Tichys Einblick
Coup in der Nationalversammlung

Frankreich: Regierungsgesetz zur Immigration wird nicht debattiert

Eine Quer-Mehrheit würgt die Debatte über das Zuwanderungsgesetz der Regierung ab. Die Konservativen wollen den Text neu aufmachen, Le Pen ihn zum Anti-Migrationsgesetz umstricken. Die Linken träumen von der Macht an Macrons Seite – die Rechte nimmt sie sich. Der Zug der Zeit geht in ihre Richtung.

IMAGO / Le Pictorium

Und wieder rächt sich die unerklärte (und unpraktizierte) Kohabitation im französischen Parlament. Macrons Regierung hat keine Mehrheit in der Nationalversammlung. Eigentlich ist in solchen Fällen eine Einbindung der Opposition nötig, aber die misslingt der Premierministerin Élisabeth Borne Mal um Mal. Jüngst hatte sie erneut einen Haushaltsbeschluss „par ordre du mufti“ über den umstrittenen Paragraphen 49.3 für möglich gehalten (eigentlich hatte sie versprochen, das nicht wieder zu tun). Nun zog die in links und rechts, global und national zerfallende Opposition der Regierung den Teppich unter den Füßen weg: Das neue Immigrationsgesetz, das mehr Abschiebungen erlauben, aber auch die Legalisierung von Migranten ohne Aufenthaltsstatus erleichtern soll, fand keine Zustimmung.

Linke ebenso wie rechte und national orientierte Parteien lehnten sogar die Debatte darüber ab, nachdem es keinerlei Zugeständnisse der Regierung gegeben hatte. Selbst die konservativen Républicains wollten mit dem Sowohl-als-auch des Gesetzes nichts zu tun haben und fordern, dass die Legalisierungen von Sans-Papiers entfallen. Innenminister Gérald Darmanin hat nach dem Debakel seinen Rücktritt angeboten, den Macron aber ablehnte. Nun kann das Gesetz entweder in den Senat wandern, oder es kann in einer Art Vermittlungsausschuss ein neuer Entwurf ausgearbeitet werden.

Natürlich unterschieden sich die Gründe der Fraktionen gegen das Gesetz: Marine Le Pen ist der Meinung, dass das Gesetz durch seine laxen Teile weitere illegale Zuwanderung anziehen werde. Dagegen wollte sich die Ultra-Linke von Jean-Luc Mélenchon, neuerdings getrennt von Sozialisten und Grünen, „zwei Wochen fremdenfeindlicher und rassistischer Rhetorik“ ersparen. Die Grüne Sandrine Rousseau wünscht sich, dass die Regierung endlich auf „ihre Linke“ zum Regieren zurückgreift. Noch scheint Macron angesichts des Popularitätszuwachses vor allem des Rassemblement national (RN) zu sehr gelähmt zu sein, um sich auf eine Mitte-links-Regierung einzulassen, die er de facto – in verdünnter Form – bereits installiert hat. Nur der Ex-Konservative Gérald Darmanin ist das löchrige Feigenblatt der Regierung.

Ciotti will zurückstricken, Le Pen geht ans Neustricken

Marine Le Pen (RN) hat angekündigt, umgehend eigene Vorschläge für eine Verbesserung des Gesetzes einzubringen. Sie gab sich überzeugt, dass diese Vorschläge bei der macronistischen „Mehrheit“ Gehör finden werden. Le Pen will so aus einem Pro-Migrations-Gesetz das Gegenteil machen.

Auch der Chef der Républicains (LR), Éric Ciotti, forderte, den Gesetzestext „zurückzustricken“, ihn zumindest teilweise für Änderungen zu öffnen. Die Konservativen waren wie das RN gegen die erleichterte Legalisierung der Sans-Papiers, die aber schon heute weitgehende Praxis ist. Wo Migranten ohne legalen Aufenthalt eine Stelle haben, schlägt häufig der Arbeitgeber die Legalisierung vor, die dann der Präfekt vornehmen kann. Ciotti zeigte sich entsetzt über die Selbstrechtfertigungen Darmanins im Fernsehen am Montagabend, die er „unanständig und provozierend“ fand. Der Gesetzentwurf sei nicht dazu geeignet, die „massive Zuwanderung“ zu bekämpfen.

Tatsächlich weiß niemand in dieser Regierung, wie man mit dem Gemisch aus ungezügelter Zuwanderung, kultureller Spaltung des Landes, tief (in den Vorstädten) eingewurzelter Kriminalität und einem immer mehr Raum einnehmenden Dschihadismus umgehen soll. Die paar Abschiebungen, die Darmanin vorhätte, wenn man ihn ließe, würden das Problem wohl nicht beheben.

So erstaunt es nicht, dass Éric Zemmour, Gründer der Partei Reconquête, keine neuen Gesetze durch die Nationalversammlung fordert, sondern ein Referendum zum Thema Migration, jener Zuwanderung, die „den Dschihad und den Tod“ nach Frankreich bringe. Ein Referendum will auch der politische Kommentator Jean Messiha durch eine Unterschriftensammlung erzwingen.

Episoden an einem Collège in Yvelines

Gerade erst gab es Episoden an einem Collège (entsprechend der Sekundarstufe I in Deutschland) in Yvelines im Großraum Paris. Mehrere Lehrer haben sich vom Unterricht zurückgezogen, nachdem eine Lehrerin ein klassisches Gemälde des italienischen Malers Giuseppe Cesari im Unterricht gezeigt hatte. Zu sehen sind die nackte Diana und Aktaion, daneben vier weitere Frauen im Evakostüm. Die Muslime der Klasse fühlten sich äußerst provoziert von diesem Kunstwerk. Seit Beginn des Jahres gibt es Uneinigkeit über die Unterrichtsinhalte, aber auch über verhängte Strafen zwischen Lehrern und Eltern. Weitere Lehrer gerieten unter Druck, weil sie Schüler am freien Selbstausdruck gehindert hätten. Bildungsminister Gabriel Attal reiste zu der Schule und hielt einen Vortrag vor Mikrophonen über die Wichtigkeit der Konsequenz.

Könnten die Linken vom „Aufsässigen Frankreich“ (La France insoumise, LFI) oder den Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV) die unbequeme Realität auf Frankreichs Straßen, in seinen Schulen und auf seinen Dorffesten verbieten – sie täten es sicherlich. Aber das geht leider nicht, allein im Oktober und November gab es drei aufsehenerregende Morde, der eine direkt mit dem Islam begründet, der andere von Vorstadt-Jugendlichen als Teil eines Messer-Massakers an einem weißen Franzosen begangen, der dritte an einer Rentnerin in ihrer eigenen Wohnung exerziert.

Und die Franzosen hören nicht auf, bei den alltäglichen schlimmen kriminellen und islamisch-fundamentalistischen Taten auch an die expandierende Zuwanderung zu denken. Und immer mehr Akteure entlarven sich. So erwies sich die vermeintliche Islamkritikerin und Simone-Veil-Preisträgerin Zineb El Rhazoui als pro-palästinensische Agitatorin, die Nazismus und Zionismus gleichsetzte. Die konservative Präsidentin der Region Île-de-France Valérie Pécresse sah sich zum Entzug des Preises gezwungen, nachdem die Erben der Jüdin Veil protestiert hatten.

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