Weihnachten gilt zumindest Normalbürgern ein Fest des Friedens. Jeder hofft, ein paar besinnliche Tage verbringen zu können. Selbst progressive erwachte junge Menschen reisen in dieser Zeit meist heim zu ihren Eltern und Großeltern, zumal die Verwandtschaft ihnen nicht selten das Leben in den zentralen Stadtvierteln Berlins oder in anderen urbanen Zonen mitfinanziert. Einmal im Jahr müssen die Fortgeschrittensten also ihren Safe space verlassen, um sich in die die dunkle Provinz zu der restlichen Familie zu begeben, in der sich die Notwendigkeit des Genderns, die Tatsache der 70 verschiedenen Geschlechter und das Ende der Heteronormativität noch nicht herumgesprochen hat.
Diesen Opfergang würden sie womöglich nicht überstehen, wenn ihnen Medien von den Öffentlich-Rechtlichen bis zu SPIEGEL und Stern nicht jedes Jahr mit Ratschlägen zur Seite stehen würden, wie sie beim Gans beziehungsweise der veganen Alternative den rassistischen Onkel, die schwurbelnde Tante und die verstockten eigenen Erzeuger in die Schranken weisen können. Das ZDF bietet in diesem Jahr unter der Überschrift „Konflikte an Weihnachten – Verschwörungsmythen: Wenn Opa schwurbelt“ erste Hilfe in Gestalt des Politik- und Islamwissenschaftlers Tobias Meilicke, der in Berlin eine Beratungsstelle namens „Veritas“ leitet, also „Wahrheit“. Er rät, „im Vorfeld das Gespräch zu suchen und klare Grenzen zu setzen: ‚Bei dem Thema kommen wir nicht zusammen und ich bitte dich, das an Weihnachten auszuklammern.“
Flankierend gibt es dazu einen Weihnachtsfilm, in dem so ziemlich alles vorkommt, was aus Sicht des ZDF zum Fest gehört: Ein warmherziger Paketbote mit Migrationshintergrund, spießige, geizige oder lächerliche Deutsche, dazu noch eine kräftige Kelle Kapitalismuskritik. Weihnachten – das ist für Deutschlands wohlmeinende Medien ein Fest der Belehrung. Da mag der SPIEGEL nicht zurückstehen: Er berichtet von einer Art Boot Camp, organisiert vom steuergeldfinanzierten „Kulturbüro Sachsen e. V.“, das Vertreter der Wokeria auf die kommenden Prüfungen vorbereitet: „So diskutieren Sie an Weihnachten mit dem rassistischen Onkel“.
„Carolin, Thessa, Patricia und 17 weitere wollen sich wappnen für die anstehenden Diskussionen mit der Familie an Weihnachten“, heißt es in der Reportage: „Damit Verwandte sie nicht erkennen, sollen hier nur die Vornamen zu lesen sein”.
Immer sind die Älteren die Problemfiguren, meist Onkel und Tante. Die wachsame „Süddeutsche“ sieht allerdings auch darin ein Problem: warum muss immer der Onkel der Rassist sein? Das, findet das Blatt, sei eine gefährliche Verharmlosung der Restfamilie.
Praktischerweise lassen sich die medialen Warnungen vor Familie, Weihnachtsfest und falschen Ansichten unbegrenzt wiederwenden. Sie gleichen einander Jahr für Jahr. Und übrigens auch untereinander.
Es versteht sich von selbst, dass in den Medienweihnachtsgeschichten nie die Frage aufkommt, was die Eltern tun sollten, wenn Sohn Thorben über 70 verschiedene Geschlechter schwurbelt, Tochter Ann-Sophie über den bevorstehenden Klimatod der Menschheit, Tante Annalena über das Netz als Stromspeicher und Cousin Robbi von den unschlagbar günstigen erneuerbaren Energien. Denn die Antwort versteht sich ja von selbst: gefälligst zuhören, nicht widersprechen, und auch nicht verlangen, diese Themen am Weihnachtstisch auszuklammern.
Und falls nicht: den erwachten Söhnen, Töchtern und Enkeln bleibt beim mangelndem Wohnverhalten immer noch die Möglichkeit, das Essen stehenzulassen, den geschenkten Umschlag mit den Euroscheinen zurückzuweisen, bei der Gelegenheit auch gleich das Erbe auszuschlagen, und umgehend zurück in die Berliner WG zu reisen. Den künftigen Job der Sprösslinge in einer Wahrheitsberatungsstelle müssen die Alten nämlich sowieso über ihre Steuern mitfinanzieren. Den Weihnachtsstollen können die Schwurbelrassisten ab 2024 ja gern per DHL nach Kreuzberg schicken.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht: Snicklink konterte die Flut der nervigen Ratgeber mit einem Angriff auf die Lachmuskeln: