Tichys Einblick
Wie viele sind wirklich ausreisepflichtig?

Nur ein Drittel der Abschiebungen gelingt

Die Bundespolizei tut sich schwer mit Abschiebungen. Angeblich sind Länder und Ausländerbehörden unwillig zur Zusammenarbeit. Daneben ist unklar, wie viele Ausreisepflichtige wirklich in Deutschland leben. Es könnten weitaus mehr als 300.000 sein. Nur 10 Prozent der abgelehnten Asylbewerber werden abgeschoben.

IMAGO / Steinach

Es ist kein Geheimnis, dass Abschiebungen aus Deutschland nicht in besonders hoher Zahl gelingen. Die Bild-Zeitung hat nun errechnet, dass die Misserfolgsquote bei geplanten Abschiebungen bei 56,5 Prozent lag. 41.568 Mal wurde demnach 2022 eine Abschiebung geplant, aber nur 12.945 Abschiebungen gelangen. Großzügigerweise hat die Bild auch noch die 5.149 Zurückschiebungen hier eingerechnet, obwohl das eigentlich ein anderer Vorgang und eher einer Zurückweisung an der Grenze vergleichbar ist. Lässt man die Zurückschiebungen weg, sinkt die Erfolgsquote auf 31,1 Prozent.

Im Vorjahr hatte die Zahl der gescheiterten Abschiebungen laut Bild und der Nachrichtenagentur dts bei 55,2 Prozent gelegen. Zugrunde liegen den Berechnungen Zahlen der Bundespolizei. „Aus unterschiedlichsten Gründen“ würden Migranten „am Flugtag nicht an die Bundespolizei übergeben“, beklagt sich die Polizeileitung dabei durch die Blume. Angeblich mangelt es in Länderpolizeien und Ausländerbehörden am Willen zur erfolgreichen Abschiebung. Das wäre eine alarmierende Nachricht. Man muss vermuten, dass die Behörden hier vor einer gewissen veröffentlichten Meinung zu Kreuze kriechen. Die Pressekampagnen zugunsten von Abschiebekandidaten sind legendär. Eigentlich müsste damit inzwischen Schluss sein, weil auch die Not der Länder und Kommunen beharrlich wächst.

Daneben wird gefordert, dass endlich die Bundespolizei die Kompetenz für die gesamte Abschiebung von der Festnahme bis zum Abschluss am Flughafen erhält. Das hätte in der Tat einige Logik, zumal die wichtige Aufgabe damit in einer Hand läge. Aber der Gesetzentwurf aus dem Faeser-Haus fehlt bis heute.

Viele abgelehnte Asylbewerber, wenige Abschiebungen

Im ersten Halbjahr 2023 gab es 7.861 Abschiebungen. Laut Tagesschau scheitern dieses Jahr sogar zwei von drei Abschiebungen. 7.201 Ausländer ohne Aufenthaltsrecht verließen Deutschland angeblich freiwillig mit Fördergeldern von Bund, Ländern oder Kommunen. Laut Ausländerzentralregister (AZR) sind 261.925 Ausländer in Deutschland ausreisepflichtig, auch wenn 210.528 davon die berühmte Duldung besitzen. Viele sind geduldet, weil ihre Identität als ungeklärt gilt. Nur 51.397 Ausländer sind demnach „vollziehbar ausreisepflichtig“, also ohne Duldung.

Laut einem Lagebild von Bund und Ländern gab es aber schon vor anderthalb Jahren (Mitte 2022) 297.219 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland – inzwischen müsste ihre Zahl also deutlich über 300.000 liegen, auch wenn das AZR anderes besagt.

Auch diese Zahl sieht aber erstaunlich gering aus. Denn seit 2015 werden jährlich bis zu 38,5 Prozent aller Asylanträge abgelehnt, im Mittel vielleicht ein Drittel. Entschieden wurden in dieser Zeit mehr als 2,5 Millionen Asylanträge. Das Ergebnis waren 824.062 abgelehnte Schutzanträge bis einschließlich November 2023. Abgeschoben wurden in derselben Zeit aber nur 159.531 Ausländer, wobei das nicht einmal alles Asylbewerber waren. Rund die Hälfte der Abschiebekandidaten seien Studenten, Arbeitnehmer oder Touristen, deren Visum abgelaufen ist, kann man lesen. Darf man davon ausgehen, dass in all den Jahren nur knapp 80.000 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben wurden? Das wäre dann eine Erfolgsquote von lediglich einem Zehntel der Fälle (~10 Prozent). Das Desaster wird größer, je genauer man hinschaut. Eigentlich könnte man sich unter diesen Umständen die Asylverfahren überhaupt sparen.

Sogar der Mediendienst Integration glaubt, dass niemand weiß, wie viele Ausreisepflichtige es wirklich im Lande gibt. Der Mediendienst hält die Zahlen natürlich für übertrieben und zitiert Anpassungen nach unten, aber das muss nicht grundsätzlich stimmen.

Schon 2017 sollte es eine Abschiebeoffensive geben

Die offizielle Zahl der ausreisepflichtigen Personen (laut AZR) ist im Laufe der Jahre nur wenig gestiegen. Pro Jahr kamen nur wenige tausend Personen dazu, obwohl die Ablehnungen im Jahr manchmal 50.000 waren, manchmal weit mehr. Aber irgendwie müssen diese Sackgassen des Asylwesens ja wieder aus der Asylstatistik verschwinden. Vermutlich werden sie zu etwas anderem umgewandelt. Freiwillig ausreisen werden die wenigsten. Man könnte nun von einem korrumpierten Staat sprechen, der scheinbar rechtskonforme Verfahren anbietet, mit denen über den Flüchtlings- und Aufenthaltsstatus entschieden wird, während dieses Verfahren in Wahrheit nicht viel wert ist.

2018 gab es laut Ausländerzentralregister rund 235.000. Und schon im Februar 2017 sprach ntv von „über 200.000 Ausreisepflichtigen in Deutschland“, die schon damals durch eine „Abschiebeoffensive“ außer Landes gebracht werden sollten. Im Vorjahr 2016 war es zu 25.375 Abschiebungen gekommen. Am Jahresende 2017 sollte es noch dürftiger aussehen: Nur 23.966 Personen waren im Zuge der „Offensive“ abgeschoben worden, obwohl in jenem Jahr zehn Mal so viele Schutzanträge (genau 232.307) abgelehnt wurden.

Zu den nicht eingelösten Ankündigungen von 2017 gehörten die folgenden: „Wer voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl hat, wird in zentralen Unterkünften untergebracht. (…) In einem zweiten Schritt sind ‚Bundesausreisezentren‘ geplant. Hier werden Ausreisepflichtige in den letzten Tagen und Wochen vor ihrer Abschiebung konzentriert.“

Diese „Bundesausreisezentren“ wurden natürlich nie gebaut. Das alles war schon damals Sand, der den Bundesbürgern in die Augen gestreut wurde, neben minimalen Anpassungen bei der Gewahrsamsdauer (zehn statt vier Tage, inzwischen will man das auf 28 Tage erhöhen, aber angeblich sind die Grünen dagegen, und das Abschiebungsgesetz der Ampel könnte insgesamt platzen). Auch eine Fußfessel für Verstöße gegen die Wohnsitzauflagen war im Gespräch. Bis heute bewegen sich Asylbewerber, egal ob abgelehnt oder angenommen, frei im Land – wie verschiedene Einzelfälle gezeigt haben. Man denke nur an den Mörder von Brokstedt, von dem selbst die zuständigen Behörden nicht wussten, wo er sich aufhielt.

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