Also das geht ja nun gar nicht. Da reist man extra mit großem Tross nach Dubai und da kommen doch 22 Schmuddelkinder und wollen auch im Sandkasten mitspielen. Rufen tatsächlich dazu auf, die Nutzung der Atomkraft (ja, die mit gefährlicher Strahlung, aus der man auch Bomben bauen kann) zu verdreifachen, um die Klimaneutralität bei der Stromerzeugung bis 2050 zu erreichen. Roland Tichy kommentierte das:
Die medialen Reaktionen auf diesen ungeheuren Vorgang reichen vom Totschweigen, zum Beispiel bei den Experten der dpa, die hier bei Yahoo zu Wort kommen. Gleich vier Korrespondenten: Torsten Holtz, Julia Naue, Jörn Petring und Larissa Schwedes schreiben über ein Thema, Yahoo benennt den Internet-Link auch noch nach der unerhörten Nachricht „Rund 20 Staaten wollen Atomkraft“, die Erklärung taucht dann aber überhaupt nicht auf. Hat hier jemand Unerwünschtes gelöscht?
Natürlich beklagen die Autoren die hinterhältige Taktik des Verschweigens – aber nur bei den Anderen: „Auf der Weltklimakonferenz in Dubai haben sich die beiden größten Klimasünder des Planeten, China und die USA, erstmals ausführlicher zu Wort gemeldet. Die beiden Weltmächte, sonst in vielen Punkten zerstritten, waren sich einig, den sprichwörtlichen Elefanten im Raum zu ignorieren: Gemeint ist der von Dutzenden Staaten und Hunderten Umweltorganisationen eingeforderte Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle. US-Vizepräsidentin Kamala Harris erwähnte das Thema in ihrer Rede vor dem Plenum mit keinem Wort. Und auch in der Rede des chinesischen Vize-Regierungschefs am Abend zuvor: dröhnendes Schweigen.“
Über Verteufeln (auf der Extra-Klimaseite des Focus „FOCUS online Earth“), wo man einen „Geheimplan hinter der globalen Atomallianz“ enthüllt: „Aufbruch in eine neue Ära? 22 Staaten haben auf der Weltklimakonferenz in Dubai eine neue Allianz zur Verdreifachung der weltweiten Atomenergie gegründet. Als Konkurrenz zu Erneuerbaren Energien wollen die Staatschefs ihr neues Projekt aber nicht verstanden wissen. Die wahre Absicht ist eine andere …“, orakeln die beiden Autoren, meinen, dass es nur ums Geld gehe, vor allem um die Mobilisierung von Krediten. Aber die deutsche Position zur Atomenergie habe sich nach Aussagen aus „Kreisen des Auswärtigen Amts in Dubai zu FOCUS online Earth“ zufolge nicht geändert: „Atomenergie ist eine gefährliche, nicht nachhaltige Hochrisikotechnologie.“
Zum einen liege das, so der Artikel weiter „an der Komplexität der nuklearen Technologie: Ein Atomkraftwerk zu bauen, ist langwierig, teuer und aufwändig.“ Immerhin fragt der Focus aber dann doch, ob Deutschland sich mit seinem Energie-Plan nicht „ins internationale Abseits schieße?“ Aber „das sehe nicht einmal die neue Atom-Allianz selbst so“. Viele der Staaten darin hätten außerdem „am selben Tag noch eine andere Verpflichtung unterzeichnet, die vorsieht, die Erzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen – darunter die USA und alle EU-Staaten. Und Ätschi, dem sogenannten „Renawable Pledge“ sind bislang 122 Länder beigetreten, sechsmal so viele wie dem „Nuclear Pledge“.
Linda Kalcher, Direktorin des Klima-Thinktanks StrategicEU, wird bei FOCUS online Earth zitiert: „Das wissen auch private Investoren, die ihr Geld lieber in Technologien wie die Solarenergie stecken: Dort locken exponentielles Wachstum und höhere Gewinne.“ Und an den Rand drängen, zum Beispiel bei der Tagesschau, der die Meldung ganz an den Schluss unter die Schlagzeile „Scholz fordert mehr Tempo bei der Energiewende“ rutscht.
Immerhin gibt die Deutsche Welle zu, dass „Nicht wenige Teilnehmerstaaten der Weltklimakonferenz die Atomkraft zum Erreichen der Klimaziele für unverzichtbar halten“. Aber: „Bundeskanzler Scholz betont dagegen in Dubai den ausschließlichen Vorrang der erneuerbaren Energien.“
Der Stern kann nur 20 Staaten erkennen, „die in Dubai massiven Ausbau von Atomkraft verlangen“.
Hingegen würden Kritiker „auf die mit der Atomkraft verbundenen Risiken, ungeklärte Entsorgungsfragen sowie hohe Kosten hinweisen“, und „während es für den Ausbau der Erneuerbaren in Dubai breite Zustimmung gibt, sind die Positionen zum Abschied von fossilen Energieträgern, der damit einhergehen soll, unterschiedlich – ebenso wie auch zur Atomkraft.“
Und zitiert die Wut, die sich im Kreise der Klimaaktivisten bereits ausbreitet: Clara Duvigneau von Fridays for Future richtete einen scharfen Appell an die „Anführer des globalen Nordens“, die seit Jahrzehnten zu wenig beim Klimaschutz täten. „Echtes Handeln meint: Alle Kohle, Gas- und Öl-Projekte müssen gestoppt werden – ohne Schlupflöcher“, sagte sie. „Wir haben euch im Blick. Wir sind wütend und wir sind enttäuscht. Wir sind ermüdet von all euren leeren Versprechen. Hier auf der COP muss ein kompletter Ausstieg aus allen fossilen Energien beschlossen werden.“
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland RND nimmt es mit den Zahlen in diesem Fall nicht so genau und zählt nur „gut 20 Staaten, die zum Wohle des Klimas die Energieerzeugung aus Atomkraft deutlich hochschrauben wollen. Bis zum Jahr 2050 sollten die Kapazitäten verdreifacht werden, hieß es in einer am Samstag auf der Weltklimakonferenz veröffentlichten Erklärung, die unter anderem von Frankreich und den USA unterzeichnet wurde. Auch Kanada, Japan, Großbritannien und mehrere weitere europäische Länder haben sich dem Pakt angeschlossen. Nach seinem Atomausstieg in diesem Jahr gehört Deutschland wenig überraschend nicht zu den Unterzeichnern.“
Das Handelsblatt stellt das Ganze bedrohlicher dar. Die 22 Staaten wollten die „Atomenergie verdreifachen“, sie bis zum Jahr 2050 „massiv ausbauen“. Es sieht „Zweifel“: Kritiker hielten die Pläne für unrealistisch. So Joe Bernardi, vom Global Energy Monitor, der mit den Worten zitiert wird: „Die Realität ist, dass der Großteil der geplanten Kernenergie in der Geschichte der USA nie ans Netz gegangen ist.“ David Tong, Forscher bei der Organisation Oil Change International, meint, so die Zeitung weiter: „Das Versprechen der Effektivität von Atomenergie im Kampf gegen die Klimakrise ist von der Realität der Kernenergie getrennt – sie ist zu kostspielig und der Aufbau neuer Reaktoren zu langsam.“ Eine schnelle Verdreifachung der Kapazitäten hält Tong für unrealistisch.
Die Atomenergie sei, so das Handelsblatt, „innenpolitisch umstritten“ und stellt die Ereignisse aus dem Jahre 2022 ohne Bezug zur Gesamtlage der Energieversorgung in Deutschland dar: „Die Grünen wollten die drei Atomkraftwerke eigentlich schon zum Jahresende 2022 abschalten. Auf Druck der FDP gab es dann eine Laufzeitverlängerung bis Mitte April. Die Liberalen hätten die AKWs gerne noch länger am Netz gelassen.“ Deutsche Umweltorganisationen „teilten die Sichtweise der Grünen, die die Atomkraft grundsätzlich ablehnen.“ Neue Kernkraftwerke „sind nicht wettbewerbsfähig gegenüber erneuerbaren Energien und Speicherlösungen“, zitiert das Blatt Christoph Bals, den politischen Geschäftsführer der Organisation Germanwatch. Die Technik sei ein Risikofaktor, zudem sei die Endlagerungsfrage ungeklärt. „Trotzdem halten einige Staaten weiterhin an diesem Luftschloss fest; die Frage ist nur, wann es sich auflöst“, so Bals.
Bei der taz ist der einzige Hinweis auf die 22 Staaten der „Atom-Allianz“ der Kommentar von Nutzer SeppW. Und die FAZ versteckt die präzisere Berichterstattung zu der unerhörten Gruppe von „so um die 20 Staaten“ um Frankreich und die Vereinigten Staaten, die „die Weltgemeinschaft aufgefordert hätten, wieder massiv in Atomenergie zu investieren“ hinter der Bezahlschranke.
Dem Münchner Merkur ist das zumindest eine Zeile wert, irgendwo zwischen der Berichterstattung über die Absage von Robert Habeck und die Rede von Olaf Scholz: „Angeführt von den USA drangen etwa 20 Staaten aber auch wieder auf den Ausbau der Atomkraft.“
Und der Sender MDR Info bringt die Meldung am Schluss: „Eine Gruppe von etwa 20 Staaten hat auf der Konferenz zum Ausbau der Atomkraft aufgerufen. Beteiligt an der am Samstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung sind unter anderem die USA, Frankreich, Großbritannien sowie das Gastgeberland Vereinigte Arabische Emirate. Ziel sei es, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern, hieß es.“
Aus vielen Nachrichtenquellen sprudelt aber lediglich die Enttäuschung über die COP28 –
das mit der Erklärung der 22 lässt man ganz unter den Tisch fallen. n-tv präsentiert eine „Ernüchternde Auswertung: Staaten haben kaum Ausstiegspläne aus fossiler Energie“.
Auch bei der SZ, deren Korrespondent Thomas Hummel aus Dubai berichtet, findet sich nichts über die Erklärung der 22, sondern nur die Klage über die „Öl- und Gasbranche, die versucht, von ihrem Beitrag an der Erderwärmung abzulenken. Und zeigt: Sie ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.“ Auch die „Zeit“ hat zwar eine eigene Website zur Klimakonferenz, die die Forderung nach Ausweitung der Nutzung der Atomkraft geflissentlich übersieht, aber vorsichtshalber schon beklagt, dass das Abschlussdokument wohl einen Beschluss zum „Komplettausstieg aus fossiler Energie eher nicht enthalten werde“.