Die Krimi-Botschaft zum Jahreswechsel: Der Tatort wird weniger geguckt, und 90 Prozent der Pressemeldungen schrecken vor dem Wortungeheuer „Zuschauendenzahlen“ zurück.
Die Meldung zieht sich vom Redaktionsnetzwerk Deutschland über die „Zeit“ bis zu „t-online“. Immer mehr Zuschauer meiden den Tatort. Bis zu einer halben Million pro Folge und im Schnitt 400.000 weniger sollen es 2023 gewesen sein. T-online machte sich deshalb gleich in einer Leserbefragung auf die Suche nach dem besten Tatort-Team.
Das steht dabei schon fest: Die einzigen, die sich sehr erfolgreich gegen den permanenten Abwärtstrend stemmen, sind das Duo Boerne (Jan-Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl). Eben dieses Team aus Münster fährt weiterhin Spitzenwerte für den Sender ein.
Egal was dabei herauskommen mag, eins ist sicher. So wie es war, und mit dem vorhandenen Personal, kann es nicht weitergehen. Schon wegen des an anderer Stelĺe oft und gerne beschworenen demografischen Wandels. Und damit sind nicht nur die Oldtimer aus Köln, München oder Kiel gemeint, die in der Realität schon längst nur noch in der wohlverdienten Pension im heimischen Schrebergarten auf der Spur von Schnecke, Blattlaus und Wühlmaus ermitteln würden. Sondern um die große Gruppe der Neu-Zuschauer, die auch andere und fremde Sehgewohnheiten mitgebracht haben. Hat die Selbstverpflichtung der ARD zu größerer Sichtbarkeit von Minderheiten im offentlich-rechtlichen Fernsehen mehr zustande gebracht, als zum Beispiel Frau Furtwängler im Göttinger Tatort eine Frau Kasumba an die Seite zu stellen? Ist das die richtige Methode, die, wie es im Bekenntnis der ARD zur Diversität (2021) heißt „Transformation aller Kommunikation … diesen Strukturwandel der Öffentlichkeit …, der verändert, wie wir sprechen, wo wir sprechen, was wir wissen, was wir wollen, wie wir denken“, im Krimi umzusetzen?
Da geht noch mehr. Zum Beispiel kann die kurze Eingangssequenz mit der bekannten Musik und einer viele Jahrzehnte alten Fluchtszene einfach nicht so bleiben. Jedoch, aus unerfindlichen Gründen, entgegen aller Bekenntnisse zu Diversität und Buntheit, hält die ARD an solchen lieb gewonnenen Details fest. Was spräche gegen den Austausch des berühmten Augenpaars gegen eine asiatische, weibliche Variante? Irgendjemand hat sich an maßgeblicher Stelle dazu entschieden, dem Publikum das bisschen Kontinuität an dieser Stelle zu lassen.
Manch einer wird behaupten, es handle sich eigentlich um primitiven Etikettenschwindel. Erst würden der (oft ältere) Zuseher und seine Mitguckenden in dem Glauben angefixt, sie bekämen die gewohnte Tatort-Kost, nur, um dann ein schwer verdauliches Gebräu aus sogenannten progressiven Inhalten eingeflößt zu bekommen. Sozusagen ein spezieller Magenbitter zur besseren Verdauung der ganz neuen Drehbücher über die neue deutsche Republik und deren sich ändernde Zustände.
Eskapismus und nostalgisches Eigentbrötlertum
Es wird beim Hinweis auf die abnehmende Attraktivität des Tatorts geflissentlich um den heißen Brei herumgeredet, mit ein paar Zahlen jongliert (mal 5 Millionen, mal 10 Millionen Zuschauer, je nach Tatort-Team) und darǘber spekuliert, ob denn das Alter der Kommissare irgendeinen Einfluss auf die schlechten Einschaltzahlen habe. Tatsächlich, das zeigen die Leserkommentare bei TE und auch bei anderen Online-Formaten, ist auch der Tatort schon längst ein Spiegel der heftig gespaltenen Meinungen in der Kundschaft. Getreu dem Motto „gebranntes Kind scheut das Feuer“ haben sich viele Genervte aus der Zielgruppe der häufig in Kriminalfälle gegossenen Nudgings (Meinungsstupser) übersensibilisiert und reagieren auf die Darstellung der Welt, wie sie nach Auffassung der Drehbuchautoren, Regisseure und Programmdirektoren bitte schön zu sein hat, mit Flucht aus dem ÖR-Programm und der Abstimmung mit dem „AUS“-Knopf. Andere halten sich an Leuchtturmermittlern wie Professor Karl-Friedrich Boerne und seinem Kommissar Thiel fest, hoffen auf Besserung. Beweisen Nehmerqualitäten, wenn allzu offensichtlich eine politische Botschaft an den Mann und die Frau gebracht werden soll. Die nicht zu vernachlässigende Zahl derer, die vollauf mit dem Programm zufrieden sind, sollte man natürlich auch erwähnen.
Und die Gruppe der „neu hinzugekommenen Zuschauer“, der jungen Generationen? Es darf getrost bezweifelt werden, dass die sich beim Anblick der Gerichtsmedizinerin oder der Kommissarin mit Migrationshintergrund vor Freude auf die Schenkel klopfen. Und auch der x-te derangierte, frustrierte Serienkiller und noch so schön gruselig drapierte Leichen locken da keinen hinter dem Smartphone hervor. Der Tatort ist und bleibt, wie auch die anderen Krimiformate des Fernsehens, eine Domäne der, eventuell noch nicht so alten, aber doch hauptsächlich weißen Polizisten. Ausnahmen wie „Death in Paradise“ beweisen diese Regel.
Das ist in Deutschland so, und Ähnliches lässt sich auch in den Kult-Krimiserien aus dem Vereinigten Königreich zum Beispiel in den „Midsomer Murders“ beobachten. Dort gab es 2011 einen „Kontroverse“ genannten handfesten Skandal um die Darstellung der Landbevölkerung (hier Bericht der BBC dazu) und den langjährigen Produzenten Brian True-May, nach dessen Absch(l)uss man sich energisch bemühte, mehr internationale Darsteller in die Pubs, Gärtnereien und kleinen Betriebe der fiktiven Grafschaft zu bringen. Was aber nicht dazu geführt haben dürfte, dass sich plötzlich indischstämmige Zuwanderer von ihren in Bollywood gedrehten Serien ab- und den Midsomer Murders zuwenden, um herauszufinden, welcher Nebendarsteller denn heute eventuell einen Migrationshintergrund vom Subkontinent haben könnte.
Andere Formate, andere Sehgewohnheiten und Geschmäcker. Der gute alte bundesrepublikanische Krimi hat fertig und wird weiter Zuschauer einbüßen – in diesem und im nächsten Jahr.