Der Siemens-Chef Peter Löscher lässt sich für die Traditionsabkehr von einigen Management-Gurus und Medien feiern und dabei seltsame Begrifflichkeiten einfallen – wie den von der „Lehmschicht“, die es im Unternehmen zu beseitigen gelte. Siemens muss, keine Frage, fit bleiben im Wettbewerb. Deshalb sollen rund 17 000 Mitarbeiter entlassen werden. Dafür mag es eine betriebswirtschaftliche Begründung geben. Aber warum dann der Bezug zur „Lehmschicht“, die jetzt als Synonym für eine Kultur der Korruption und Kumpanei herhalten muss?
Löscher steht unter dem Druck der Märkte, aber auch unter dem Druck der wegen Korruption ermittelnden amerikanischen Börsenaufsicht SEC. Die hat für deutsche Unternehmenstraditionen ohnehin kein Verständnis. Aber für die SEC muss ein Schuldiger her. Und da passt die „Lehmschicht“. Übrigens wurde beim ebenfalls SEC-verfolgten Daimler vor drei Jahren ähnlich argumentiert – und die Stimmung ist dort bis heute vermiest.
Doch was, wer ist die „Lehmschicht“? Sicherlich, wie in jeder Großorganisation gibt es Faulenzer, Mauscheler und Bürokraten. Doch in der Masse handelt es sich schlicht um die „Mittelschicht“ des Unternehmens. Es ist jene Mittelschicht, die über lange Jahre hinweg Siemens, Daimler, BMW oder ThyssenKrupp stabilisiert und zum Erfolg getragen hat. Diese Schicht ist in einem Unternehmen so wichtig wie in der Gesellschaft.
Der Mittelbau aus Facharbeitern, Ingenieuren, Betriebswirten, Informatikern trägt das Unternehmen. Vielen bleibt eine große Karriere versagt, doch sie sind die Räder im Getriebe, arbeiten mehr als loyal und stiften damit Identität. „Mir schaffe beim Daimler“, heißt es etwa in Stuttgart. Und während in der Öffentlichkeit längst die soziale Marktwirtschaft mehrheitlich abgelehnt wird, sind es genau jene unternehmensstolzen Mitarbeiter, die mehrheitlich sagen: In meinem Unternehmen klappt die Marktwirtschaft.
LÖSCHER ZERSCHLÄGT DAS FAMILIEN-GEFÜHL DER „SIEMENSIANER“
Wenn Löscher noch eine Chance hatte, den notwendigen Personalabbau mit einem Werben um Verständnis für die Last seiner eigenen Verantwortung zu verbinden, dann ist ihm das gründlich misslungen. Im Gegenteil: Er zerschlägt das bislang tragende Familien-Gefühl der „Siemensianer“. Mag sein, dass es in den Unternehmen zu jener Ausdifferenzierung kommt, die die Gesellschaft schon lange kennzeichnet. Aber zu bejubeln ist dieser Prozess nicht: Wo Identität verloren geht, verblasst auch der Zusammenhalt.
Sicher senken Restrukturierungsprogramme wie bei Siemens die Kosten. Andere Kosten aber stehen dagegen. Denn wenn Personalabbau nicht gut begründet, emotional abgefedert und nach fairen, berechenbaren Prinzipien erfolgt, zahlen Unternehmen einen hohen Preis: Loyalität im Unternehmen ist ein operatives Gut. Aber Loyalität muss Zweibahnstraße sein: Wer von der Unternehmensleitung Loyalität der Mitarbeiter einfordert, muss sich auch selbst loyal verhalten, das heißt, er muss attraktiver Arbeitgeber bleiben.
Gerade Entlassungen in guten Zeiten müssen nachvollziehbar und strategisch begründet werden – und weniger entlang der Moden von Unternehmensberatungen, die den „Return on Investment“ willkürlich festlegen. Das hilft vor allem den im Unternehmen Bleibenden, Loyalität beizubehalten. Wer aber das Gefühl nicht los wird, dass das eigene Unternehmen auf jahrzehntelanges Engagement keinen Wert legt, der wird eben nicht mehr 150 Prozent Leistung, sondern Dienst nach Vorschrift erbringen.
Aus „Siemensianern“ werden dann schnell Söldner, die heute da und morgen dort anheuern und beim erstbesten Angebot die Seiten wechseln.
(Erschienen auf Wiwo.de)