Vor Kurzem hat der Wind noch jedem Klimaziel und jedem Windrad getrotzt, indem er stetig geweht hat, also nicht zwischen Bereichen mit und Bereichen ohne Windräder unterschieden hat. Er hat schlichtweg so geweht, wie es ihm gefiel. Das war ungezogen, denn Deutschland muss seine Klimaziele erreichen. Und dafür muss jedes Bundesland zwei Prozent der Landesfläche für die Windkraft ausweisen. Da darf sich der Wind nicht einfach so gegen wehren. Er muss mitspielen, damit auf all diesen Flächen Windräder genehmigt werden. Das werden sie schließlich nur, wenn der Wind so weht, dass er ein Windrad antreiben kann.
Die Schimpfe, Drohungen und Bestechungen der Bundesregierung haben anscheinend gewirkt: Nun ändert der Wind seine Geschwindigkeit und seine mittlere gekappte Leistungsdichte schlagartig, wenn er eine Bundesgrenze überquert. Das haben Jörg Saur, Willy Fritz und Prof. Dr. Michael Thorwart in ihrer jüngsten Studie herausgefunden. In dieser haben sie die Datenprognosen des sogenannten Windatlas aus Baden-Württemberg mit denen vom Windatlas aus Bayern entlang der baden-württembergisch-bayerischen Landesgrenze verglichen. Ja, genau: Grenze. Es kann echt nicht sein, dass dem Wind früher Ländergrenzen egal waren: Da hat er einfach drüber geweht, als gäbe es für ihn keine Grenzen.
In ihrer jüngsten Analyse sind Saur, Fritz und Thorwart dem Erziehungserfolg der Ampel noch weiter auf die Schliche gekommen: Immerhin unterscheiden sich die Prognosen der beiden Atlanten zur Windgeschwindigkeit und zur mittleren gekappten Windleistungsdichte für einen vergleichbaren Standort teilweise um den Faktor zwei, stellen die drei Wissenschaftler fest. Die Messpunkte in Bayern und in Baden-Württemberg liegen laut Studie meist nur wenige Meter entfernt und auf ähnlichen Meereshöhen.
Saur, Fritz und Thorwart können das nicht fassen: Sie denken, dass der Wind nicht „schlagartig“ bremsen oder sich beschleunigen kann, wenn er eine Landesgrenze überquert, sich die Landschaftsbedingungen aber nicht ändern. Da haben die drei wohl nicht mit dem Erziehungstalent der Ampel gerechnet. Welche Methode der Ampel hat gegriffen, um den Wind so heranzuzüchten, wie er benötigt wird? War es eine Kugel Eis als Belohnung für zufriedenstellendes Wehen oder die gute alte Prügelstrafe, sollten die Windräder stillstehen? Oder haben sie den Wind mit einem extra Taschengeld bestochen? Ah nee, das kann sich die Ampel gerade nicht leisten.
Also vielleicht doch eher die Prügelstrafe. Der Wind gibt sich jedenfalls alle Mühe, so zu wehen, wie er gebraucht wird: Einer der Standorte, der in der Studie analysiert wurde, ist Elchingen. Die Messpunkte diesseits und jenseits der Landesgrenze liegen dort bloß 16 Meter auseinander. Aber die Daten unterscheiden sich drastisch: Windatlas Bayern sagt, die Windgeschwindigkeit betrage 5,61 Meter pro Sekunde; Baden-Württemberg sagt, 6,06 Meter pro Sekunde. Bayern misst eine mittlere gekappte Windleistungsdichte von 205 Watt pro Quadratmeter, Baden-Württemberg kommt auf 257,91 Watt pro Quadratmeter.
Ein weiteres Beispiel für den Windgehorsam liefert Leutkirch mit einer mittleren gekappten Windleistungsdichte von 314,97 Watt pro Quadratmeter auf baden-württembergischer Seite. 306 Meter weiter östlich, auf bayerischer Seite, liegt diese bei nur 168 Watt pro Quadratmeter. In Baden-Württemberg schafft der Wind also einen um 87 Prozent höheren Wert als in Bayern und liefert der Regierung aus Baden-Württemberg somit einen weiteren geeigneten Standort für neue Windräder.
Da könnte man fast meinen, dass der Wind es bevorzugt, in Baden-Württemberg zu wehen, während er Bayern vermeidet. Aber ganz so ist es nicht: Es tritt auch der umgekehrte Fall ein, beispielsweise in Riesbürg. An diesem Ort weht der Wind auf baden-württembergischer Seite mit einer mittleren Geschwindigkeit von nur 5,49 Meter pro Sekunde, auf der bayerischen Seite hingegen mit 6,05 Meter pro Sekunde. In Bezug auf die mittlere gekappte Windleistungsdichte finden Saur, Fritz und Thorwart die Werte 223,82 Watt pro Quadratmeter für Baden-Württemberg und ganze 251 Watt pro Quadratmeter für Bayern. Dabei liegen die Messpunkte nur knapp 50 Meter auseinander.
Dass es sich wirklich um ein Wunder handelt, bezweifeln Saur, Fritz und Thorwart allerdings auch, weil der Deutsche Wetterdienst etwas anderes zeigt: Demnach wiesen die Messdaten zur mittleren Windgeschwindigkeit keine Unstetigkeiten der Kennzahlen auf, wenn die Landesgrenze passiert wird. Wie kann das denn sein? Hat die Regierung den Wind doch nicht gewogen gemacht? Pfeift der Wind nicht so, wie es die Planer von Windparks brauchen? Weht der Wind etwa doch immer noch so, wie es ihm gefällt?
Thorwart und seine Kollegen meinen, dass ihr Analyseergebnis auf eine „inhärente Inkonsistenz der Ergebnisse der Windatlasse“ hindeutet. Also nichts da mit wohl erzogenem Wind. Nur fehlerhafte Messungen. Darum raten die drei davon ab, den Windatlas als Planungsgrundlage für Baden-Württemberg zu verwenden: Das erscheine ihnen im Lichte ihrer Ergebnisse als „fragwürdig“. Da denkt man einmal, dass die Ampel etwas geschafft hat, und dann doch so eine Farce. Das himmlische Kind bleibt immer noch trotzig und weht einfach nach seinem Belieben, während Deutschland der Strom ausgeht.