Auf die FDP ist Verlass. Noch gestern hatte Lars Feld, ein enger Berater von Finanzminister Christian Lindner, ein Aussetzen der Schuldenbremse ausgeschlossen. Heute tritt Lindner vor die Mikrofone und verkündet, dass genau diese Schuldenbremse im Grunde nicht mehr existiert.
Seine Worte wählt Lindner dabei mit Bedacht. Von einer Aussetzung, von einem Bruch der Schuldenbremse spricht der Finanzminister explizit nicht. Doch die Medienlandschaft hat die eigentliche, die implizite Botschaft direkt verstanden.
In den vergangenen Tagen hatten sich insbesondere die Grünen in Stellung gebracht, redeten jene „Notlage“ herbei, derentwegen man nun neue Schulden aufnehmen müsse. Genau dieses Narrativ will die Bundesregierung nunmehr übernehmen. Von einer „außergewöhnlichen Notlage“ sprach Lindner auch für dieses Jahr 2023.
Dass ein solcher nonchalanter Umgang mit der Haushaltsgesetzgebung die Katastrophe erst heraufbeschworen hat, das verdrängt die Bundesregierung – oder will neuerlich täuschen. Notlagen sind ein Stück weit wie Krankheiten. Beim letzten Mal wollte der ehemalige Corona-Patient uns weismachen, dass er das übrige Geld für Klimaschutz verwenden könne. Nun, am Jahresende, fällt der Koalition plötzlich auf, dass sie das ganze Jahr krank war und möchte rückwirkend Kassenleistung.
Lindner hat angekündigt, nächste Woche einen Entwurf für einen Nachtragshaushalt 2023 vorzulegen. Es geht um einen zusätzlichen Betrag von 45 Milliarden Euro. Der Bundesfinanzminister äußerte sich zuversichtlich, den Nachtragshaushalt noch in diesem Jahr zu verabschieden. In diesem Jahr gibt es nur noch zwei mögliche Sitzungswochen. Heißt: die Ampel will diesen bereits jetzt zweifelhaften Nachtragshaushalt in Windeseile durchs Parlament peitschen – wohl in der Hoffnung, dass das Kleingedruckte nicht auffällt. Kommt einem dieses Motiv bekannt vor?
Dass die Ampel nichts gelernt hat, wird an der Äußerung deutlich, man wolle an den „Plänen in der Sozial-, Klima- und Wirtschaftspolitik festhalten“, vulgo: die Staatsausgaben bleiben dieselben, und weil die Bundesregierung nicht haushalten kann, braucht sie mehr Geld. Auch über einen Grundgesetzbruch. Vermutlich spekuliert die Ampel darauf, dass sie mit dem Haushalt so lange durchkommt, bis das Verfassungsgericht auch diesen wieder einkassiert. Auch eine Art der Haushaltspolitik. Aber sie verschafft Zeit.
Der Finanzminister begründet sein Vorgehen mit einer „neuen Rechtsklarheit“. So, als ob das Finanzamt die Tricks eines Steuerberaters nach Jahren durchschaut hätte und letzterer sich auf den Standpunkt stellt, dass es vorher gar nicht bekannt gewesen sei, dass man mit illegalen Methoden gehandelt habe. Der Vergleich besitzt die bittere Note, dass der Steuertrickser und das Finanzamt dieses Mal dieselbe Person sind. Man müsse jetzt „reinen Tisch“ machen, erklärt Lindner. Aber wer hat den Tisch vorher unordentlich gemacht?
Es gibt einige Tiefpunkte in der bisher zweijährigen Minister-Amtszeit Lindners. Dazu zählt der Ausstieg aus der Kernkraft und das Heizgesetz. Beide Male hatte man dem Wähler das Schauspiel geboten, im Grunde gegen diese Gesetze zu sein und darauf gehofft, die wankenden Anhänger zu beruhigen. In beiden Fällen fiel die FDP standhaft um.
Doch beide Themen hatten zumindest noch den Vorteil, dass sie nicht in das eigentliche Ressort Lindners fielen. Die Haushaltskrise steht auf einem anderen Blatt Papier. Hier scheitert nicht nur die FDP; hier scheitert Lindner persönlich. Die Grünen haben neuerlich gesehen, dass sie den Liberalen wie am Nasenring durch die Manege ziehen können. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.