Eine beliebte Scherzfrage von Autoexperten an Radio Eriwan lautet: Gibt es Unterschiede zwischen der Entwicklung des VW-Konzerns und der Irrfahrt des Odysseus? Die Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip nein, aber … Die Irrfahrt des Odysseus auf seiner Heimreise nach Ithaka ging nach zehn Jahren zu Ende und ging für seinen Konkurrenten übel aus. Die Irrfahrt des VW-Konzerns begann 2015, ein Ende ist nicht in Sicht und von einer Vernichtung der Konkurrenten kann keine Rede sein. Mehr noch: Homers Troja-Held Odysseus zeichnete sich während seiner Irrfahrt durch außergewöhnlichen Verstand und listige Ideen aus. Davon ist beim VW-Konzern wenig zu erkennen.
Bislang sieht es eher danach aus, dass die „Irrfahrt“ von VW noch viel länger dauert als jene von Odysseus. Deutschlands größter Autohersteller steht unter gewaltigem Druck. Er habe seit seinem Amtsantritt im September 2022 einige „Baustellen“ im Konzern identifiziert, sagte Konzernchef Oliver Blume (SZ Wirtschaftsgipfel, Berlin 2023). Das ist nicht verwunderlich, handelt es sich dabei im Wesentlichen um Dauer-Baustellen, die seit Jahren auch von interessierten Laien erkennbar waren – und von Blume als Porsche-CEO Mitglied im VW-Gesamtvorstand ohnehin seit langem.
Die augenfälligsten Schwachstellen im VW-Konzern sind:
- Die Kernmarke VW Pkw ist die finanzielle Achillesverse im Volkswagen-Kosmos: Die Rendite (vor Sondereinflüssen) lag im 1. Halbjahr 2023 nur bei 3,8 Prozent und verfehlte damit den Zielwert von 6,5 Prozent deutlich. Markenchef Thomas Schäfer soll zehn Milliarden Euro bis 2026 einsparen, um die Rendite auf 6,5 Prozent zu erhöhen.
- Konzernweit will Blume sogar mindestens 10 Prozent Rendite schaffen (zum Vergleich 1. Halbjahr 2023: Volkswagen: 7,6; Stellantis 14,4; Tesla 10,5; Toyota 11,6)
- In China, wo der VW-Konzern vor einigen Jahren fast die Hälfte seines Welt-Absatzes tätigte, kann der Konzern am boomendem Elektroauto-Markt mangels geeigneter Modelle nicht partizipieren. Der Marktanteil, der früher einmal über 30 vH lag, hat sich inzwischen halbiert.
- In Europa, und vor allem im Elektro-Förderparadies und Lead-Markt Deutschland, bleibt das erhoffte Wachstum des E-Auto-Absatzes aus, können die Werke für E-Autos nicht ausgelastet werden. Volkswagen reagiert auf die schwächelnde Nachfrage bei Elektroautos und hat im Werk Zwickau, das als erstes von VW-Chef Diess mit Milliarden-Investition komplett auf Elektroautos umgestellt wurde, die dritte Schicht in Halle 5, wo die Modelle ID.3 und Cupra Born produziert werden, dauerhaft gestrichen, in anderen Werken wird die E-Produktion gekürzt. „Je nach Marktlage können im nächsten Jahr beide Fertigungslinien auf einen klassischen Zwei-Schicht-Betrieb mit Früh- und Spätschicht umgestellt werden“, hieß es von der VW-Unternehmensleitung. „Der Beschluss sichert eine produktive Fahrweise und die Zukunftsfähigkeit des Standorts.“ Ausfälle und Anpassungen von Schichten werden laut Unternehmen auch im Stammwerk Wolfsburg in verschiedener Weise praktiziert. Experten hatten diese Entwicklung vorhergesagt und gehen von einer längeren, wenn nicht dauerhaften Marktschwäche aus. Offensichtlich sieht man das bei VW ähnlich. So wurden etliche auslaufende Verträge von befristet Beschäftigten nicht verlängert, viele weitere ohne dauerhafte Anstellung bangen um ihre Jobs. Am Standort Zwickau arbeiten mehr als 10.000 Menschen.
- Die Sanierung der hausinternen Software-Entwicklung bei Cariad kommt trotz Führungswechsel nicht erkennbar voran, davon abhängige Neuanläufe bei Audi (e-tron), Porsche und bei Volkswagen selber müssen immer wieder verschoben werden.
- In seiner China-Not erhoffte sich VW Hilfestellung von der chinesischen Autoindustrie – früher war es andersherum. Für den Bau von Elektroautos und Fahrerassistenzsystemen für den chinesischen Markt beteiligte sich Volkswagen im Juli 2023 mit 700 Millionen US-Dollar an der Neu-Automarke XPeng und erwarb 4,99 Prozent der Anteile des Unternehmens. VW will mit XPeng zusammenarbeiten, vor allem um im Jahr 2026 zwei Elektromodelle der Marke VW für das Mittelklassesegment auf dem chinesischen Markt zu entwickeln. XPeng wurde 2014 gegründet, stellte Ende 2018 sein erstes Elektroauto (P5) vor, versteht sich als Tesla-Rivale und kam als Quereinsteiger wie Nio oder Li Auto mit Verbrennertechnik nie in Berührung. Diese Partnerschaft steht allerdings unter keinem guten Stern. XPeng kann zwar hohe Umsatz-Wachstumsraten aufweisen (3. Quartal 2023: + 70 Prozent gegenüber Vorjahr), macht aber pro Auto rechnerisch 13.000 Dollar Verlust. Dazu kommt noch ein Korruptionsskandal im Einkaufsressort. All das hat in der Süddeutschen Zeitung zur Schlagzeile geführt: „Mit wem hat sich VW da eingelassen?“
Aus all dem könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die „Irrfahrt von VW“ wohl etwas länger dauern wird als jene von Odysseus. Mit Ausnahme der XPeng-Partnerschaft hat Oliver Blume all diese Baustellen von seinen Vorgängern geerbt. Beseitigt wurde keine.
Nennenswerte Fortschritte bei der Lösung dieser hausinternen Probleme kann Blume, der mit großem Elan im Herbst 2022 vor sämtlichen 500 Führungskräften des VW-Imperiums in Portugal gestartet ist, bislang nicht vorweisen. Seine größte Management-Leistung bestand im erfolg- und ertragreichen Verkauf der Porsche-Tochter an der Börse zugunsten der Kapitaleigner. Ob er bei der Sanierung von Volkswagen – Einklang mit dem mächtigen Betriebsrat vorausgesetzt – je ankommt und sich dann – wie Odysseus – seiner Marktgegner aus China und der internen Kosten-Stolpersteine erfolgreich entledigen kann, ist ungewiss.
Das „Dickschiff“ Volkswagen auf Kurs zu halten ist allerdings eine Never-ending-story. Erweiterungs- und Umbauarbeiten, vor allem aber ein immerwährender Kampf gegen den Betriebsrat und den Kostenmoloch Arbeitskosten haben Tradition in der Geschichte des Autobauers Volkswagen. Viele Vorstandsvorsitzende legten Hand an die Strukturen des riesigen Unternehmens, haben das Schicksal des Konzerns im Guten wie im Schlechten entscheidend bestimmt, gelegentlich dabei auch den Kürzeren gezogen, wie ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt. Betriebsnotwendige Senkungen der Personalkosten gegen den Widerstand des mächtigen Betriebsrates waren und blieben ein Dauerthema.
Elf Männer haben seit 1947 die Geschicke von Volkswagen, am 28. Mai 1937 als „Kraft-durch-Freude“-Unternehmen des deutschen NS-Staates gegründet, an leitender Stelle geprägt.
Den meisten Einfluss auf die Entwicklung von VW hatten folgende Persönlichkeiten:
- Die längste Amtsperiode hatte Heinz Nordhoff, der 1947 zum Generaldirektor von Volkswagen bestimmt wurde. Unter seiner Regie stieg VW zu einem der erfolgreichsten Autohersteller Europas auf. Mit dem Käfer wurden die Deutschen zu einem Volk der Autofahrer. Auch international expandierte der Konzern: In Brasilien, Mexiko, Südafrika und Australien entstanden VW-Werke. 1967 wurde knapp ein Drittel der produzierten Autos in die USA verkauft. Nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft war Nordhoff bis zu seinem Tod 1968 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen.
- Carl Hahn musste Anfang 1982 als Nachfolger Toni Schmückers als erstes zwei Verlustjahre verkraften und die Personalkosten senken. Hahn forcierte nicht zuletzt deswegen die internationale Expansion und gründete bereits 1985 ein Joint Venture in China zur Produktion des Modells Santana, für viele Jahre fast das einzige Oberklassefahrzeug in China (Marktanteil > 50 Prozent), 1986 wurde der spanische Autobauer Seat vollständig übernommen. 1990 gründete er im Beisein von Helmut Kohl das VW-Werk Mosel in Zwickau, Heimat des VW-Urahnen August Horch), und stieg beim tschechischen Hersteller Skoda ein. 1991 folgte ein Konzernumbau: Die Konzernleitung wurde von der Leitung der Marke VW getrennt.
- Ende 1992 gab Hahn sein Amt auf, um für Ferdinand Piëch Platz zu machen. Piëch ging zu Beginn seiner Amtszeit die Kosten-Schwachstellen energisch an. Das betraf vor allem die traditionell schwache Rendite. Piëch setzte an der Produktionstechnik an und führte eine Plattformstrategie ein, um die Qualität aller Konzernmarken zu verbessern und die Produktion zu rationalisieren. Auch neue flexiblere Arbeitszeitmodelle wurden eingeführt. Darüber hinaus erwarb VW den Sportwagenhersteller Lamborghini und sicherte sich die Markenrechte an Bugatti und Bentley. Im letzten Jahr seiner Amtszeit 2001 wies VW einen Nachsteuergewinn von 2,9 Milliarden Euro aus – ein Rekord.
- Bernd Pischetsrieder wurde im April 2002 Nachfolger von „Übervater“ Piëch, der den Vorsitz im Aufsichtsrat übernahm. Der frühere BMW-Chef musste sogleich das Sparprogramm „For Motion“ auflegen, um den Sturz in die Verlustzone zu verhindern, denn Kosten-, Absatz- und Qualitätsprobleme plagten den größten deutschen Autokonzern. Pischetsrieder heuerte dafür aber Ex-Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard an, der 30.000 Arbeitsplätze abbaute – und dann gehen musste. Als Fehlschlag erwies sich der Einstieg ins Premiumsegment mit dem Modell Phaeton. Mehr Glück hatte Pischetsrieder mit dem Familien-Van Touran. Während der Affäre um Vergünstigungen für den Betriebsrat geriet Pischetsrieder mit Piëch aneinander. Der Vertrag des VW-Chefs wurde 2006 zwar verlängert, doch schon wenige Monate später schied Pischetsrieder auf Druck Piëchs aus.
- Dann kam Martin Winterkorn. Er verfolgte zur Renditesteigerung eine extreme Wachstumsstrategie und machte Volkswagen mit über 10 Millionen Einheiten zur Nr. 1 im Weltautomobilabsatz. Bei keinem Dax-Konzern geht die Schere zwischen den Vorstands- und den Angestelltengehältern so weit auseinander wie bei VW. Ex-Chef Martin Winterkorn kassierte in einem Jahr 17,5 Millionen Euro. Der Dieselskandal um manipulierte Abgasmessungen in USA, der den VW-Konzern in Summe circa 30 Milliarden US-Dollar kostete, beendet im Herbst abrupt Winterkorns VW-Karriere.
Nach Winterkorn wurden die Amtsperioden der VW-CEOs zunehmend kürzer:
- Matthias Müller musste als Interims-CEO ab 2015 die Scherben der Affäre um manipulierte Abgaswerte von Dieselautos aufkehren. Trotz Milliardenbelastungen geriet Volkswagen nicht in eine existenzbedrohende Schieflage. Im Gegenteil: Die Zahlen können sich sehen lassen, denn mit 13,8 Milliarden Euro erzielte VW 2017 einen Rekordgewinn. Unter Müllers Regie legte der Konzern ein Zukunftsprogramm auf mit dem Ziel, bis 2025 rund 80 neue Elektroautos auf den Markt zu bringen. Um die Umsetzung muss sich sein Nachfolger Herbert Diess kümmern, der 2015 noch vor Ausbruch des Dieselskandals von Piëch von BMW zum VW-Konzern geholt worden war. Zu früh, um bereits 2015 Winterkorn als CEO zu beerben.
- Herbert Diess trat 2018 planmäßig als neuer Vorstandschef des Autobauers sein Amt an. „In einer Phase fundamentaler Umbrüche in der Automobilindustrie kommt es darauf an, dass Volkswagen Tempo aufnimmt und deutliche Akzente auf den Gebieten der Elektromobilität, der Digitalisierung des Autos und des Verkehrs sowie neuer Mobilitätsdienste setzt“, sagte Diess.
Herbert Diess scheute keinen Streit mit Aufsichts- und Betriebsrat. Und Diess sorgte branchen- und vor allem VW-weit für Aufregung und Unverständnis, weil der den VW-Konzern, der alle Markterfolge der Vergangenheit dem Verbrenner und dem dabei erworbenen internationalen Zuverlässigkeits- und Qualitäts-Nimbus verdankt, voll auf Elektromobilität transformieren wollte. Tesla und Elon Musk waren seine Vorbilder, die Entwicklung neuer Verbrennermotoren sollte bei der Marke VW 2026 enden, die Produktion von Verbrennerautos Anfang der 2030-iger Jahre. Alternativen zu der Elektromobilität wurden kategorisch ausgeschlossen. Der Verbrenner wurde bei VW zum Aschenputtel.
Das sollte gravierende Folgen auf und für Odysseus’ Irrfahrt haben. Maßgebend dafür war der abrupte Kehrtschwenk – weg vom Verbrenner, hin zur Elektromobilität – durch Herbert Diess. Plänen und Wirken von Herbert Diess muss daher etwas mehr Raum gewidmet werden.
Im Herbst 2021 ließ CEO Diess die „Strategie-Katze“ aus dem VW-Sack. Diess wollte den VW-Konzern tiefgreifend umbauen. Bei der Kernmarke VW hätten dabei je nach Transformations-Szenario bis zu 30.000 Arbeitsplätze wegfallen können, jeder vierte Job bei der Kernmarke VW. Denn weniger Komplexität braucht weniger Werker. Heftiger Protest des Betriebsrates war die Folge. Böse Zungen sprechen in solchen Fällen im neuesten Management-Kauderwelsch von quiet quitting.
Der Zukunftsplan von Herbert Diess drehte sich um das Projekt Trinity
Das Trinity-Projekt zielte auf die Entwicklung einer neuen Generation von Elektrofahrzeugen ab. Mit dem Trinity-Projekt wollte Volkswagen Elektromobilität für Kunden attraktiver und bezahlbarer machen. Dafür sollte die Produktion der Fahrzeuge effizienter gestaltet werden, um die Kosten zu senken. Ursprünglich wollte Volkswagen sowohl das Trinity-Werk als auch das erste Trinity-Fahrzeug 2026 fertigstellen. – Das Trinity Werk sollte ein Vorbild für alle anderen zukünftigen VW-Werke auf der Welt werden.
Diese sollen auf der eigens entwickelten Scalable Systems Platform (SSP) basieren. Unter dem Namen Trinity wollte Diess ein neues Modell mit VW-eigenem Software-Betriebssystem und weitreichenden Autonom-Fähigkeiten entwickeln, verbunden mit massiver Vereinfachung in der Produktion. Ab 2026 sollte mit Trinity eine Autogeneration von den Bändern laufen, die eine dramatische Verringerung der Komplexität mit sich bringt. Der VW-Golf zum Beispiel kann je nach Kundenwunsch in zehn Millionen Varianten entstehen. Trinity würde nur weniger als hundert Varianten erlauben (Auto Motor Sport).
Erwartungsgemäß regte sich beim Betriebsrat unter Führung von Daniela Cavallo heftiger Widerstand gegen das Trinity-Projekt. Auch das Leuchtturm-Projekt Trinity, mit dem Mitte des Jahrzehnts ein gänzlich neues VW-Flaggschiff ins Stammwerk käme, werde das Blatt nicht wenden. Das Stammwerk Wolfsburg brauche einen rascheren Weg in die E-Mobilität, forderte Cavallo, es müsse sich dabei um ein „volumenfähiges Modell“ handeln.
Diess hingegen blickt auf Tesla: Der US-Konkurrent und Vorbild des VW-Chefs will in seiner neuen Fabrik in Grünheide im Endausbau jährlich ebenfalls etwa 500.000 (E-)Autos produzieren. Tesla plant dafür mit gut 10.000 Beschäftigten. Im Wolfsburger VW-Stammwerk sind aber etwa 25.000 in der Produktion beschäftigt. Selbst die für Wolfsburg versprochene Million an Fahrzeugen in der Jahresproduktion bräuchte nach dem Schlüssel des US-Herstellers nur 20.000 Mitarbeiter. Insgesamt arbeiten am Standort Wolfsburg mehr als 51.000, weltweit hatte VW 2021 mehr als 600.000 Mitarbeiter.
Der Betriebsrat gab dann seine Zustimmung zum Trinity-Projekt, als zusätzlich der VW-Aufsichtsrat den Bau eines völlig neuen, hochmodernen Produktionswerks für Elektrofahrzeuge in unmittelbarer Nähe zum Wolfsburger Stammwerk im Stadtteil Warmenau genehmigte. Im Stammwerk Wolfsburg sollte ein Elektro-Golf vom Band laufen.
Diess musste gehen und wurde im Herbst 2022 von Oliver Blume abgelöst. Blume hatte Porsche sehr erfolgreich gemanagt und galt bis dato als technologieoffen, weil er Porsche zwar ebenfalls „elektrifizierte“, neben der Elektromobiliät aber auch weiter am Verbrennermotor festhielt und diesen durch Produktion von CO2-neutralem, synthetischen Treibstoff in einer Fabrik in Chile am Leben halten wollte.
Der von VW-Chef Oliver Blume erhoffte Strategieumbruch blieb aus
Eine Korrektur der einseitigen Technologie-Festlegung seines Vorgängers Diess nur auf Elektromobilität und die Rücknahme des völligen Verbrenner-Aus im VW-Konzern für Anfang 2030 fanden nicht statt. Lediglich die Trinity-Entscheidung wurde von Blume nachhaltig korrigiert – wobei Marktzwänge dabei kräftig mithalfen.
CEO Blume zog bald nach Amtsantritt bei Trinity die Reißleine. Als erstes wurde das Leuchtturmprojekt Trinity auf die Jahre ab 2028 vertagt, nachdem sich herausstellte, dass weder die interne Software-Entwicklung noch Batterie- und Fahrzeugentwicklung termingerecht im Jahr 2026 fertiggestellt würden.
Als dann im Verlauf 2023 die allgemeine Marktnachfrage nach Elektroautos erkennbar schwächer wurde, heftige Preiskämpfe vor allem in China auslöste, und VW im E-Werk Zwickau mangels Nachfrage spektakulär Schichten und Arbeitsplätze streichen musste, geriet Trinity völlig unter die „Elektro-Räder“. Im September 2023 wurde der Werkneubau in Wolfsburg völlig gestrichen, der Bau des VW-Flaggschiffs Trinity sollte künftig – Zeitpunkt offen – in Zwickau stattfinden, die Bänder in Wolfsburg sollten mit einem kommenden Elektro-Golf ausgelastet werden.
Das Schicksal des Trinity hat auch Rückwirkungen auf das geplante Elektro-Flaggschiff Artemis von Audi. Verschiebungen sind im Gespräch. Vor allem mit Elektroautos spüre man beim Neuwagengeschäft eine deutliche Kaufzurückhaltung, ließ Audi-Vorständin und Konzern-Vertriebschefin Hildegard Wortmann wissen: „Da die allgemeine Marktentwicklung hinter den Erwartungen zurückbleibt, liegt unser Auftragseingang unter unseren ehrgeizigen Zielen.“
Erst als gegen Herbst 2023 die Absatz- und Ertragsprobleme der Kernmarke Volkswagen in Sachen Elektromobiliät in Deutschland wie in China immer deutlicher zum Vorschein kamen, das Renditeziel von 6,5 Prozent in immer weitere Ferne entschwebte und in Zwickau Kapazitäten stillgelegt werden mussten, trat Konzern-Chef Blume die Flucht nach vorne an.
Die VW-Konzernleitung verordnete für das Stammwerk Wolfsburg einen massiven Sparkurs
Der Kernmarke VW wurden heftige Einsparungen verordnet, die alle Bereiche, besonders aber die Verwaltung – der sogenannte „indirekte Bereich“ – treffen werden. Insgesamt sollen 4000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen, jede fünfte Stelle in Wolfsburg, 20 Prozent der dortigen Belegschaft.
Explizit betroffen sein sollen Mitarbeiter in den Bereichen Verwaltung, Vertrieb, Entwicklung sowie der Produktionsvorbereitung. Genannt werden sogar konkrete Einsparziele, welche von den Unternehmenssparten umgesetzt werden sollen: Demnach soll der Vertrieb mit vier Milliarden Euro angeblich den größten finanziellen Beitrag leisten. Darüber hinaus seien die Bereiche technische Entwicklung, Beschaffung und weitere betroffen, die jeweils feste Vorgaben erhalten. In der Verwaltung sollen Effizienzgewinne von 800 Millionen Euro beigesteuert werden.
Betriebsbedingte Kündigungen sollen im Zuge dessen nicht ausgesprochen werden.
Ob all diese strategischen Anstrengungen Oliver Blumes ausreichen werden, den VW-Konzern langfristig auf eine Rendite von 10 Prozent zu bringen, ist mehr als fraglich. Ohne nachhaltige Strategiekorrektur zurück zu alter Stärke durch Technologie-Offenheit à la BMW und einem CO2-neutralen Verbrenner wird der VW-Konzern den chinesischen Wettbewerb kaum in Schranken halten können. – Vor Oliver Blume liegen noch anstrengende Jahre.