Wenn Helge Lindh (SPD) im Bundestag ans Mikrofon tritt, wird es meist etwas schräg. Beständig geht es bei ihm um den „Kampf gegen Rechts“. Dabei liegt er immer etwas drüber, was ihm nicht gerade den Ruf eines Sachpolitikers eingebracht hat. Als Lindh zum Thema „Schutz jüdischen Lebens in Deutschland“ ans Mikrofon tritt, ist es anders. Der Abgeordnete hält eine bemerkenswerte Rede:
Lindh kritisiert den Antisemitismus in der politischen Linken und bekennt, dass er selbst zu dieser Linken gehöre. Eigentlich. Aber, dass er sich von diesem linken Antisemitismus deutlich distanziere. Der Sozialdemokrat erkennt: „Wir haben ein Problem mit einer manischen Fixiertheit in Deutschland.“ Viele – auch und besonders – Linke würden immer wieder auf eine öffentliche „Israelkritik“ drängen und beharren. Nur gäbe es diese Sehnsucht nicht nach einer „Irankritik“ oder nach einer Kritik an anderen Diktaturen. Sodass sich die Frage aufdrängt, was es sei, wenn nicht Antisemitismus, was zu dieser „manischen Fixiertheit“ führe.
Alexander Dobrindt hält eine starke Rede zum Thema „Schutz jüdischen Lebens in Deutschland“. Doch den eigenen Anteil der Union an Personalien wie Heusgen oder an Merkels Einwanderungspolitik à la „Jetzt sind sie halt da“ verschweigt der CSU-Landesgruppenchef. Das schmälert die Wirksamkeit seiner Forderungen. Auch wenn die für sich selbst genommen berechtigt sind.
Es dürfe kein „Aber“ geben in Deutschlands Bekenntnis zu Israel, fordert Dobrindt. Er verlangt von der Ampel, dass sie Antisemitismus als besonders schweren Fall der Volksverhetzung einschätzt, der künftig nicht mehr mit einer Strafe unter sechs Monaten Haft belangt werden dürfe. Antisemitische Straftaten müssten zur Ausweisung führen und den Passbezug bei „Doppelstaatlern“ müsse die Bundesregierung neu regeln.
Anders als Dobrindt sucht Cem Özdemir die Fehler nicht nur bei den anderen. Er fordert Änderungen, die nicht jeder in seiner Partei mittragen dürfte. Bei den Grünen. So tritt der Minister zum Beispiel dafür ein, die staatliche Zusammenarbeit mit den Islamverbänden zu überprüfen. Ihnen wirft er vor, dass die Verbände sich nötigen ließen, auf Deutsch Stellungnahmen gegen den Hamas-Terror zu veröffentlichen – um im Anschluss auf Türkisch und Arabisch Stellungnahmen zu veröffentlichen, die das Gegenteil davon verbreiteten.
Der türkischstämmige Minister berichtet von dem Antisemitismus, den er in seinem türkischen Umfeld kennengelernt habe. Özdemir appelliert an Muslime, nicht den Rattenfängern auf den Leim zu gehen. Nicht der Hamas zu folgen und ihren Terror zu feiern: „Sie missbraucht Euch als nützliche Idioten.“ Zwar sei es „im Idealfall“ Aufgabe der Familien, Werte zu vermitteln, die einen davon abhalten, Terror zu bejubeln und Leichen zu verhöhnen. Doch im Ernstfall – „und den haben wir“ – müsse der Staat eingreifen. Der Ruf nach Bildung genüge dabei nicht. Der sei ritualisiert und damit wirkungslos.
Was hat Faeser sonst noch zu bieten? Hilflosigkeit. „Hass und Hetze“ nähmen seit dem 7. Oktober zu. Online wie offline. Der Terror der Hamas sei noch am selben Tag auf deutschen Straßen offen gefeiert worden. „Wir müssen als Gesellschaft viel lauter werden.“ Wir müssen das also, als Gesellschaft, sagt Faeser. Und sie als Ministerin? Ein Verbot von Hamas und Samidoun sei diese Woche in Kraft getreten. Erst vier Wochen nach dem Terror. Erst nach einer Panne: Faeser hatte vergessen, die Länder zu informieren, sodass das Verbot nach der medienwirksamen Verkündung nicht in Kraft war – und Hamas und Samidoun dadurch viel Zeit hatten, Vermögen und andere Infrastruktur zur Seite zu schaffen.
Nun ist es aber nicht so, dass Faeser nach dem 7. Oktober gar nicht auf den von Muslimen in Deutschland offen gezeigten Antisemitismus reagiert habe. Sie hat zur Islamkonferenz eingeladen, wie Beatrix von Storch (AfD) erinnert. Die Konferenz beschäftigte sich mit dem Thema Islamfeindlichkeit in Deutschland. Für manche der Islam-Verbände in der Konferenz ist schon jede Kritik an ihnen ein Fall von Islamfeindlichkeit. Selbst wenn sie auf Türkisch oder Arabisch ihre deutsch formulierten Bekundungen später faktisch widerrufen.
Die Verbände erwähnt Faeser nicht. Auch nicht, wie es mit ihnen weitergehen soll. Dazu muss der Landwirtschaftsminister sprechen. Aber dafür hat ja Faeser eine neue Sprachregelung: „Nie wieder ist jetzt.“ Schön. Ergreifend. „Ein paar Sätze des Mitgefühls“, wie es Faesers Parteifreundin Malu Dreyer nennen würde. Ein bisschen Symbolpolitik hier. Ein verpatztes Verbotsverfahren dort. Das muss reichen. Mehr ist von Faeser nicht zu erwarten. Und bei den Vereinten Nationen stimmt Deutschland nicht mehr gegen Israel – sondern enthält sich.
Özdemir analysiert, dass es in Deutschland „einen selektiven Blick auf Antisemitismus“ gebe. Die Linken würden ihn als „antikolonialistischen Befreiungskampf“ verbrämen. Beim islamischen Antisemitismus heiße es, der habe mit dem Islam nichts zu tun. Und das rechte Spektrum tue so, als ob es in den eigenen Reihen keinen Antisemitismus gebe, was absurd sei.
Linda Teuteberg tut es. Die ehemalige Generalsekretärin der FDP kritisiert die Vernebelung, die von der Polizeistatistik ausgehe. Diese führe zu Fehleinschätzungen, wie sie von der „Fachkommission zur Integrationsfähigkeit“ getroffen wurden. Die Kommission urteilte noch in den letzten Tagen der Merkel-Ära: Der von Juden beobachtete muslimische Antisemitismus sei nur eine subjektive Wahrnehmung. Dabei beriefen sich die Wissenschaftler auf eben die Polizeistatistik, die muslimisch motivierten Antisemitismus grundsätzlich gar nicht erst aufnimmt.
Die von Christian Lindner geschasste Teuteberg beschreibt, dass es nur durch eine solche Ignoranz zu einer unerträglichen Situation kommen konnte, wie sie nun in Deutschland herrsche: Jüdische Sichtbarkeit müsste eigentlich selbstverständlich sein, aber sie sei eben nicht möglich, weil Juden in Deutschland Angst haben müssten. Teuteberg erinnert an den Anteil der Politik an dieser Situation: eine Kulturministerin Claudia Roth (Grüne), die eine Documenta mit antisemitischen Kunstwerken zuließ. Eine Regierung und eine Opposition, die Boykottaufrufe in Deutschland gegen Israel achselzuckend hinnehme.
Der „neue Judenhass“ sei aus dem Nahen Osten nach Europa eingezogen, sagt von Storch. Das sei möglich, weil „linke Politik die Tore weit geöffnet hat“. Es sei absurd, wenn „Queers for Palestine“ einträten oder „Gays for Gaza“, wie sie formuliert, müssten diese Gruppen doch in der Kultur, für die sie da werben, mit schweren Verfolgungen rechnen – bis hin zur Todesstrafe. Noch absurder sei der Slogan „Free Palestine from German Guilt“, den Linke auf Demos gegen Israel verbreiteten, sagt Thomas Rachel (CDU). Dies sei die „Schlussstrichdebatte von Links“.
In der Debatte demonstrierte Bartsch, wie es mit den Linken so weit kommen konnte. „Aber eins“ sei vergessen worden in der Debatte, sagt Bartsch. Aber eins müssten die deutschen Abgeordneten immer erwähnen, wenn es um Israel geht: die „Zwei-Staaten-Lösung“. Mit der Forderung nach einem eigenständigen palästinensischen Staat rechtfertigt die Hamas ihre Morde an Babys, Kindern und Wehrlosen. Ihre Vergewaltigungen und ihre Leichenschändungen. Bartsch findet, diese Forderung nach der Zwei-Staaten-Lösung gehöre dazu, wenn der Bundestag über „Schutz jüdischen Lebens in Deutschland“ diskutiert.
Bartsch hat recht. Also damit, dass „Die Linke“ eine sterbende Fraktion, wenn nicht gar eine sterbende Partei ist. Die Queers for Palestine und die „Antifa“, die Demonstrationen gegen Israel organisiert, gehören zu den Letzten, die noch Linke wählen. Sie wollen über Babymorde, Vergewaltigungen und Leichenschändungen der Hamas hinweggehen. Wenn überhaupt davon die Rede ist, soll es mit einem „Ja, aber Israel…“ verbunden sein – Bartsch hat sie bedient. Am 85. Jahrestag der Kristallnacht. Özdemir hat zum Thema Israel schon öfters bemerkenswert Gutes gesagt, Lindh ist erfolgreich über seinen Schatten gesprungen – Bartsch unter seinem abgetaucht.