Was soll ich morgen kochen? Unheil verheißende Frage der Mutter beim gelegentlich noch gemeinsamen Abendmahl. Kalbsleber mit Zwiebeln?, fragt der Innereien affine Vater. Iiiihhh, schreien die Kinder. Und, was wollt Ihr sonst? Pizza! Kriegt ihr doch immer in der Schule, sagt Mutter. Wiener Schnitzel mit Pommes! Da mieft die Küche drei Tage lang nach Fett! Erneuter Vorstoß des Vaters: Nierchen? Die Kinder ziehen wieder eine Grimasse. Hatten wir schon vor drei Wochen, sagt Mutter. Vielleicht ein Pichelsteiner? Doch Mutter zieht sofort wieder zurück: Macht ziemlich viel Arbeit, die Schnibbelei. Fisch? Morgen ist doch erst Donnerstag, meint der restkatholische Vater. Bei Erwähnung einer veganen Reispfanne rümpft der Hund die Nase.
Wenn schon die Planung der Nahrungsaufnahme des nächsten Tages angesichts zeitgeistiger Ernährungspluralität für viele Familien eine schwer zu bewältigende Aufgabe darstellt, wie schwer fällt dann erst die Übereinkunft über die Menüfolge des bevorstehenden Weihnachtsfestes, zumal in diesem Jahr Heiligabend auf einen Sonntag fällt und mithin drei volle Tage, an denen die Geschäft geschlossen haben, zu berücksichtigen sind.
Am relativ einfachsten erscheint die kulinarische Gestaltung des Festmahles am ersten Weihnachtsfeiertag. Ungeachtet der Veggie- und Wellnesswelle ist der traditionelle Gänsebraten in vielen Familien noch gesetzt, manchmal auch ersetzt durch die als weniger fett und schwer geltenden Pute, wobei eine schöne Mastgans, ordentlich zubereitet, weitaus geschmackvoller ist als der ziemlich neutrale Haustruthahn, wie die Pute ja auch genannt wird.
Immer mehr Menschen gönnen sich statt Gans oder Pute eine vor parierte Entenbrust. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, wobei sich jedoch nicht nur die Frage stellt, wo bei diesem kreuzmageren Geflügel die Soße herkommen soll, sondern auch, was man am zweiten Feiertag servieren soll, wenn die leckeren Reste einer Gans oder Pute nicht mehr zur Verfügung stehen. Von nahrhaftem Gänseschmalz, das man den restlichen Winter hindurch essen kann, ganz abgesehen.
Ein Premiumstück vom Wild ist natürlich eine weiter Optionen für den ersten Feiertag, ein Reh- oder Hirschrücken zum Beispiel, klassisch mit Rotkraut, Kartoffelpüree und glasierten Maronen angerichtet. Sehr beliebt bei Lowcarb-Adepten ist seit geraumer Zeit ein Selleriepüree. Das kann in der Tat eine feine Sache sein, wenn es nicht plötzlich zwanghaft auf jedem Teller prangt und die Kartoffel zu Unrecht ins Abseits stellt. Aber gegen Moden, auch solche in der Küche, ist kein Kraut gewachsen. Zum Glück kommen sie und gehen sie, was man bei der aktuellen Wiederkehr extrem weiter Beinkleider, heute als Bootcut Jeans angepriesen, beobachten kann, die den Schlaghosen der siebziger Jahre ähneln.
Doch wir wollen nicht abschweifen und uns dem crucial point, auf deutsch Knackpunkt der Weihnachtskulinarik zuwenden, dem Essen am Heiligen Abend. Früher war die Adventszeit eine Fastenzeit, die sogenannte kleine Fastenzeit, die erst am 25. Dezember endete bzw. nach der Christmette am 24. Dezember. Doch das strenge Adventsfasten früherer Jahrhunderte ging mit der Zeit verloren, vielerorts wurde der Brauch durch bischöfliche Dispense eingeschränkt oder aufgehoben. Mit dem Codex Iuris canonici von 1917/18, dem ersten einheitlichen Gesetzbuch für die römisch-katholische Kirche, ist die Adventszeit offiziell keine Fastenzeit mehr.
Trotzdem sollte man es am Heiligen Abend vielleicht noch nicht allzu sehr krachen lassen, zumindest kulinarisch. Denn eine zurückhaltend komponierte Speisenfolge mit Schwerpunkt Fisch steigert nicht zuletzt die Vorfreude auf das ausgiebige Festmahl am nächsten Tag.
Vielleicht als Vorspeise eine klare Suppe, eine Wildconsommé etwa in Erinnerung an die dem Artenschutz zum Opfer gefallene Schildkrötensuppe vergangener Tage. Hernach eine Auswahl kalter Fischzubereitungen, ein Heringssalat etwa mit Roter Beete und Walnüssen, ein paar Scheiben Räucherlachs mit Sahnemeerrettich oder etwas Räucheraal, wobei es bald sein könnte, dass man den nur noch auf dem Schwarzmarkt bekommt, weil ihn die Umweltorganisationen ganz oben auf die Rote Liste angeblich oder tatsächlich bedrohter Arten gesetzt haben. Schade, denn Aal mit seinem festen, sehr fetthaltigen Fleisch zählt ungeachtet seiner Physiognomie zu den größten Genüssen, die Meere und Flüsse zu bieten haben.
Apropos Schwarzmarkt. Während man die Larven des Aals, die sogenannten Glasaale, leider noch nicht züchten kann, hat man in den vergangenen Jahrzehnten bei der Zucht von Stören zur Kaviargewinnung signifikante Fortschritte gemacht. Handel und Verzehr von Kaviar aus Wildfängen ist seit 1998 offiziell verboten, wobei Zuchtkaviar in punkto Qualität und Verfügbarkeit längst gleichgezogen hat. Sogar in Deutschland gibt es entsprechende Farmen und die Preise sind vergleichsweise moderat.
Echter Störkaviar kann das Warten aufs Christkind auf angenehmste Weise verkürzen, wenn man ihn beispielsweise zusammen mit Pellkartoffeln und Crème fraîche serviert. Noch günstiger und geschmacklich durchaus zufriedenstellend ist roter Lachs- oder Ketakaviar. Wer es noch frugaler liebt, kann Würstchen mit Kartoffelsalat auftischen, ebenfalls ein Heiligabendmahl mit Tradition in Deutschland. Die Franzosen mit ihrem sich über Stunden hinziehenden Festgelage in der Heiligen Nacht („Réveillon“) rümpfen darob zwar die Nase. Doch das ist ja das Schöne nicht nur an unterschiedlichen Weihnachtsbräuchen in unterschiedlichen Ländern. Sie sind unterschiedlich.
Der Beitrag wurde von Georg Etscheit und Ingo Swoboda geschrieben. Gemeinsam betreiben sie www.aufgegessen.info, den gastrosophischen Blog für freien Genuss.