Die meisten von uns, die Erfahrung mit Kindern haben, kennen diese Situation. Natürlich nur von anderen Eltern. Das ist klar. Plötzlich kippt die Stimmung, dann das Spiel. Der kleine Rüdiger hat die Nase voll. Schon wieder sieht er sich bedroht, das Brettspiel am Wohnzimmertisch zu verlieren. Da helfen selbst die pädagogisch wertvollen Kniffs seiner Eltern nichts. Voller Wut räumt der kleine Spielverderber mit dem Gesichtsausdruck der Comicfigur Hulk das Brettspiel ab, wirft die Figuren so energisch über das liebevoll selbstverlegte Parkett aus Biofichte, dass Ilma, die schon altersschwache Hündin aus dem Tierheim, jaulend davonkriecht und die Mutter ihre Bio-Hafermilch-Latte über den kargen Rest ihrer Dinkelbratlinge kippt, während sein Vater mit schon wässrig-roten Augen den Rest seiner Kippe inhaliert. „Ich mag dieses Spiel nicht. Die Regeln auch nicht. Und die Spielfiguren ärgern mich. Ihr seid alle doof“, plärrt der kleine Windel-Tyrann noch, bevor er die Figuren auf den Boden schleudert. „Ab jetzt spielen wir nach meinen Regeln.“
Neue Spielfiguren müssen her
Ob Lauterbach dies so oder so ähnlich zu den Mitgliedern der STIKO sagte, ist (noch) nicht bekannt. Vorstellbar ist es. Schon zu oft verhielt sich Karl Lauterbach nicht gerade erwachsen und professionell.
Die Frage, ob die Änderung so leicht und schnell möglich ist, lässt sich einfach beantworten: Ja. Wenn das Gesundheitsministerium eine Änderung will, kann es die erteilte Zustimmung zur Geschäftsordnung der STIKO gegenüber dem Vorsitzenden widerrufen. Schon am Tag darauf ist die Geschäftsordnung außer Kraft gesetzt. Hier zeigt sich die Macht des Bundesgesundheitsministeriums, die Lauterbach ausüben kann (vgl. § 12 Abs. 3 der Geschäftsordnung der STIKO).
Müssen die Mitglieder nun bedauert werden? Nein. Weshalb auch. Die Mitglieder haben sich zu oft in der Pandemie zu Gunsten der Politik verbogen und medizinischen sowie menschlichen Sachverstand vermissen lassen. Die Mitglieder sollten jedoch nur ihrem Gewissen unterworfen und unparteiisch sein. Eigentlich: So zumindest statuiert es die Geschäftsordnung.
Schade ist der Verlust der STIKO-Mitglieder nicht. Sie haben sich Lauterbach oder der Politik in der Zeit der Pandemie kaum nennenswert entgegengestellt. Bedauerlich und folgenschwer ist, dass die STIKO als Institution Schaden genommen hat. Mit der Folge, dass womöglich sinnvolle Impfempfehlungen nun ebenfalls in Frage gestellt werden. Andererseits kann es gerade in der Medizin gut sein, Empfehlungen von Institutionen und Fachgesellschaften in Frage zu stellen oder zumindest mal kritisch auszuleuchten. Zu viel Vertrauen wurde zerstört.
Man darf durchaus annehmen, dass die neuen Mitglieder der STIKO eher Personen sind, die zumindest ein Poster von Lauterbach im Schlafzimmer hängen haben. Denn der Gesundheitsminister möchte angehimmelt werden. Widerspruch verträgt er nicht und kann durchaus mal den Rüdiger spielen. Er, also nicht Rüdiger, sondern Lauterbach, braucht Marionetten, die er nach Belieben an Fäden durch die Manege dirigieren kann.
Der STIKO-Vorsitzende Mertens tat noch einen letzten guten Dienst. Er folgte Lauterbachs Impfexzess nicht und widersprach bei Lauterbachs Empfehlung einer vierten Impfung (!!) für junge Menschen. Die Empfehlung „Viel helfe viel“ hielt Mertens für schlecht. Auch ein schon quengelnder Bundesgesundheitsminister half dieses Mal nicht. Mertens blieb unnachgiebig. Immerhin.
Volle Lager – wenige Impfwillige
Doch weshalb ist der Impfminister so spritzenaffin? Weshalb preist er den Stoff so an? Lauterbach wird es wie einem Einzelhändler ergehen, der zu viel Ware geordert hat und diese nicht mehr kostenfrei zurückgeben kann. Der Bundesgesundheitsminister hat sich übernommen. Vor allem fachlich. Die Bestellung von zu vielen Impfdosen tätigte schon sein Vorgänger. Lauterbach übernahm das Nachordern. Hier ist die Rede von einer zweistelligen Millionenhöhe an Impfdosen, die noch auf Abnehmer warten. Doch die Menschen sind müde. Impfmüde. Lauterbachmüde. Die Steuergelder in der Haushaltskasse werden im Sekundentakt weniger.
Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach hätte eine weitere Blamage zu verkraften, bliebe er auf diesen Impfdosen sitzen. Ökonomie darf nicht das entscheidende Kriterium sein, wenn es um Gesundheit geht. Allerdings möchte Lauterbach von Impfnebenwirkungen und Langzeitfolgen der COVID-Impfung noch immer wenig hören. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Mit diesem selbst geschaffenen Bild der Harmlosigkeit und Impfdosen im Überfluss mahnt er weiter die Impfunwilligen, warnt die Unentschlossenen und ängstigt die Unsicheren. Für dieses Unterfangen braucht er Unterstützer.
Lauterbach hat noch viel vor und wird sich entsprechende Marionetten in die STIKO holen. Diese werden wissen, wem sie ihre Position zu verdanken haben und die Empfehlungen ihres Herrn und Meisters entsprechend ausarbeiten und verbreiten. Niemand soll mehr ohne COVID-Impfung sein. Und wenn dies alles nicht klappt? Dann räumt Lauterbach das Spielfeld erneut ab, fordert neue Regeln und schaut dabei wie der schreckliche Hulk.
Dr. med. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe