarieren ihren Wohlstandsvernichtungskurs als unvermeidbare „Zeitenwende“. Ein hohler Begriff, gefüllt mit Sprengstoff. Rückschritt wird zu Fortschritt verfälscht und als Transformation angepriesen. Aber die Bürger spüren längst, was transformiert wird. Sie sollen ihr Leben einschränken, essen und denken nach Vorschrift, weniger reisen, weniger wissen und mehr glauben, was man ihnen mit geballter Macht aufschwätzt. Es ist die Herrschaftsform der geistigen und materiellen Bevormundung. Sie ist erfolgreich, wenn die Mehrheit des Volks sich damit abfindet, dass es bergab geht, keinen Ärger macht und sich auch noch einreden lässt, damit dem Wahren, Guten und Schönen zu dienen.


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