Tichys Einblick
Wind of change?

Hessen: Albtraum für die Grünen, auch für die Grünen in der CDU

Der Wind dreht sich. Gegen Grün. Verfassungsrechtlich mit dem aktuellen Karlsruher Urteil gegen den Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Ampel. Politisch vor allem aber in Hessen. Schließlich geht gerade dort ein grüner Traum zu Ende. Rund vier Wochen nach der Landtagswahl vom 8. Oktober 2023 exekutiert Boris Rhein (CDU) das Ende einer zehnjährigen schwarz-grünen Koalition.

IMAGO

Der Traum von grünem Regieren hatte übrigens in Hessen begonnen, als mit „Joschka“ (Joseph) Fischer erstmals ein Grüner Minister wurde. In Turnschuhen war der PLO-Sympathisant und 68er Studentenrevoluzzer, der nie Student und dessen höchster Bildungsabschluss eine Taxifahrerlizenz war, am 12. Dezember 1985 zur Vereidigung durch Ministerpräsident Holger Börner (SPD) angetreten. Auf zunächst 14 (Dezember 1985 bis Februar 1987) und dann 42 hessische Ministermonate (April 1991 bis Oktober 1994) konnte Fischer zurückblicken, ehe ihn SPD-Kanzler Gerhard Schröder für sieben Jahre (1998 bis 2005) zum deutschen Außenminister machte. Diese Vergangenheit motiviert ihn bis zum heutigen Tag, aller Welt die Welt zu erklären. In puncto Welterklärungsimpetus und Bildungshintergrund nicht ganz unähnlich der zweiten grünen deutschen Außenministerin.

Nun also die grüne Götter-/Götzendämmerung ausgerechnet in Hessen: Sie war vor der Wahl vom 8. Oktober abzusehen. Die ergrünten Medien, also die meisten aus dem sog. arrivierten Bereich, wollten gar nicht aufhören, eine Fortsetzung der angeblich so erfolgreichen und geräuschlos funktionierenden schwarz-grünen Koalition herbeizuschreiben. Und zwar weiter mit dem Tandem Boris Rhein (CDU) und einem betont bürgerlich auftretenden, grünen Tarek Al-Wazir.

Boris Rhein aber zog die Reißleine. Rechnerisch hätte es mit 34,8 Prozent für die CDU und mit 14,8 Prozent für die gegenüber 2018 um fünf Prozent geschröpften Grünen zu einer Fortsetzung der bisherigen Koalition gereicht. Boris Rhein aber holt sich nun die um 4,7 Prozent geschrumpfte SPD mit ihren knapp vor den Grünen gelandeten 15,1 Prozent. Boris Rheins eher samtpfotiger Umgang mit Tarek Al-Wazir beim Fernseh-Trialog vom 2. Oktober ließ das offiziell noch nicht erkennen.

Das Ende von Schwarz-Grün in Hessen war mehr als absehbar

Ausschlaggebend war für Boris Rhein nicht die 0,3-Prozent-Differenz zwischen SPD und Grünen. Ausschlaggebend war – erkennbar längst vor der Wahl vom 8. Oktober – dreierlei: Erstens wusste Rhein, dass er mit einem grünen, migrationsbeseelten Koalitionspartner in Hessen und im Bundesrat auch zukünftig keinen Beitrag zur Bewältigung der illegalen Massenzuwanderung würde leisten können. Zweitens wusste Boris Rhein, dass die klimabewegten Grünen jede Politik, auch jede Form von Wirtschaftsförderung unter das Diktat von Klima stellen würden. Und drittens musste Rhein davon ausgehen, dass die Grünen einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag ihrer grünen Basis zur Abstimmung vorlegen würden. Und dort haben mittlerweile die lauten Klima-Jünger das Sagen. Das konnte und durfte sich Rhein nicht antun. Da hätte wieder einmal der Schwanz mit dem Hund gewedelt.

Nun also bekommt Hessen erstmals seit 1950 eine schwarz-rote Koalition, die man früher eine GroKo genannt hätte. Ein richtig „großer“ Partner ist die SPD allerdings längst nicht mehr. Denn 15,1 SPD-Prozente sind mager. Zumal in einem Land, in dem die SPD bis inkl. 1991 über 40 Prozent, ja teilweise über 50 Prozent (1961 und 1966) hatte. Der Abstieg der SPD allerdings setzte nach 1999 ein: 2003 erstmals unter 30 Prozent, 2018 erstmals unter 20 Prozent. Und seit 1999 ist die SPD in der Opposition.

SPD-Spitzenkandidatin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollte das 2023 umdrehen. Dafür hat Kanzler Scholz sie im Dezember 2021 ja ins Bundeskabinett geholt. Aber ganz so doof, für wie man in den Ampel-Parteien den Wähler hält, ist letzterer, hier der hessische, dann doch nicht. Eine Ministerpräsidentin Faeser wollte er zumal wegen der von ihr innenpolitisch inszenierten Mehrfachdesaster nicht, und eine Nancy Faeser, die die Rückfahrkarte nach Berlin eingecheckt bereits in der Tasche hatte, schon gleich gar nicht.

Für Boris Rhein also eine klare Sache: Mit der SPD hat er einen anpassungsfähigen Koalitionspartner an der Hand, der nach einem Vierteljahrhundert endlich mal wieder nicht Opposition sein mochte. Faeser mag mitverhandeln, aber sie bleibt draußen. Und – manche SPD-Ideologen hin oder her – mit der SPD ist zumal aufgrund ihrer festen Verankerung in den Kommunen vor Ort eine im Vergleich mit Grün eher rationale Politik in Sachen Migration und Klima zu machen.

Boris Rhein will „christlich-soziale“ Politik – und ein Aus für das Gendern

Boris Rhein hat die Katze denn auch rasch aus dem Sacke gelassen. Am 11. November 2023 schrieb er in der FAZ in einem Gastbeitrag, mit einer Koalition zusammen mit der SPD hole er die politischen „Debatten in die Mitte“. Mit einem „Regierungsbündnis aus der Mitte“ könne man ein „neues Sicherheitsversprechen“ formulieren und eine „Renaissance der Realpolitik“ organisieren. Mehr noch: Rhein nennt das neue CDU/SPD-Bündnis eine „christlich-soziale Koalition“. Ob ein solcher Taufname der SPD (und der CSU) gefällt, mag außen vor bleiben. Tarek Al-Wazir jedenfalls reagierte auf die schwarz-grüne Scheidung angefressen; „Wir hatten von Anfang an keine Chance.“

Nun gibt es bereits ein 6-Seiten-10-Punkte-Sondierungspapier von CDU und SPD mit dem Titel „Eckpunkte einer Hessen-Koalition der Verantwortung.“ Dort ist unter anderem die Rede von einer „Vielfalt der Schulformen“ also von einer Absage an die SPD-Vision einer Einheitsschule. Von einem Ausbau der Videoüberwachung und der Speicherung von IP-Adressen im Kampf gegen Kinderpornografie. Von einer Begrenzung der Migration und dem Schutz der europäischen und deutschen Außengrenzen, unter anderem mit stationären Grenzkontrollen. Von Abschiebehaft und Rückkehrzentren. Vom Ende monetärer Auszahlungen an Flüchtlinge. Von einer Verstetigung von Investitionen in den Straßenbau, nicht von einem Tempolimit oder Fahrverboten. Nutznießer soll zudem der Frankfurter Flughafen, Deutschlands wichtigstes Drehkreuz, sein.

UND – man höre und staune: Das Gendern mit Sonderzeichen soll in staatlichen und öffentlichen Institutionen – wie Schulen, Universitäten und beim Hessischen Rundfunk – abgeschafft werden. Besonders „woke“ Sprach-„Wissenschaftler“ poltern deswegen zwar schon von wegen Populismus. Aber sie vergessen, dass die Sprache dem Volk (lateinisch: populus) gehört und nicht irgendwelchen pseudo-avantardistischen Ideologen in schlauen Instituten und Gleichstellungsbüros.

Was das für die Ampel, die Bundes-Grünen und die CDU bedeutet

Jedenfalls sind die Wahlergebnisse vom 8. Oktober eine schallende Ohrfeige für die Ampel. Wir haben die beiden an diesem Tag erfolgten Wahlen in Hessen und in Bayern hier auf TE eine kleine Bundestagswahl genannt.

Die Folgen für die Ampel sind eindeutig und damit überschaubar: Die Ampel hat abgewirtschaftet. Boris Rhein fordert denn auch Neuwahlen und einen Stopp des neuen, von Faeser inszenierten, extrem liberalen Einbürgerungsgesetzes. Die Grünen fallen mehr und mehr aus der Zeit. Man braucht sie eigentlich nicht mehr. Genauso wenig wie die FDP. Der Zeitgeist dreht sich zumindest etwas in Richtung CDU, die nun allerdings endlich klären muss, ob sie Millionen an AfD- und vormaligen CDU-Wählern weiter wie „Nazis“ behandeln und hinter einer Brandmauer als quasi nichtexistent behandeln will. Boris Rhein jedenfalls hat ein Gegenmodell zur Ampel geschaffen.

Boris Rhein als CDU-Neustar

Rhein ist dabei, auch ein Gegenmodell zu den CDU-geführten, schwarz-grünen (grün-grünen?) Koalitionen in NRW und Schleswig-Holstein zu schaffen. Beiden Koalitionen sitzen nämlich die besonders „woken“ CDU-Anführer und Merkelianer Hendrik Wüst und Daniel Günther vor. Sie führen damit geradezu nostalgisch überholte Sehnsuchtskoalitionen einer Migrations-, Anti-Kernkraft- und Klima-Kanzlerin Angela Merkel.

Auch CDU-intern dürften Boris Rheins Wahlerfolg und seine Koalitionsansage massive Auswirkungen haben. Auf jeden Fall ist CDU-Chef Merz mit seiner Konfrontationspolitik gegen die Ampel und zumal gegen Grün gestärkt. Rheins Erfolg ist auch eine Absage an die Leute, die Merz parteiintern am Zeug flicken wollen: die Wüsts, die Günthers, die Priens usw. Boris Rhein könnte damit 2014/2015 zum König- bzw. Kandidatenmacher in der CDU werden. Oder gar selbst Kanzlerkandidat werden? Erfahren genug ist der demnächst 52-jährige Jurist. Und – wie man aktuell sieht – mit vielerlei Wassern gewaschen ist er auch. Selbst Niederlagen haben ihn nicht aufgehalten, etwa die Schlappe bei seiner Nichtwahl als Oberbürgermeister von Frankfurt/Main im März 2012. Aber: Rhein hat fast sechs Jahre als Landesminister (Innenminister, Wissenschaftsminister), drei Jahre Landtagspräsidentschaft und bislang eineinhalb Jahre als hessischer Ministerpräsident hinter sich. Und er hat – anders übrigens als Merz – viel Regierungserfahrung. Jedenfalls wird er bei der Kür des nächsten CDU-Kanzlerkandidaten ein sehr gewichtiges Wort mitreden.

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