Friedrich Merz hat ein begnadetes Talent: Er kann das Richtige sagen, aber so tapsig formulieren, dass es saudumm klingt. So erklärte der CDU-Chef der Funke-Mediengruppe, was für ihn Leitkultur ist: „Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen.“ Die Aussage hat einen richtigen Kern, ist aber halt tatsächlich saudumm ausgeführt.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Einen grundsätzlichen: Seit Jahren vergiftet die Linke die politische Kultur mit identitätspolitischen Themen. Dazu gehört auch, alles und jeden unter Nazi-Verdacht zu stellen, wenn es Linken nicht gefällt. Regierungsnahe Medien gründeten sogar eigene Jugendformate wie Zett oder Bento, die in unermüdlicher Fleißarbeit den Nazi in allem und jedem entdeckten. Getroffen hat es eigentlich schon fast alle, vom Sänger Andreas Gabalier, über Kinderkarruselle bis zum Fußballer Kingsley Coman.
Allzu mal es blöd ist, sich in Weihnachtsriten einzumischen. Die sind nämlich nicht von Gott in Stein gemeißelt und von einem Propheten ins Tal getragen worden. Sie unterliegen Moden: In früheren Tagen hängten sich die Bürger die Weihnachtsbäume an die Decke und lehnte die Kirche das Symbol des Baumes ab. Es entwerte die Krippe als für sie eigentliches weihnachtliches Symbol.
„Stille Nacht“ gilt heute als klassisches Weihnachtslied. Aber Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr mussten es 1818 auch erstmal schreiben. Seitdem sind immer wieder Lieder in den Weihnachtskanon aufgenommen worden. Für Menschen unter 40 Jahren gehört „Last Christmas“ schon immer zum Fest – Ältere können sich an die Zeit erinnern, als der Hit von „Wham!“ eine Neuerscheinung war. Ist George Michael jetzt Leitkultur oder Mode? Feuätongs mögen diese Frage diskutieren. In der Politik hat sie nichts zu suchen.
Der öffentliche Raum ist etwas anderes. Ein Gericht hat jüngst geurteilt, dass in Bayern Kreuze in öffentlichen Einrichtungen hängen bleiben dürfen, obwohl sie ein christliches Symbol sind. Das sei noch keine unzumutbare Festlegung des Staates; das müssten nichtchristliche Menschen folglich ertragen. Das Gericht hat weise geurteilt. Kreuze wie Weihnachtsbäume im öffentlichen Raum sind ebenso etwas, was man nicht mögen muss – einen aber auch nicht unzumutbar quält. Frustrationstoleranz ist etwas, das alle schulen sollten. Und diese Weihnachtsbäume sind noch lange nicht so übergriffig wie die Merzsche Forderung, die ins Privatleben hineinregieren will.
Religionen zu dulden ist eine gesellschaftliche Stärke. Das Gegenteil wirft ein schlechtes Bild auf ein Land. So waren zu diesem jüdischen Fest Chanukka viele Leuchter öffentlich zu sehen gewesen. Doch besonders durch Berlin ging eine Welle, in der diese „Chanukkia“ zerstört wurden. Das ist der offene Ausdruck von einem Hass gegen Juden, der in Deutschland latent ist und gerne hinter Floskeln versteckt wird wie: „Man wird ja Israel noch kritisieren dürfen …“ oder „Ja, aber Israel …“.
An dieser Stelle zeigt sich, wie wichtig die Leitkultur ist, der Merz mit seiner tapsigen Formulierung so sensationell geschadet hat. Denn wir brauchen eine Leitkultur in Form eines Wertekanons. Der ist nicht an Weihnachtsbäumen in Wohnzimmern festzumachen oder an Last Christmas in der Playlist. Vielmehr geht es um etwas Grundsätzlicheres: Respekt, Wille zum Frieden und daher die Fähigkeit, etwas stehen zu lassen, das einem nicht gefällt. Das können ein Weihnachtsbaum auf einem Marktplatz sein oder ein Chanukkia im öffentlichen Raum.
Gerade Weihnachten ist eine Gelegenheit, einen positiven Sinn für Leitkultur zu finden. Nicht im Merzschen Sinne, der vorgeben will, was in Deutschland gekauft wird. Sondern in der Anpassungsfähigkeit des Festes. Das hat sich längst bis nach Japan und Südkorea verbreitet, auch weil es sich jedes Jahr aufs Neue wandelt und längst von seinen christlichen Wurzeln gelöst hat. Der Weihnachtsbaum zum Beispiel – Achtung, Herr Merz, Triggeralarm – ist eigentlich eine Werbefigur von Coca Cola. Wenn aber Kinder, auch deutsche, an ihn glauben wollen und (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) brav sind, um dem Weihnachtsmann zu gefallen … ja, warum denn nicht?
Der eigentliche Sinn von Weihnachten ist es, in Weihnachten einen Sinn zu suchen. Gerade dann ein Licht in den Hütten wie in den Herzen aufzustellen, wenn es draußen maximal dunkel ist. Und sich zu treffen, versöhnlich, tolerant, den anderen respektierend und hinnehmend, bestenfalls gewinnen wollend. Ob unter einem Weihnachtsbaum oder vor einem aus Seife geschnitzten Spaghetti-Monster ist dabei völlig egal. Dieser Respekt voreinander und die Toleranz gegeneinander sollten unsere Leitkultur sein. Die Politik hat dabei nicht über die Dekoration zu diskutieren, sondern die Rahmenbedingungen zu schaffen.