Tichys Einblick
Auf dem Weg zur „nationalen Präferenz“?

Frankreich: Immigrationsgesetz mit Verschärfungen beschlossen

Das neue Zuwanderungsgesetz kommt durch die Stimmen der Konservativen und die Enthaltung der Le-Pen-Partei. Einbürgerungen sollen erschwert, staatliche Leistungen vermindert werden. Beobachter stellen fest: Das „Frankreich, das Frankreich bleiben will“, existiert noch. Doch der Streit über die Legalisierung Illegaler geht weiter.

Abstimmung über das Einwanderungsgesetz am 19. Dezember 2023 in der französischen Nationalversammlung in Paris, Frankreich

IMAGO / ABACAPRESS

Nach kurzem Ringen hat eine Kommission von Senat und Nationalversammlung einen Kompromissvorschlag für das neue Zuwanderungsgesetz in Frankreich vorgelegt. Am Dienstagabend haben auch die beiden Kammern des Parlaments dem Gesetz zugestimmt, mit den Stimmen von Rassemblement national (RN) und Les Républicains (LR), gegen die der ausgesprochen linken Parteien.

Wie in vielen Ländern Europas geht es auch in Frankreich aktuell um zwei Fragen: Welche Rechte werden Immigranten und ihren Nachkommen gewährt und wie kann man sie bei Bedarf auch wieder loswerden? Frankreich ist etwas weiter bei den Antworten als Deutschland, weil es sich schon länger mit Immigranten aus Nordafrika beschäftigt, die bis heute meistenteils überhaupt nicht in die französische Gesellschaft integriert sind. So wurde das Immigrationsgesetz für Macron und seine Regierung notwendig – teils um sich als handlungsfähig darzustellen, teils weil Verschärfungen immer größere Zustimmungswerte bekommen.

Für die bevorstehenden Feiertage hat Innenminister Darmanin alle Präfekten in einem Telegramm zu „äußerster Wachsamkeit“ wegen des „sehr hohen Niveaus der terroristischen Bedrohung“ aufgerufen. Darmanin bedankte sich für die systematische Präsenz der Ordnungskräfte vor allen Orten des Kultes, vor allem aber vor den christlichen Kirchen der verschiedenen Denominationen an ihren respektiven Weihnachtsfeiertagen, die vom 24. Dezember bis in den Januar hinein reichen.

Die Regierung ist tief getroffen – Enthaltungen und Gegenstimmen

Die Regierungsfraktionen versuchen nun vor allem eins: den Eindruck zu vermeiden, dass man auf die Stimmen des RN angewiesen war, nachdem Jordan Bardella auf Radio France vom täglich wachsenden „ideologischen Sieg“ seiner Partei gesprochen hat. An die Stelle eines Textes, der die Zuwanderung mit der Legalisierung illegaler Migranten beschleunigt, habe man einen „gehärteten“ Gesetzentwurf gesetzt, der Sozialleistungen für Ausländer einschränkt und den „irregulären Aufenthalt“ wieder zur Straftat macht. Zugleich zeigte sich Bardella unsicher, ob das Gesetz am Ende so angenommen werde. „Wie der linke Flügel der Mehrheit, das linke Bein von Emmanuel Macron, für einen Text stimmen könnte, der dem RN einen ideologischen Sieg verschafft“, sieht Bardella noch nicht.

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Befürchtet wird, dass der Verfassungsrat, den Macron angerufen hat, einzelne Regelungen wieder streichen könnte. Man dürfte eben die roten Linien des RN nicht überschreiten. Für Bardella wäre das zum Beispiel der Fall, wenn die „Regularisierung“ von Sans-Papiers wieder aufgeweicht würde. Für die Wähler des RN würde dann umso klarer, dass sie das Original in den Élysée-Palast wählen müssen, um den gewünschten Politikwechsel zu bekommen.

Die Macron-Partei Renaissance behauptet, dass das Gesetz ohne die Stimmen des RN durchgewunken worden sei, der sich enthalten hat. Das Problem ist aber, dass auch die Regierungsfraktionen nicht geschlossen hinter dem Entwurf stehen (17 Enthaltungen und 20 Gegenstimmen allein von der Macron-Partei). Und so wenden linke Kritiker ein, dass das Gesetz gescheitert wäre, hätte der RN dagegen gestimmt. Und so ist es. Kurz gesagt: Der RN hat das abgewandelte Gesetz der Regierungs-Minderheit toleriert, aber nicht dafür gestimmt. Die Nationalen meinen, dass dieses Gesetz zumindest in die richtige Richtung geht, nämlich in die des allgemeinen, gesunden Menschenverstands, des „bon sens“.

Keine Lockerung für Illegale – oder doch?

Nicht nur die Linke ist tief getroffen von dieser Kooperation des macronistischen Pols mit den Konservativen und Marine Le Pen. Auch die Regierung selbst wird davon oder vom Inhalt des Gesetzes erschüttert: Gesundheitsminister Aurélien Rousseau hat umgehend seinen Rücktritt eingereicht. Forschungsministerin Sylvia Retailleau sieht den „Macronismus“, diesen „Dritten Weg“ à la française, am Ende, durfte aber selbst nicht zurücktreten. Weitere Minister haben ihren Rücktritt angedroht. In der Regierung brodelt es, aber viel wichtiger ist etwas anderes: Macron hat die Initiative in Sachen Immigration, für alle sichtbar, verloren. Er wird auf diesem Feld wohl nicht mehr in die Initiative kommen und wird mehr denn je von Konservativen und Nationalen vor sich hergetrieben.

In der Tat hat Macrons Minderheitsregierung Einwänden der konservativen Senatsmehrheit und des RN nachgegeben, die sich vor allem gegen die Legalisierung von Sans-Papiers, also von Ausländern ohne Aufenthaltsstatus richteten. Ursprünglich sollte die Regularisierung „automatisch“ erfolgen. Dieser Passus wurde verändert, so dass es nun „in Ausnahmefällen“ heißt. Damit ändert sich wenig an der bisherigen Praxis. Eine deutliche Lockerung wurde abgewehrt. Aber Innenminister Darmanin feixte bereits, dass der RN gerade für 10.000 legalisierte Ausländer mehr gestimmt habe. Auch Zemmour kritisiert die Regelung: Diese 10.000 könnten nun auch ihre Familien nachholen.

Daneben soll das bisher in Frankreich wie ein göttliches Gebot geltende Geburtsortsprinzip (ius soli) zurückgedrängt werden. Künftig sollen Kinder von Ausländern die französische Staatsbürgerschaft nicht mehr durch ihre Geburt in Frankreich erhalten, sondern müssen sie im Alter zwischen 16 und 18 Jahren beantragen. Ausländer, die straffällig und zu drei Jahren oder mehr verurteilt wurden, können nicht mehr Franzosen werden – diese Maßnahme erringt laut einer Umfrage mit 84 Prozent die höchste Zustimmung bei den Franzosen. Bei Straftaten, die sich gegen Ordnungskräfte richten, soll Doppelstaatlern der französische Pass entzogen werden. Das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) wird durch diese Regelungen gestärkt.

Hollande: Gesetz stärkt Marine Le Pen

Arbeitslose Nicht-EU-Ausländer müssen bald fünf Jahre warten, bis sie Anspruch auf Sozialleistungen (etwa Kindergeld oder Wohngeld) haben. Beginnen sie zu arbeiten, dann dauert es immer noch zweieinhalb Jahre, bis irgendwelche staatlichen Leistungen möglich werden. Bisher war das schon nach sechs Monaten legalem Aufenthalt der Fall. Ausnahmen sollen aber für Studenten und anerkannte „Flüchtlinge“ gelten. Linke Kritiker sprechen von der Einführung einer alten Forderung des Rassemblement national (RN), der „nationalen Präferenz“. Laut einer weiteren Umfrage für den Sender CNews sind 71 Prozent der Franzosen dafür, dass nur Franzosen von den solidarischen Sozialleistungen profitieren sollen.

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Außerdem wird die unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande abgeschaffte Straftat des illegalen Aufenthalts wieder eingeführt. 76 Prozent stimmen zu. Hollande hat sich nun auch selbst zu Wort gemeldet und seinem politischen Ziehsohn Macron vorgeworfen, RN-Ideen übernommen zu haben. Das Gesetz stärke damit „Marine Le Pens Anspruch auf die Nachfolge von Emmanuel Macron“. 55 Prozent der Franzosen glauben, das Gesetz sei ein Erfolg Le Pens.

Die Gesundheitsvorsorge AME soll zwar Anfang kommenden Jahres reformiert werden – so das Versprechen von Premierministerin Borne –, aber der Rückschnitt auf eine Notfallversorgung für Nicht-Franzosen hat es noch nicht in das aktuelle Gesetz geschafft. Daneben müssen Personen, die in Frankreich studieren wollen, einen Geldbetrag als Kaution hinterlegen, was Macron eigentlich gar keine gute Idee findet. Zuletzt soll es Obergrenzen für jeden der legalen Einwanderungswege (Studium, Arbeit, Familiennachzug) geben, nur nicht für das politische Asyl. Das Parlament soll diese Quoten für drei Jahre im Vorhinein festlegen. Auch damit sind 75 Prozent der befragten Franzosen einverstanden, obwohl sie vielleicht nur meinen, dass diese Art der Einwanderung noch stärker begrenzt werden sollte. Nur eine Maßnahme findet übrigens keine Mehrheit: das Verbot, minderjährige Migranten in Abschiebegewahrsam zu nehmen (nur 47 Prozent sind dafür).

Die Linke will weiterkämpfen, Macron weiter „vereinen“

Nun ist auch sicher, dass der Kampf gegen das Gesetz auf der Linken weitergeht. 32 von linken Parteien regierte Départements haben angekündigt, das Gesetz nicht umsetzen zu wollen. Sie wollen einen Finanztopf gründen, um die Kosten zu tragen. Das Geld muss aber offenbar den bekannten Quellen entnommen werden. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, will dafür sorgen, dass die Hauptstadt „ein Land des demokratisch-humanistischen Widerstands“ wird. Auch die Stadt Lille soll der Bürgermeisterin Martine Aubry zufolge ein „Land der Gastfreundlichkeit und Solidarität“ bleiben – es ist die Stadt, in der jüngst eine Rentnerin und Großmutter einem barbarischen Raub- und Ritualmord in ihrer Wohnung zum Opfer fiel.

Sogar Emmanuel Macron sprach derweil von einer Entzivilisierung (décivilisation) im Lande, die heute größer denn je sei. Natürlich musste er sich für den Gebrauch des Wortes prompt rechtfertigen. Renaud Camus, Autor von Der große Austausch, hatte es als Buchtitel benutzt. Das neue Gesetz sieht er in einem langen Fernsehinterview als „Frucht des Kompromisses“ und als „Schutzschild, der uns gefehlt hat“. Angeblich will er weiterhin „vom Realen und Faktischen“ ausgehen, „um zu befreien, zu schützen, zu vereinen“. Das sind hehre Worte. Befreien durch Covid-Pässe? Schützen durch immer noch offene Grenzen? Vereinen durch spaltende Reden? Eher nicht. So verliert sich ein Präsident in seiner Ideologie und verliert immer mehr den Kontakt zur Realität.

Wind dreht auf „Frankreich, das Frankreich bleiben will“

Außerparlamentarische Kritiker wie Jean Messiha, der einen Bürgerentscheid zur Zuwanderung anstrebt, sprechen von einem Gesetz, das zwar Fortschritte enthalte, aber nicht geeignet sei, die „invasive Zuwanderung“ nach Frankreich zu stoppen. Nur der Wind habe sich gedreht zugunsten eines „Frankreich, das Frankreich bleiben will“. Das ist der positive Aspekt für Messiha.

Éric Zemmour, Ex-Journalist und Gründer der Partei Reconquête, geht weiter und glaubt in einem scharfen Gastbeitrag für den Figaro, dass das neue Gesetz genauso wie seine 29 Vorläufer gar nichts bewirken werde. Es sei sogar „schlechter als nichts“, 500.000 Personen jährlich kämen dadurch nach Frankreich. Zemmour kritisiert, das Gesetz beende eben nicht das Geburtsortsprinzip, schaffe den Familiennachzug eben nicht vollständig ab, ebensowenig die medizinische Vollversorgung für Ausländer. Es streiche die Sozialleistungen für außereuropäische Ausländer nicht ersatzlos und ermögliche nicht die Ausweisung von Straftätern, Kriminellen und Terrorgefährdern mit Doppelpass. Vor allem aber: Kein einziger Algerier in Frankreich werde von dem Gesetz betroffen sein, stattdessen bleibe das Einwanderungsprivileg von 1968 für diese Gruppe in Kraft. Zemmour sieht weiterhin 100.000 ausländische Studenten nach Frankreich drängen, daneben 150.000 „Asylbewerber“ pro Jahr und 100.000 Zuwanderer durch Familiennachzug.

Auch der beigeordnete Chefredakteur des Figaro, Yves Thréard, pflichtet hier bei: Das Gesetz werde nicht viel ändern, verdiene weder die Empörung der Linken noch den Triumph, der ihm teils auf der Rechten beigelegt wird. Richtig bleibt, dass es nur um einzelne Symptome geht, die man hofft, so besser bewältigen zu können. Das Grundproblem der nach Europa drängenden jungen Männer aus Afrika und der arabischen Welt wird man so nicht lösen. Nicht einmal einen ernsthaften Versuch zu mehr Abschiebungen kann Thréard erkennen. Mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft bei schweren Straftaten und mit dem Straftatbestand des illegalen Aufenthalts werden aber Voraussetzungen dafür geschaffen.

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